Gero Lücking. (Foto: Amac Garbe)

Immer wieder sonntags: Unsere Herausgeber erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Gero Lücking, Geschäftsführer für Energiewirtschaft beim unabhängigen Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Lücking, die Kohlekommission hat in dieser Woche ihre Arbeit aufgenommen. Ist das eine Chance für die Energiewende oder der Versuch der großen Koalition, den Kohleausstieg hinauszuzögern?

Gero Lücking: Wenn du nicht mehr weiterweißt, gründe einen Arbeitskreis. So fühlt sich die Kommission für mich an. Vielleicht müsste man "nicht mehr weiterwissen" durch "nicht entscheiden wollen" ersetzen. Mein Gefühl: Das wird nix, kostet nur Zeit. Am Ende werden wir auch nicht schlauer sein. Was getan werden müsste, ist ja bekannt. Und Entscheidungen nimmt die Kommission den Verantwortlichen auch nicht ab.

Aber so weit sind wir noch nicht. Jetzt geht es erstmal um die Geschäftsordnung, die sich die Kommission geben und nach der sie arbeiten will. Schritt für Schritt für Schritt ...

Die große Koalition hat ihre ersten 100 Tage absolviert. Die Erneuerbaren-Branche zieht eine düstere Bilanz und fordert einen CO2-Preis. Wie geht es weiter?

Jetzt ist erst mal Sommerpause. Und bis zur bayerischen Landtagswahl am 14. Oktober passiert nix.

Neuerdings hört man von der Bundesregierung, auch im Klimareporter°-Interview mit Umweltministerin Svenja Schulze: Der Verkehr sei das klimapolitische Sorgenkind. Was ist davon zu halten?

Der Verkehr ist nicht nur das klimapolitische Sorgenkind, sondern das Sorgenkind schlechthin. Wie sich die Leitindustrie der deutschen Wirtschaft in eine Sackgasse manövriert, ist sicher so noch nie vorgekommen. Dagegen erscheinen selbst die Veränderungen in der Energiewirtschaft geradezu harmlos. Der Klimaschutz ist dabei nur ein Aspekt.

Die Automobilindustrie ist total verunsichert. Gegen die Führungsetagen laufen Ermittlungsverfahren – ein Kozernchef sitzt in Untersuchungshaft. Die Geschichte, nur einige Einzeltäter aus dem mittleren Management seien für den Diesel-Skandal verantwortlich, erhält jeden Tag weitere Risse und fällt langsam aber sicher in sich zusammen.

Eine Zukunftsstrategie gibt es offenbar nicht. Zwar scheint es den Verantwortlichen so langsam zu dämmern, dass die Zukunft nicht in den Verbrennern liegt. Aber konkrete Konzepte – Fehlanzeige. Eine einzigartige Vertrauenskrise.

Und diese Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, das Zögern und Zaudern spiegelt sich auch in der Politik wider. Noch überwiegt der typische Reflex, das – zugegebenermaßen – erfolgreiche Alte zu beschützen. Mit der Gefahr, dass man damit am Ende nichts rettet, sondern alles verliert. Jedenfalls traut sich derzeit kein führender Politiker, den Umbau des Individualverkehrs oder der Mobilitätsgewohnheiten vehement einzufordern und der Autoindustrie klare Leitplanken für den Weg in die Zukunft vorzugeben, um sie damit in eine erfolgreiche Zukunft zu führen.

Aber auch der Umgang der Politik mit den Autofahrern ist von der gleichen Unsicherheit und Orientierungslosigkeit geprägt. So traut man sich nicht, von den Konzernen Nachrüstungen zu verlangen, die die Autofahrer vor weiterem Wertverlust ihrer Pkw bewahren würden. Hier könnte man Wählerstimmen gewinnen. Andererseits traut man sich auch nicht, den Autofahrern die Wahrheit beim Thema Klimaschutz zu sagen. Hier könnte man Wählerstimmen verlieren.

Die Verbraucher selbst sind auch verunsichert. Einerseits wegen der Wertverluste, die ihre Autos erleiden, und weil sich kein Politiker zum Anwalt ihrer Interessen macht. Die Politik scheint illoyalen Managern der Autoindustrie näherzustehen als den eigenen Wählern. Anderseits ahnen die Autofahrer, dass in Bezug auf Fahrverbote und Klimaschutz noch viel auf sie zukommen wird.

Wenn man nichts entscheiden, aber Aktivität und Handlungsfähigkeit vortäuschen und Zeit gewinnen will, wie wäre es da mit einer "Autokommission"? Sie müsste natürlich einen schöneren Namen bekommen. Auch "Kohlekommission" ist ja nur der Arbeitstitel.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Eine Kommission der Bundesregierung – hier: eine Expertenkommission – legt einen Bericht vor und kommt zum Ergebnis, dass der Energieverbrauch im Verkehr zum vierten Mal in Folge gestiegen ist. Um das Klimaziel für 2020 zu erreichen, müsste der Verbrauch von zehn bis elf Millionen Pkw eingespart werden. In den nächsten zwölf Jahren – also bis 2030 – müssten 41 Prozent der CO2-Emissionen eingespart werden. Der Bericht kommt, wie man hört, mit halbjähriger Verzögerung.

Das alles fasst den derzeitigen Zustand gut zusammen: Die Klimaziele sind in weite Ferne gerückt, keiner weiß, wie man sie erreichen könnte, und das alles erfahren wir – wie die Deutsche Bahn es formulieren würde – "wegen Verzögerungen im Betriebsablauf" auch noch mit einem halben Jahr Verspätung. Passt gut zum Ausscheiden der deutschen Fußballnationalmannschaft, aber nicht zum schönen Sommerwetter.

Fragen: Susanne Schwarz

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