Angeblich kennen Autobesitzer keine anderen Kosten als die reinen Spritpreise. (Foto: Orlen Deutschland/​Wikimedia Commons)

Ein ewiger Quell des Erstaunens für Umweltjournalisten ist, wie es Forschern gelingt, totgerittene Gäule wiederzubeleben. So eine Infusion setzten jetzt Experten des Essener Wirtschaftsforschungsinstituts RWI, der Universität Mannheim und der Yale University.

Dazu hatte man vom Umfrageinstitut Forsa Mitte 2018 rund 5.500 Autobesitzer ihre Kosten für das Gefährt schätzen lassen. Die auch von der Stiftung Mercator geförderte Studie, gerade veröffentlicht im Fachjournal Nature, kommt zu der autobahnbrechenden Erkenntnis, dass deutsche Pkw-Besitzer die wahren Kosten ihrer fahrbaren Kiste unterschätzen – um bis zu 50 Prozent.

Heiliger Auspuff! Diese Tatsache ist so alt wie das Auto als Massenverkehrsmittel. Seit Jahrzehnten listen einschlägige Autoklubs akribisch die Kosten der Blechkutschen auf: Wertverlust, Fixkosten, Steuern, Versicherungen, Reparaturen und Kraftstoff. Die aktuelle ADAC-Liste umfasst 9.000 Modelle und die Gesamtkosten pro Kilometer Autobewegen reichen von unter 30 Cent bis zu drei(!) Euro.

Das Umweltbundesamt (UBA) veranschlagt die durchschnittlichen Kosten pro Autokilometer auf 30 bis 40 Cent. Damit sind die größten Automassen erfasst.

Mit den UBA-Angaben können auch "dumme" Autofahrer rechnen: So kostet die ICE-Bahnfahrt von Berlin nach Leipzig im Sparpreis, also mit Zugbindung, pro Person – mit der seit Jahresanfang abgesenkten Mehrwertsteuer – knapp 30 Euro. Ein Auto, das pro Kilometer 35 Cent kostet, kommt mit diesen 30 Euro rund 85 Kilometer weit.

Sitzen zwei Leute im Auto und haben dementsprechend 60 Euro zur Verfügung, kommen sie schon 170 Kilometer weit – das ist fast die Strecke von Berlin nach Leipzig. Wie sich eine drei- oder vierköpfige Familie bei dieser Kostenrechnung entscheidet, da muss man nicht lange nachdenken.

Steile "Hochrechnung"

Natürlich sind in den Autos meistens Alleinfahrer unterwegs, und die zahlen dann im Vergleich zu öffentlichen Verkehrsmitteln drauf. Die ohnehin teureren SUV kosten je Kilometer oft sogar zwischen 50 und 90 Cent – und werden trotzdem wie blöde gekauft. Das zeigt, dass die Kosten – anders als in der Studie behauptet – gar nicht der entscheidende Faktor sind. Der private Autobesitz ist ein teurer Spaß, den man sich leisten will, kann – oder oft auch muss.

Vollends abgefahren wird die Studie, wenn sie eine "Hochrechnung" präsentiert, nach der eine "höhere Transparenz über die wahren Kosten des Autobesitzes" im Optimalfall den Pkw-Besitz in Deutschland um bis zu 37 Prozent senken könnte – also praktisch jedes dritte Auto in die Schrottpresse wandern ließe. Dann würde der Verkehrssektor auch gleich ein Viertel seiner CO2-Emissionen verlieren.

Diese "Hochrechnung" ist mehr oder weniger ein Witz. Jeder, der einigermaßen mit dem Thema befasst ist, weiß, das gerade beim Auto die sogenannte Preiselastizität ein ziemlich unsicherer Faktor ist. Es ist schwer vorauszusagen, wie sich die Autobesitzer verhalten, wenn man ihnen die "wahren" Kosten vor Augen hält oder ihnen diese gar mit einer angemessenen CO2-Steuer abverlangen würde.

Wer aufs Auto angewiesen ist, verteilt dann eben die Ausgaben im Haushalt um oder fährt weniger oder bildet Fahrgemeinschaften. Die sogenannten Ausweichreaktionen im "dummen" wahren Leben sind oft vielfältiger, als sich Studienautoren das ausrechnen.

Unterschwellige Botschaften

Viele Verbraucher würden lieber auf Elektroautos oder ÖPNV setzen, wenn sie die wahren Kosten eines konventionellen Pkw stärker berücksichtigen würden, lässt sich jedoch Mark Andor, RWI-Umweltökonom und Studienautor, in der Presseerklärung zitieren.

Verbraucherschutzorganisationen sollten deshalb "gemeinsam mit dem Staat", helfen, die Autobesitzer besser zu informieren, findet der RWI-Experte. Damit lasse sich "ohne große zusätzliche Kosten für den Staat oder die Bürger" ein deutlicher Schritt zu einer nachhaltigen Verkehrswende tun.

Schlimmer als die "Hochrechnung" sind die unterschwelligen Botschaften, die diese Studie zu verbreiten sucht. Die erste: Die "wahren" Kosten des Autofahrens sind schon hoch genug. Diesel- und Dienstwagenprivileg abschaffen? Spürbare CO2-Steuern? Pkw-Maut? Parken verteuern? Alles eigentlich nicht nötig.

Die zweite Botschaft: Klimaschutz im Verkehr kann einfach und billig sein. Kläre die Autofahrer ein bisschen auf, was der heiße Stuhl unter ihnen so kostet, und schon klappt es mit dem CO2-Sparen! Autofreie Innenstädte? Stellplatzpflicht abschaffen? Verbot des Verbrenners? Alles eigentlich nicht nötig.

Andi Scheuer, unser Anti-Tempolimit-Verkehrsminister, wird sich die Studie frohlockend hinters Lenkrad klemmen und sie in der nächsten Talkshow zitieren: Die "dummen" Autofahrer, die nicht rechnen können, die sind schuld, wenn es wieder mal nicht klappt mit dem Klimaschutz im Verkehr.

Und die Klimaschützer, die Scheuer zu Recht für einen klimapolitischen Geisterfahrer halten, stehen dann auch ziemlich dumm da. Zu diesem Zweck reanimiert man einen toten Gaul.