Klimareporter°: Herr Stolten, Sie sagen: Die Klimaziele sind nur zu erreichen, wenn es gelingt, das Treibhausgas Kohlendioxid wieder in großen Mengen aus der Atmosphäre zu entfernen – und zwar auch durch technische Maßnahmen. Also sozusagen mit CO2-Stausaugern. Ist das überhaupt machbar?

Man muss wissen: Ohne die direkte Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre können weder das 1,5- noch das Zwei-Grad-Limit der Erderwärmung längerfristig eingehalten werden. Das hat der Weltklimarat IPCC klar festgestellt. Eine CO2-Entnahme mit dieser Direct-Air-Capture-Technologie ist ab etwa den 2060er Jahren erforderlich.

 

Die positive Nachricht hier ist: Diese Option inklusive der Speicherung des Treibhausgases in tiefen geologischen Formationen wird wohl schon ab 2035 billiger sein, als gewisse schwer vermeidbare Rest-Emissionen komplett zu vermeiden, die verteilt entstehen, beispielsweise im Flugverkehr. 

Da DAC, also Direct Air Capture, absehbar also schon mittelfristig etabliert sein wird, dürfte es ab Mitte des Jahrhunderts in jedem Fall in großem Stil kosteneffizient einsetzbar sein.

Um welche CO2-Mengen geht es da?

Deutschland will laut Klimaschutzgesetz bis 2045 treibhausgasneutral werden. Das wird überwiegend durch erneuerbare Energien geleistet werden. Bei schwer vermeidbaren Emissionen wird die CO2-Einsparung nach unseren Berechnungen auf diesem Weg aber teurer als die DAC-Technik sein.

Es wird zwischen 2040 und 2045 um rund 53 Millionen Tonnen pro Jahr gehen, die günstiger aus der Atmosphäre entfernt werden können. Zum Vergleich: Das sind immerhin fast zehn Prozent der CO2-Emissionen, die 2023 bundesweit ausgestoßen wurden.

Es geht also durchaus um große Mengen, aber die sind technisch beherrschbar. Auch die jetzt avisierten Speicherkapazitäten unter der Nordsee in leergeförderten Erdöl- und Erdgasfeldern reichen dafür aus.

Besteht nicht die Gefahr, dass die Technik dann als Ausrede genutzt wird, um doch weiter fossile Energien zu benutzen? Nach dem Motto: Wir können das dabei entstehende CO2 ja dann wieder aus der Atmosphäre holen?

In einem Hangar steht ein großes Passagierflugzeug, aufgenommen von schräg unten hinten.
Den Emissionen energieintensiver Branchen wie Stahl oder Luftverkehr lässt sich nur mit CO2-Speicherung beikommen, meint Detlef Stolten. (Bild: Alekndseju/​AAPPP/​Shutterstock)

Die Verlockung ist da. Es könnte in der Tat Politiker oder Manager geben, die zum Beispiel Kraftwerke weiter mit Erdgas statt mit Wasserstoff oder Pkw mit Verbrennungsmotoren weiterhin mit fossilem Kraftstoff betreiben lassen wollen.

Doch hier müssen wir ein Stoppschild aufstellen. Eine solche Strategie würde nicht aufgehen. Die direkte CO2-Entnahme aus der Luft wäre deutlich teurer, als das CO2 zu vermeiden, bei den Pkw etwa durch Umstellung auf E-Antrieb. Außerdem würden die Speicher für die dann viel größeren CO2-Mengen nicht ausreichen.

Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Er muss regeln, dass es das Verfahren wirklich nur zum Ausgleich der Restemissionen einsetzt werden darf.

Besteht nicht die Gefahr, dass andere Staaten noch länger an fossilen Energien festhalten, wenn das Entfernen von CO2 relativ günstig möglich wird? Ölstaaten im Nahen Osten peilen das bereits an.

Diese Gefahr besteht durchaus, wäre aber eindeutig die falsche Strategie. Ob so etwa umsetzbar wäre, ist allerdings auch eine Frage der Kosten für die Technologie. In großem Stil würde das nur funktionieren, wenn sie noch deutlich weiter sinken würden. Ob das so kommt, ist offen.

Bisher gibt es nur Pilotanlagen, die das CO2 wieder direkt aus der Luft entfernen können. Die Schweizer Firma Climeworks, eine der ersten in dem Feld, hat ihre ursprünglich hochfliegenden Pläne stark heruntergefahren. Sie wollte schon 2025 ein Prozent der jährlichen globalen Emissionen aus der Luft filtern, 400 Millionen Tonnen. Aktuell schafft sie maximal 40.000 Tonnen, ein Zehntelpromille davon …

Climeworks hat eine sehr gute Technologie entwickelt, sie dürfte weltweit führend sein. Dass die ursprünglichen Ziele nicht erreichbar sind, spricht nicht gegen sie. Sie sollte, wie die der Konkurrenz etwa aus den USA, konsequent weiterentwickelt werden.

Um 2040 dürften nach unseren Berechnungen Kosten von 200 bis 300 Euro pro Tonne CO2 möglich sein, und dann sind die Verfahren für die Rest-Emissionen auch in industriellen Sektoren wie der Chemikalien-, Stahl-, Zement- oder Glasherstellung kosteneffizient einsetzbar.

Wie muss man sich diese CO2-Infrastruktur vorstellen? Wo würden die DAC-Anlagen zur Luft-Filterung stehen?

Bild: privat

Detlef Stolten

vom Forschungs­zentrum Jülich ist Sprecher des Projekts "Dacstore", in dem Möglichkeiten zur direkten Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre und zur Speicherung im Untergrund analysiert werden. Daran beteiligt sind sechs Helmholtz-Zentren und die TU Berlin. Professor Stolten ist Metallurg, er leitet das Institut Jülicher System­analyse und hat den Lehrstuhl für Brennstoff­zellen an der RWTH Aachen inne.

Große Anlagen werden vor allem gebaut werden, wo erneuerbare Energien preiswert verfügbar sind und die Wege zu den unterirdischen Speichern kurz sind. In Deutschland käme zum Beispiel Ostfriesland infrage, wo es viel günstigen Windstrom gibt und mögliche Lager in der Nordsee gut erreicht werden können.

Eine andere Region wäre in Nordrhein-Westfalen an der niederländischen Grenze, wo man leichten Zugang zu den ausgebeuteten Erdgasfeldern bei Groningen hätte. International kämen Nahost-Länder wie Saudi-Arabien infrage, wo die Kosten für Solarstrom inzwischen gegen einen Cent pro Kilowattstunde betragen.

Aber es gibt auch ein sehr interessantes dezentrales Konzept. Die Idee ist hier, vorhandene Lüftungsanlagen in größeren Bürogebäuden mit DAC-Modulen zu erweitern und das CO2 hier abzuscheiden. Das hätte den Vorteil, dass keine Flächen für zusätzliche Industrieanlagen gebraucht würden. Es wird derzeit aber noch erforscht, ob das gut funktioniert, wie der Abtransport des CO2 zu lösen wäre und ob es kosteneffizient ist.

Das CO2 muss in großen Mengen in unterirdische Lager gepresst werden. Die Bundesregierung will Flächen unter der Nordsee dafür freigeben. Reichen die Kapazitäten, die dort vorhanden sind?

Sie reichen, wenn wirklich nur die nicht vermeidbaren Rest-Emissionen eingelagert werden sollen. Sie reichen schon nicht mehr, falls die geplanten Backup-Kraftwerke für wind- und sonnenarme Zeiten längerfristig mit Erdgas betrieben werden. Das muss die Bundesregierung ausschließen und entsprechende Maßnahmen treffen.

Halten Sie das Verpressen von CO2 in den alten Öl- und Gaslagern für dauerhaft sicher? Es muss ja ausgeschlossen sein, dass das Gas irgendwann wieder an die Erdoberfläche kommt.

Man kann es sicher machen. Es ist möglich, Bohrungen, die früher gesetzt wurden, um Öl oder Erdgas zu fördern, und etwaige neue wieder dicht zu verschließen. Die Dichtigkeit muss dann aber auch dauerhaft überprüft werden.

 

In der Vergangenheit gab es heftigen Widerstand in Regionen, die für ein CO2-Endlager vorgesehen waren, etwa in Schleswig-Holstein. Erwarten Sie, dass es künftig anders wäre?

Da man sich, wenn es um Speicherung an Land geht, auf die Regionen mit alten Öl- und Gasfeldern konzentrieren dürfte, erwarte ich hier wenig Widerstand. Dort wurde ausgefördert, und nun kann man dort wieder einfördern. Viele der Anlagen existieren ja noch, es ist ein Pipeline-Netz vorhanden, und die Bohrlöcher existieren noch.

Regionen wie Schleswig-Holstein, wo man das CO2 in wasserführende Gesteinsschichten verpressen wollte, stehen derzeit nicht im Fokus.