Gero Lücking. (Foto: Amac Garbe)

Immer wieder sonntags: Unsere Herausgeber erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Lücking, im August hat es erstmals eine Photovoltaik-Anlage geschafft, sich einen ganzen Monat allein durch den Stromverkauf zu finanzieren – ohne die Marktprämie. Ist das eine Zeitenwende für die Erneuerbaren, wie der Branchenverband BEE prognostiziert?

Gero Lücking: Es ist eine Momentaufnahme. Die längerfristige Entwicklung ist offen. Der Grund liegt in den deutlich gestiegenen Großhandelspreisen für Strom in den letzten Monaten. Wie die sich weiter entwickeln werden, weiß kein Mensch. 

Die Börsenpreise sind derzeit beispielsweise von den höheren Preisen für die CO2-Emissionszertifikate getrieben. Die Abstürze an den Börsen dämpfen dagegen die Rohstoffpreise, die ungeplanten Ausfälle der belgischen Atomkraftwerke, die sich wohl über den Winter hinziehen werden, stützen jedoch wiederum die Nachfrage nach fossilen Energieträgern wie Kohle.

Politische Risiken wie der andauernde Handelskonflikt zwischen den USA und China, die Verstrickung Saudi-Arabiens in das Verschwinden des Journalisten Jamal Khashoggi, die Neuverschuldung Italiens und nicht zuletzt der Brexit werden ebenfalls an den Börsen eingepreist und stützen die Preise auf hohem Niveau. Es gibt also sowohl preisdämpfende als auch preistreibende Einflüsse.

Derzeit liegen die Börsen-Strompreise aber auf einem vergleichsweise hohen Niveau. Das führt dazu, dass Solarstrom-Anlagen ohne finanzielle Unterstützung aus dem EEG auf ihre Kosten kommen. In jedem Fall eine gute Nachricht, weil es den Weg in die Wirtschaftlichkeit aufzeigt.

Und da derzeit die Emissionspreise einen wesentlichen Einfluss auf die Preise ausüben, hat das alles auch eine positive Lenkungswirkung. Schon ruft das Kohleland Polen nach finanzieller Unterstützung aus der EU. Nur wenn CO2 dauerhaft einen Preis hat, der schmerzt, wird der Umbau zu CO2-armen oder CO2-freien Energietechnologien wie der Photovoltaik gelingen.

So gesehen geht es voran. Ob es schon die Zeitenwende ist, ist offen.

Die EEG-Umlage wird im kommenden Jahr erneut sinken, aber die Netzentgelte werden steigen. Woran liegt das und wie lässt sich verhindern, dass dadurch die Energiewende an Zustimmung verliert?

Die hohen Großhandelspreise für Strom lassen auch die EEG-Umlage sinken. Noch ein positiver Effekt, auch wenn man natürlich nicht vergessen darf, dass die Verbraucher immer die Summe aus gestiegenen Großhandelspreisen einerseits und gesunkener EEG-Umlage andererseits bezahlen müssen.

Hinzu kommen die Netzentgelte, die inzwischen den größten Einzelposten auf jeder Stromrechnung ausmachen. Sie werden im nächsten Jahr ein Rekordniveau erreichen.

Und die Steigerung wäre noch höher ausgefallen, wenn nicht ein Taschenspielertrick angewendet worden wäre. Denn aus den Entgelten für die Hoch- und Höchstspannungsnetze wurden die Kosten für die Anbindung der Offshore-Windkraftanlagen herausgerechnet.

Das lässt zwar den Anstieg der Netzentgelte insgesamt moderater erscheinen, aber weg sind die Kosten deshalb noch lange nicht. Sie finden sich in der sogenannten Offshore-Umlage wieder, die deshalb überproportional ansteigt.

Und weil sich die energieintensive Industrie an der Finanzierung dieser Umlage weniger beteiligt und dadurch der Großteil dieser Kosten den Gewerbetreibenden und Haushalten aufgebürdet wird, steigt die Belastung für diese Kundengruppe überproportional stark. Und die Netzbetreiber reklamieren Erfolge für sich, die es nicht gibt.

Wir brauchen eine wirksamere Kontrolle der Netzbetreiber, eine deutliche Reduktion ihrer Monopolrenditen und den Abbau von Bürokratie durch den Zusammenschluss zu maximal 25 effizienten Netzgesellschaften in Deutschland.

Wenn die Bundesregierung keine vernünftigen Maßnahmen für den Kohleausstieg beschließt, könnte auch in Deutschland nach niederländischem Vorbild für höhere Klimaziele geklagt werden, sagt der Umweltjurist Hermann Ott im Klimareporter°-Interview. Können Gerichte für bessere Klimapolitik sorgen?

Zumindest hat mir der Tweet der niederländischen Initiatoren gut gefallen. Nach Verkündung des Urteils twitterte die Stiftung Urgenda: "Der Richter hat Hackfleisch aus der Berufung des Staates gemacht." So muss sich auch RWE nach Verhängung des Rodungsstopps für den Hambacher Wald durch das Oberverwaltungsgericht Münster gefühlt haben.

Und VW-Chef Diess fühlt sich ja offenbar auch schon wie im Fleischwolf. Zumindest wittert er einen "Feldzug gegen die individuelle Mobilität" und prangert eine "beinahe hysterische Stickoxiddiskussion um wenige Problemzonen in unseren Städten" an. Unterdessen fährt die Deutsche Umwelthilfe einen gerichtlichen Erfolg nach dem anderen ein.

Der Weg über die Gerichte eröffnet zusätzliche Möglichkeiten und Chancen. Auch wenn dieser Weg mitunter lange dauert, er zeigt zunehmend Erfolg. In der Kampagnenplanung von Umweltorganisationen wird er also zukünftig wohl immer mitgedacht werden. Und diese gerichtlichen Erfolge werden vor dem Hintergrund der Untätigkeit der Politik immer wichtiger. 

Wenn jetzt also auch noch die Klage des peruanischen Bergbauern gegen die Klimazerstörung durch RWE erfolgreich ausgehen wird, wird RWE-Chef Schmitz die Frikadelle sicher im Hals stecken bleiben.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Nachdem in London die ersten elektrischen Taxis erfolgreich eingeführt wurden, folgt jetzt Paris. Auch dort sollen die Black Cabs genannten, typisch englischen Taxen genutzt werden. Natürlich auch elektrisch betrieben, um die Luft- und Lärmemissionen zu senken. Sie werden von einem chinesischen Autokonzern gefertigt.

Und fast unbemerkt von der Öffentlichkeit hat Aldi Süd den ersten vollelektrischen 40-Tonnen-Lkw auf die Straße gebracht. Übrigens, wie der Streetscooter der Post, auch eine Eigenentwicklung. 

Die modernen, zukunftsweisenden Entwicklungen scheinen an der traditionellen deutschen Autoindustrie vorbeizugehen. Kein Wunder, dass VW-Chef Diess wütend ist. Das hat nur andere Gründe, als er glaubt.

Fragen: Friederike Meier

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