Beim Klimaschutz ist der Verkehrssektor seit Jahren der große Problemfall, sowohl in Deutschland als auch auf EU-Ebene. Die CO2-Emissionen sinken nicht, der vor drei Jahren aufgeflogene Abgasskandal ist bis heute nicht ausreichend aufgearbeitet, der neue Abgastest WLTP bietet weiterhin Schlupflöcher für Schummeleien. Kurzum, die überfällige Verkehrswende ist bislang in weiter Ferne.
Nun aber nutzt die europäische Autoindustrie den Dieselskandal, um gegen die Klimavorgaben der EU für die kommenden Jahre mobil zu machen. "In unserer Branche herrscht große Sorge, ob wir das Ziel für 2021 erreichen, denn das wird natürlich schon knifflig", sagte Erik Jonnaert vom Gesamtverband Acea am heutigen Dienstag in Brüssel.
Auch bei den längerfristigen Zielen müsse man "realistisch" bleiben, forderte Jonnaert. Sprich: Die Ziele sollen runter, da sie angeblich die Industrie überfordern.
Nach den bereits abgestimmten EU-Vorgaben dürfen Neuwagen bis spätestens 2021 nur noch 95 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen. Derzeit sind es offiziell noch 118,5 Gramm pro Kilometer.
Allerdings gibt es dabei etliche Regelungen, die den Autoherstellern stark entgegenkommen. Der strengere Wert gilt nur im Durchschnitt und bezogen auf die gesamte Fahrzeugflotte eines Autobauers.
Zudem werden Elektro- und Hybridfahrzeuge als Nullemissionsautos angerechnet – und das auch noch mehrfach. Dieser "Supercredits" genannte Mechanismus erlaubt somit Schönrechnereien im großen Stil. Auch Hybridfahrzeuge, mit denen nur kurze Strecken elektrisch gefahren werden, ermöglichen es den Autobauern, weiterhin schwere und emissionsstarke Wagen anzubieten. Es zählt ja nur der Durchschnittswert, und auch der ist noch künstlich heruntergerechnet.
Die Klimavorgaben für 2030 indes befinden sich noch in der Abstimmung. Die EU-Kommission hat ein Minus von 30 Prozent vorgeschlagen. Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat sich für eine Reduktion um 50 Prozent stark gemacht. Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) hat dem aber bereits eine Absage erteilt.
Doch selbst die eher bescheidenen 30 Prozent Reduktion, die die EU-Kommission vorschlägt, sind dem Verband der europäischen Autobauer zu viel. Die Hersteller würden wirklich alles versuchen, um die Vorgaben zu erfüllen, beteuerte Acea-Mann Jonnaert, jedoch, es sei eben "knifflig".
Als "realistisch" würde der Verband eine Reduktion um 20 Prozent ansehen. Jonnaert: "Natürlich fühlt sich das gut an, auf dem Papier ein hohes Reduktionsziel zu haben, aber wir wollen sicherstellen, dass das, was aufgeschrieben wird, zumindest in unserer Branche auch erfüllt wird."
Als Begründung verweist der Autolobbyist auf die Absatzzahlen von Dieselfahrzeugen, die seit Auffliegen des Skandals vor drei Jahren massiv eingebrochen sind. Damit spielt er auf das Klimaretter-Image des Selbstzünders an.
"Der Vorteil besteht nur auf dem Papier"
Allerdings ist längst erwiesen, dass der Diesel dieses Image zu Unrecht hat. "Der Vorteil", so formuliert es das Umweltbundesamt, "besteht nur auf dem Papier".
Bei gleicher Motorisierung stoßen Diesel theoretisch zwar bis zu 15 Prozent weniger CO2 aus als Benziner, erläutert das UBA den Trugschluss, dem viele – auch der Acea – aufsitzen. Die Realität sieht aber anders aus.
Denn gerade die großen, hochmotorisierten Fahrzeuge, wie SUVs, werden zumeist mit Diesel-Motoren ausgestattet, um den Spritverbrauch in einem erträglichen Rahmen zu halten. Deren entsprechend höherer Verbrauch zehrt den CO2-Vorteil auf. Die Folge: "Diesel haben insgesamt keine besseren CO2-Werte als Benziner", betont die Behörde, die das Umweltministerium berät.
Oliver Krischer von den Grünen spricht denn auch von einem "falschen Alibi", das sich die Autoindustrie mit dem zurückgegangenen Absatz von Diesel-Pkw zusammenzimmert. "Die Autos werden schwerer und haben mehr PS, zusätzlich werden immer mehr Geländewagen verkauft", sagt Krischer. "Das sind die Gründe, warum viele Hersteller die Klimaziele nicht erreichen werden."
Die Umweltverbände BUND, DUH und VCD forderten, ebenfalls am heutigen Dienstag, dagegen eine CO2-Minderung um 60 bis 70 Prozent bis 2030. Dies sei "notwendig, technisch machbar und volkswirtschaftlich sinnvoll", sagte Gerd Lottsiepen vom ökologischen Verkehrsclub VCD.
"Je schwächer die CO2-Grenzwerte ausfallen", argumentiert Lottsiepen, "umso stärker müssen andere Maßnahmen wirken" – wenn Deutschland und die EU ihre Klimaziele für das Paris-Abkommen schaffen wollen.
Anspruchsvolle Grenzwerte seien zudem wichtige Antreiber für die europäische Automobilindustrie, um auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein. "Mittelfristig werden global nur noch solche Geschäftsmodelle tragfähig sein, die dem Klima- und Umweltschutz Rechnung tragen."