Klimareporter°: Herr Holzapfel, die E-Mobilität ist ein wichtiger Teil der Verkehrswende. Nun sagen Sie aber: Die meisten heute verkauften und von den Autokonzernen angekündigten E-Autos sind gerade in der Stadt ein Problem. Warum?

 

Helmut Holzapfel: Elektromotoren haben gegenüber Benzin- und Dieselmotoren eine bisher von den Herstellern als Vorteil deklarierte Eigenschaft: Sie verfügen im gesamten Drehzahlbereich über ein hohes Drehmoment. Das heißt, E-Autos können enorm schnell beschleunigen, gerade auch im niedrigen Geschwindigkeitsbereich.

Was gemeinhin als Fahrspaß bezeichnet wird, ist im Stadtverkehr Gift. Schon Familienautos wie der Volkswagen ID 3 oder der meistverkaufte China-Import MG 4 Electric beschleunigen in etwa drei Sekunden auf Tempo 50 und sind in weniger als acht Sekunden auf 100. "Anschnallen und festhalten", lautete der Titel eines Autotests dazu.

Ein Mensch, der zu Fuß etwa fünf Sekunden braucht, um eine Straße zu überqueren, ist bei superschnell nahenden Autos stärker gefährdet, das liegt auf der Hand. Das Gleiche gilt für Personen auf dem Fahrrad. Die Sicherheit der Nichtmotorisierten nimmt ab.

E-Autos sind mit viel Elektronik ausgestattet, die auch vor Kollisionen warnt. In Tests wird die Sicherheit fast immer mit fünf Sternen bewertet.

Ja, aber es ist die falsche Elektronik. Zwar wird vor querendem Verkehr elektronisch gewarnt, aber wenn man am Steuer auch nur eine Sekunde braucht, um etwa auf Kinder auf der Straße zu reagieren, gibt es bei diesen hohen Beschleunigungen schnell ernste Probleme.

Aber es wird ja auch vor zu hohen Geschwindigkeiten gewarnt ...

Da blinkt nur ein Lämpchen, wenn Sie Tempo 50 überschreiten. Und laute Motorengeräusche wie beim Verbrenner, die sowohl im Auto als auch draußen warnen, gibt es nicht.

Was ist Ihre Schlussfolgerung?

Ich fordere in der Stadt eine automatische Begrenzung der Beschleunigung, und zwar auf acht Sekunden für Tempo 50, sowie der Geschwindigkeiten auf die jeweils lokal vorgeschriebenen Werte, also 30 oder 50 Stundenkilometer. Diese sollten nicht, wie heute oft üblich, überschritten werden können.

Helmut Holzapfel
Foto: ZMK

Helmut Holzapfel

leitet das Zentrum für Mobilitäts­kultur in Kassel. Der Bau­ingenieur, Stadt­planer und Verkehrs­wissen­schaftler war bis 2015 Professor am Institut für Verkehrs­wesen der Uni Kassel. Er ist Buchautor und berät unter anderem Gewerk­schaften sowie Umwelt­verbände.

In einem Notfall, etwa um kritische Fahrsituationen zu entschärfen, sollte die elektronische Begrenzung per "Kickdown" auf dem Fahrpedal ausgeschaltet werden können – dann müsste aber der Warnblinker angehen.

Ist das technisch machbar?

Das ist überhaupt kein Problem. Die in die Autos eingebaute GPS-basierte Ortserkennung registriert in jedem Moment die vorgeschriebene Geschwindigkeit und kann dann elektronisch die Einhaltung sichern und die Beschleunigung reduzieren.

Das wird aber viele nicht freuen – Thema Fahrspaß ...

Diese Art Fahrspaß gehört nicht in die Stadt. Zudem kostet sie auch viel Energie. In manchen Fahrzeugen, etwa dem erwähnten MG 4, gibt es ja schon einen "Eco-Modus", der die Beschleunigung begrenzt. Der muss aber extra bei jedem Start neu eingeschaltet werden. Das ist ein Unsinn, den es bei meinem Geschirrspüler zu Hause nicht gibt.

Autos, die mit Ökostrom fahren, sind zwar schadstofffrei und klimafreundlicher als Verbrenner, doch auch Ökostrom darf nicht verschwendet werden. Er wird noch lange knapp und kostbar sein.

Die meisten E-Autos haben ein sehr hohes Gewicht, auch wegen der großen Batterien, die hohe Reichweiten ermöglichen ...

Das ist die Krux. Die Batterietechnik ist schon viel besser geworden, doch es hat keinen Sinn, die heutige Autoflotte mit 48 Millionen Benzinern und Dieseln in Deutschland eins zu eins mit E-Autos zu ersetzen.

Das hohe Gewicht von in der Regel über zwei Tonnen und die hohen Beschleunigungen machen viel von dem Energiegewinn durch E-Antrieb wieder zunichte. Zudem verursachen sie deutlich mehr Fahrbahnschäden als leichtere Fahrzeuge, vom enormen Platzbedarf der bisher fast nur angebotenen Elektro‑SUV ganz zu schweigen.

Was wäre die Lösung?

Die Zahl der Autos in unseren Städten und Gemeinden ist zu hoch. Der hohe Platzbedarf, das zu hohe Tempo, die von ihnen ausgehende Gefahr von schweren Verletzungen oder gar Todesfällen schränken die Lebensqualität zu stark ein.

Beispiele, wie es anders ginge, werden im Ausland immer zahlreicher. Amsterdam, Barcelona, Kopenhagen, Oslo, Paris und Zürich sind hier nur einige aus einer langen Liste.

Aber der Wunsch nach dem eigenen Auto ist hierzulande doch ungebrochen. Die Zulassungszahlen steigen weiter, es gibt immer mehr statt weniger Autos. Wie soll sich das ändern?

Wir sind in Deutschland in der Tat weit hinter den anderen Ländern zurück. In vielen Städten bei uns gibt es allerdings inzwischen parteiübergreifend Initiativen hin zu lebenswerten Orten, etwa mit der Forderung nach Tempo 30.

Wenn wir die Autos zivilisieren und unsere Straßen wieder entspannt für Alltagsaktivitäten wie Einkaufen, Gespräche mit Nachbarn, Spazierengehen und sicherer fürs Radfahren nutzen können, brauchen wir vielleicht auch viel weniger dieser teuren Fahrzeuge, weil wir mehr Aktivitäten angenehm in der Nähe realisieren können. Ein anderer urbaner Verkehr nützt dann nicht nur dem Klima, sondern auch uns allen im Alltag.