Auto rast um Kurve
Wohlstand, Freiheit, Unabhängigkeit – das Auto ist bei vielen Deutschen mit positiven Attributen verbunden. (Foto: Peter Briatka/​Pixabay)

Diese Pendlerstrecke steht in keinem Fahrplan. Von Stuttgart führt sie ohne Halt ins politische Berlin. Manchmal beginnt sie auch in München oder im hessischen Rüsselsheim. Joachim Koschnicke kennt die Strecke gut. Er hat die Verbindung mehrfach genutzt, hin und zurück.

Wir schreiben den 22. April 2017: Wahlkampfauftakt in der CDU-Parteizentrale. Noch ein paar Tage zuvor war es Koschnickes Job, als Cheflobbyist von Opel den Berliner Politikern die Interessen des Autobauers einzuflüstern. Jetzt braucht er keinen Termin mehr für das Konrad-Adenauer-Haus – er arbeitet dort als Chefstratege für den Wahlkampf. Auch zwischen 1999 und 2005 hatte Koschnicke schon auf der Gehaltsliste der CDU-Zentrale gestanden. Den regen Austausch zwischen Autoindustrie und Bundespolitik haben Verkehrsexperten in Ministerien und NGOs nach dem Bundesland benannt, aus dem die meisten Auto-Lobbyisten kommen: "Baden-Württemberg-Connection".

In keiner Branche ist die Klima-Bilanz dieser Legislatur so schlecht wie beim Verkehr. Das Wirken der "Baden-Württemberg-Connection" spiegelt sich in einer Zahl wider: In den vergangenen vier Jahren kletterten die CO2-Emissionen im Verkehr von knapp 160 Millionen auf 166 Millionen Tonnen. In allen anderen Sektoren sind die Klimagas-Emissionen in dieser Zeit gesunken oder gleich geblieben. Eine verheerende Bilanz.

Doch wenn es um Entscheidungen über CO2-Grenzwerte, Förderprogramme oder Straßenplanung geht, müssen Verkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorher erst "München und Stuttgart" fragen, heißt es bei Insidern. In den beiden Städten sitzen große deutsche Autobauer: BMW, Daimler, Porsche – und nicht zuletzt der Autofahrer-Club ADAC.

Für die Autolobby waren es gute vier Jahre

Die "Pendlerstrecke" von Berlin nach Süddeutschland war in den vergangenen vier Jahren stark befahren: In dieser Zeit zählte der Verein Lobbycontrol weit mehr als 100 Treffen von hohen Regierungsvertretern mit der Autolobby. Allein der Automobilindustrieverband VDA sprach etwa 87 Mal mit hochrangigen Regierungsvertretern und reichte an die 60 "Positionspapiere" und "Stellungnahmen" ein.

Für die Autolobby waren es vier gute Jahre. Allein von 2013 bis 2015 verlängerte sich die Strecke, die alle Autos in Deutschland zurücklegten, von 715 auf 752 Milliarden Kilometer pro Jahr. Der Trend bei den Neuzulassungen zeigt, dass immer weniger Kleinwagen gekauft werden. Stattdessen werden spritfressende Geländewagen immer beliebter: Der SUV-Anteil stieg in dieser Zeit von acht auf zwölf Prozent. Fast alle werden fossil angetrieben.

Seit dem Antritt der Großen Koalition fahren rund 2,3 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotoren zusätzlich auf deutschen Straßen. Elektroautos gab es erst 40.000 und 2016 sanken die Zulassungen sogar – trotz Kaufprämie. Wäre es nach Verkehrsminister Dobrindt gegangen, hätte es die Prämie allerdings gar nicht gegeben. Staatliche Förderungen für Klimaschutz lehnt er ab. Sich mit der Autolobby anzulegen ebenfalls.

Das zeigte sich im April 2016: Zum "Autogipfel" mit Bundeskanzlerin Merkel, Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) und Verkehrsminister Dobrindt kommen Vertreter der großen Autohersteller VW, BMW und Daimler sowie Matthias Wissmann, Chef des Branchenverbands VDA, ins Berliner Kanzleramt. Die Bundesregierung braucht die Zustimmung der Autoindustrie für das "Regierungsprogramm Elektromobilität". Bis zuletzt kämpft Dobrindt an der Seite der Autokonzerne gegen die E-Auto-Förderung.

Dann kommt sie doch – aber entpuppt sich schnell als Flop: In gut sechs Monaten nach Einführung gehen nur 9.000 Anträge ein. Von einer "technologischen Spitzenstellung" – wie es im Regierungsprogramm heißt – kann nicht die Rede sein. Auch Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bezweifelt, dass sich die Marke "Made in Germany" so auf dem Elektroauto-Weltmarkt etablieren wird. Zum Vergleich: Während es in Deutschland nur maximal 4.000 Euro Zuschuss pro Autokauf gibt, belohnt Frankreich seine Dieselfahrer mit 10.000 Euro, wenn diese auf Elektroantrieb umsteigen.

 

Sechs Monate später sind die Autobauer wieder in Alarmbereitschaft: China kündigt eine verbindliche Elektroauto-Quote von acht Prozent ab dem Jahr 2018 an. Die Konzernchefs greifen zum roten Telefon. Besonders erfolgreich ist Hubertus Troska vom Daimler-Vorstand. Er darf Gabriel auf seiner nächsten Chinareise begleiten. Wenige Monate später bricht Gabriel – mittlerweile Außenminister – zu einer weiteren Reise nach Peking auf, um die Chinesen zu überzeugen, die Quote zu entschärfen.

Und tatsächlich: Gabriel ringt der chinesischen Regierung das Versprechen ab, die deutschen Hersteller mit Samthandschuhen anzufassen – was China wenige Wochen später jedoch wieder relativiert. Nahezu zeitgleich verkündet Bundeskanzlerin Merkel auf einem Kongress des CDU-Arbeitnehmerflügels fast beiläufig, dass das Regierungsziel von einer Million E-Autos bis 2020 nicht mehr zu schaffen sei.

Umweltministerin Hendricks kann nur ohnmächtig zuschauen, wie Merkel, Dobrindt und Gabriel über ihren Kopf hinweg die Verkehrswende ausbremsen. "Wir dürfen diese Chancen nicht verspielen", warnt Hendricks beim beim "Petersberger Klimadialog" im Mai 2017, Seite an Seite mit dem chinesischen Klimabeauftragten, "sonst werden wir das noch bereuen." Sie fordert eine E-Auto-Quote à la China. Doch ihre Rufe bleiben ungehört.

Bus, Bahn, Fahrrad: Fehlanzeige

Dabei könnten mehr Elektroautos dem Klima richtig viel bringen: Zurzeit emittieren die Pkws in Deutschland laut Zahlen des Öko-Instituts beim Fahren rund 100 Millionen Tonnen Kohlendioxid pro Jahr. Würde man alle Pkws durch Elektroautos ersetzen, könnte man diese 100 Millionen Tonnen vollständig einsparen und damit die deutschen Verkehrsemissionen gegenüber 1990 um 60 Prozent senken. Natürlich nur, wenn der Strom komplett aus Erneuerbaren kommt. Doch allen guten Argumenten zum Trotz: Die "Baden-Württemberg-Connection" hält fest an ihrem Kernelement: dem Verbrennungsmotor. Und die Politik hilft ihr dabei.

Januar 2016: Werner Reh raucht der Kopf. Der 63-jährige Verkehrsexperte des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) sitzt vor einem riesigen Papierberg, seine Mailbox ist voll und sein Kalender platzt aus allen Nähten: Nur noch bis zum März können Verbände ihre Stellungnahmen zum neuen Bundesverkehrswegeplan (BVWP) einreichen – das ist ihre einzige Chance, die nächsten 13 Jahre deutsche Infrastrukturpolitik mitzugestalten. Für den Umweltverband geht es um viel: Alternativen zum Autobahn-Neubau finden, öffentlichen Verkehr stärken, Ortsumfahrungen prüfen.

Elf Monate später tritt in der Berliner Invalidenstraße ein strahlender Alexander Dobrindt vor die Presse und verkündet: "Die Autobahnen sind das Rückgrat unserer Mobilität." Tatsächlich fließt die Hälfte der 270 Milliarden Euro des "größten Investitionsprogramms, das es je gegeben hat" in den Neu- und Ausbau von Straßen. "Mit dem Ausbau der Fernstraßen bekämpfen wir die Stau-Republik und sparen CO2", behauptet Dobrindt. Fast im gleichen Wortlaut twittert der VDA noch am selben Tag: "BVWP setzt richtige Akzente. Erhalt, Engpassbeseitigung und Brückenbau machen Verkehr flüssiger und sicherer. Dadurch weniger Staus und CO2."

Kein Alternativvorschlag kommt durch

Werner Reh hingegen hat immer noch keine Post vom Verkehrsminister bekommen. Außer einer Eingangsbestätigung für seine Anmerkungen. Darin versprach das Ministerium, seine Vorschläge "gemäß dem Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung" zu studieren. Doch keines der über 100 eingereichten Alternativprojekte zum Ausbau von Autobahnen oder Bundesstraßen fand im Verkehrswegeplan Erwähnung. Monatelange Diskussionen mit Bürgern, Gutachtern, Land- und Stadträten waren umsonst. Die 300 Seiten vom BUND verstauben nun in Dobrindts Ministerium.

Dafür ist im ADAC-Hauptquartier in München gute Stimmung. Der Beteiligungsprozess sei "zufriedenstellend" verlaufen, heißt es aus der Pressestelle. Man sei "regelmäßig informiert und angehört" worden. Der Verband der Autofahrer hatte fast 130 neue Autobahnstrecken und -erweiterungen als vordringlich empfohlen. So gut wie alle stehen nun im Bundesverkehrswegeplan.

Diese Politik hat ihren Preis: Der Bundesverkehrswegeplan verfehlt laut Umweltbundesamt elf der zwölf im eigenen Umweltbericht gesetzten Ziele. Die deutsche Autolobby hat sich wieder einmal durchgesetzt.

Abgasskandal: Der Totalschaden

Juni 2017: Herbert Behrens könnte erleichtert sein. Der Abgeordnete von der Linksfraktion hat monatelang den Untersuchungsausschuss des Bundestags zum Abgasskandal geleitet. Just als der seine Arbeit abschließt, gibt Verkehrsminister Dobrindt neue Zahlen des Kraftfahrt-Bundesamts bekannt: Nur zwei Automodelle stoßen mehr Kohlendioxid aus, als sie sollten. Und diese beiden werden ohnehin nicht mehr produziert. Will sagen: Anders als bei den Angaben zu Stickoxiden haben die Autohersteller bei der Messung der klimaschädlichen Treibhausgase nicht systematisch betrogen.

Herbert Behrens ist aber nicht erleichtert, sondern fassungslos. "Der Verkehrsminister ist der Schutzpatron der Autoindustrie und eine Gefahr für Klima und Verbraucher", sagt er. Beim Testen verschiedener Autos hat das Kraftfahrt-Bundesamt Spielräume bis in den Graubereich ausgenutzt: Die Testfahrzeuge wurden schon Stunden vorher auf die perfekte Temperatur gebracht, der Fahrstil der Tester war extra schonend, Klimaanlagen und andere CO2-Quellen außer dem Motor wurden ausgeschaltet. Alles erlaubt, sagt Dobrindt. Ob das überhaupt stimmt, ist nicht ganz klar.

Auf jeden Fall: Wie viel CO2 die getesteten Autos wirklich auf der Straße ausstoßen, weiß nach dem neuen Bericht immer noch niemand. War wieder die Baden-Württemberg-Connection aktiv? So weit hergeholt ist das nicht. Auf dem VDA-Jahreskongress 2016 hatte Dobrindt angekündigt, er werde bei der "Aufarbeitung der Manipulationen" nicht die Konfrontation suchen, sondern mit den Herstellern "zusammenarbeiten".

Zu diesem Zeitpunkt wissen weder der Verkehrsminister noch sein Kritiker Behrens, dass es zwei Monate später neue Vorwürfe geben wird, schwere Vorwürfe. Dobrindts Kraftfahrt-Bundesamt soll Untersuchungsberichte geschönt haben – zugunsten von Autokonzernen. Der Verkehrsminister als oberster Chef des KBA gerät erstmals persönlich ins Visier der Ermittlungen.

Luftverkehr: Dobrindt hebt ab

Mai 2017: Stefan Schulte hat das neue Luftverkehrskonzept aus dem Bundesverkehrsministerium auf den Tisch bekommen. Während Umweltverbände und Opposition das Papier in der Luft zerreißen, spricht der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Luftverkehrswirtschaft von einem "guten Signal für die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Luftfahrt".

Kein Wunder, schließlich wünscht sich der Verkehrsminister noch mehr Luftverkehr: "Fliegernationen sind Wohlstandsnationen." Dobrindt will Fluggesellschaften entlasten, etwa die Senkung oder gar Abschaffung der Luftverkehrssteuer prüfen. Für Flughäfen wünscht er sich "Kapazitätserweiterungen, gute Verkehrsanbindungen und bedarfsgerechte Betriebszeiten".

Das Steuergeschenk für die Luftfahrtunternehmen wäre keine Ausnahme: Insgesamt subventioniert der Staat die fossilen Verkehrsmittel mit 28 Milliarden Euro pro Jahr. Das ist laut dem Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), einem Nachhaltigkeits-Thinktank, mehr als die Hälfte der Steuerbegünstigungen und Subventionen für sämtliche fossilen Energieträger in Deutschland. Darunter sind bereits eine Steuerbefreiung für Kerosin und eine Steuerbegünstigung für Diesel.

Dem gegenüber stehen die jungen Förderpflänzchen wie das Ladesäulenprogramm für Elektroautos, das mit 300 Millionen ausgestattet ist – nicht einmal vier Prozent der Summe, die dem Staat pro Jahr durch die Steuervergünstigung beim Diesel in Höhe von acht Milliarden jährlich entgeht.

Juli 2017: Es heißt, Verkehrsminister Alexander Dobrindt wolle nach der Bundestagswahl in die Wirtschaft wechseln. Dann würde er auch offiziell für die Interessen arbeiten, die er als Politiker schon vertreten hat.

 
Dieser Beitrag ist eine Kooperation mit dem Recherchezentrum Correctiv. Die Correctiv-Redaktion finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch ist es, mit gründlicher Recherche Missstände aufzudecken und unvoreingenommen darüber zu berichten.

Die Serie zur Klimabilanz der Bundesregierung

Teil 1: Der Klima-Schmutzplan
Teil 2: Wie der Kohleausstieg vereitelt wurde
Teil 3: Warum die Wärmewende nicht kommt
Teil 4: Landwirte legen Klimaschutz lahm
Teil 5: Auto-Republik Deutschland