Durch Diagonalsperren und andere Maßnahmen wird der Durchgangsverkehr aus den Kiezen herausgehalten. (Foto: Norbert Michalke/​Changing Cities)

Mit dem Kiezblock Bellermannstraße entstand Anfang des Jahres 2022 das erste dieser Quartiere ohne Kfz-Durchgangsverkehr im Berliner Bezirk Mitte. Das ist eine gute Nachricht, angesichts der Klimakrise müssen wir unsere Emissionen in den Griff bekommen.

Allerdings weisen Stadtforscher:innen darauf hin, dass Gentrifizierung die Folge sein kann.

Beispielsweise hat die Stadtforscherin Melissa Checker Klimaaktivist:innen in New York begleitet, die sich für eine ökologische Stadt einsetzen. Sind sie erfolgreich, sind sie mit einem neuen Problem konfrontiert: der Verdrängung von Bewohner:innen aus den nunmehr weniger verkehrs- und umweltbelasteten Gebieten.

Das Dilemma ist offensichtlich. Es sind Niedrigverdiener:innen und von Rassismus betroffene Menschen, die unter der städtischen Industrialisierung besonders leiden und in verkehrsbelasteten Gebieten leben.

Die neuen Konzepte zur Verkehrsberuhigung, wie eben die Kiezblocks, erlauben diesen Stadtbewohner:innen eigentlich ein gerechteres und nachhaltigeres Leben. Doch oft profitieren sie gar nicht von den Maßnahmen, sondern werden dadurch aus ihren Kiezen verdrängt.

Das Beispiel Barcelona

Das Konzept der Kiezblocks ist nicht neu, sondern an das der Superblocks in Barcelona angelehnt. In hochverdichteten Wohngebieten wurde in den letzten Jahren mit der flächendeckenden Einführung von Durchfahrtsperren die Aufenthaltsqualität und auch die Luft spürbar besser.

Allerdings wurden die Wohnlagen dadurch auch attraktiver und die Wohnungsmieten stiegen. Die Menschen aus der Nachbarschaft können sich die steigenden Mieten oft nicht mehr leisten.

Porträtaufnahme von Przemyslaw Borucki.
Foto: privat

Przemysław Borucki

studiert Historische Urbanistik am Center for Metropolitan Studies an der TU Berlin. Seit Anfang 2022 arbeitet er als studentische Hilfskraft am Fachgebiet Integrierte Verkehrs­planung, im Forschungs­projekt MoBild (Mobilitäts­bildung).

Eine Aufwertung der städtischen Infrastruktur kann zu steigenden Immobilienpreisen führen, die Gentrifizierungsdynamiken verstärkt oder überhaupt erst in Gang setzt. Es besteht die Gefahr, dass das Mantra der ökologischen Stadt zum neuen Schlagwort einer neoliberalen Politik wird, um Erneuerungsprogramme unter dem Deckmantel von Umwelt- und Klimaschutz durchzusetzen.

Der ökologische Urbanismus wird in Barcelona nicht nur als nachhaltige Planungsstrategie genutzt, sondern auch als Instrument für das interne Stadt-Branding. Neben der Verdrängung infolge der Aufwertung der Gegend werden so zusätzlich zahlungskräftige Expert:innen und Firmen angelockt, um deren Gunst Städte weltweit konkurrieren.

Im Zuge eines Forschungsprojekts konnten wir bei den Unterstützer:innen des Kiezblocks Bellermannstraße keine ernstzunehmende Auseinandersetzung mit dem beschriebenen Konflikt erkennen. Entweder wird das Problem gar nicht angesprochen.

Oder es wird suggeriert, dass durch die Durchfahrtsperre die soziale Interaktion gestärkt und damit eine bessere Organisierung gegen Gentrifizierung ermöglicht wird. Für diesen Effekt gibt es jedoch keine Belege. Vielmehr wird das Problem der Verdrängung auf das Individuum abgewälzt und so die Notwendigkeit einer strukturellen Lösung verdrängt.

Die notwendigen Debatten führen

 

Ökologisch nachhaltige Lösungen können zu sozial nachteiligen Folgen führen. Dieses Problem muss zunächst einmal angesprochen werden. Erst dann können Maßnahmen zum Schutz der Bewohner:innen ergriffen werden. Diese Maßnahmen müssen der kapitalistischen Logik des Immobilienmarktes als Ursache der Verdrängung etwas entgegensetzen.

Während die beteiligten Parteien an dem Berliner Kiezblock Bellermannstraße das Problem entweder negieren oder nicht adressieren, hat sich in Barcelona ein notwendiger Diskurs entwickelt. Dort gibt es zum Beispiel eine Nichtregierungsorganisation aus Wissenschaftler:innen, die mit der Verwaltung über die Vorteile der Superblocks, aber auch die Gefahr der verstärkten Gentrifizierung diskutiert und diese berät.

Von solch einem konstruktiven Diskurs sind wir in Deutschland weit entfernt.

Lesen Sie hier die Erwiderung von Weert Canzler: Nichtstun ist keine Option

 

Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem

Wie kommen wir in Zukunft von A nach B? Fest steht: Es geht nur radikal anders als bisher. Aber wie? Die Gruppe "Digitale Mobilität – das Antiblockiersystem" entwickelt Ideen für die Mobilität von morgen. Hier schreiben Wissenschaftler:innen und Expert:innen über Wege in ein neues Verkehrssystem, das flüssig, bequem, gerecht und klimafreundlich ist – jenseits von Allgemeinplätzen und Floskeln. Das Dossier erscheint in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Die Beiträge erscheinen zugleich im WZB-Blog der Forschungs­gruppe Digitale Mobilität.

Anzeige