Ralf Schmidt-Pleschka
Ralf Schmidt-Pleschka. (Foto: privat)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Ralf Schmidt-Pleschka, Koordinator für Energie- und Klimapolitik beim Hamburger Ökostrom-Anbieter Lichtblick.

Klimareporter°: Herr Schmidt-Pleschka, nachdem die EU-Kommission ein CO2-Einsparziel für 2030 von mindestens 55 Prozent vorgeschlagen hat, fordert das Europaparlament ein Minus von 60 Prozent. Konservative Abgeordnete halten das für überzogen und warnen vor Wohlstandsverlusten. Eine berechtigte Sorge?

Nein, es ist doch andersherum: Wer Wohlstand für alle erhalten möchte, der muss jetzt die Reißleine ziehen und schleunigst raus aus den Fossilen und rein in zukunftsfähige Technologien.

Die Europäische Union hat das Paris-Abkommen selbst unterzeichnet. Sie ist also rechtlich verpflichtet zu der Verschärfung des CO2-Einsparziels. Ob 55 oder 60 Prozent, macht einen großen Unterschied. Gerade jetzt, da auch CO2-Senken mit in die Bilanz eingehen sollen. Das öffnet die Tür für Rechentricks.

Das EU-Parlament hat das verstanden und sich mit dem 60 Prozent-Ziel gut für die bevorstehenden Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten und der Kommission aufgestellt. Die Bundesregierung sollte alles tun, um das EU-Parlament zu unterstützen. Sie hat noch bis Jahresende die EU-Ratspräsidentschaft inne. Auf sie kommt es jetzt in hohem Maße an.

Der Klimaexperte der Deutschen Umwelthilfe Constantin Zerger kritisiert das System der Herkunftsnachweise für Ökostrom als Verbrauchertäuschung und Hindernis für die Energiewende. Teilen Sie diese Kritik?

Er legt den Finger in die Wunde, die auch die seriösen Ökostromunternehmen schon lange schmerzt. Es ist doch verrückt, dass im Energiewendeland Deutschland geförderter Ökostrom nicht direkt an Kunden verkauft werden darf. Stattdessen gibt es den Handel mit Herkunftsnachweisen.

Dessen Kontrollsystem funktioniert zwar – jede zertifizierte Kilowattstunde Ökostrom wird nachprüfbar erzeugt und nur einmal verkauft. Und man muss auch nicht Zertifikate aus Norwegen kaufen, sondern kann, wie Lichtblick, auf Zertifikate aus Deutschland zurückgreifen. Aber das alles entspricht doch nicht dem, was die Kunden erwarten. Sie wollen mit der Entscheidung für Ökostrom die Energiewende in Deutschland forcieren. Doch genau das können sie nicht.

Es wird also höchste Zeit für einen neuen Ökostrommarkt. Den könnten wir sehr schnell bekommen, wenn die Regierungskoalition sich trauen würde. Zwei Dinge müsste sie dafür tun.

Erstens den Rahmen für langfristige Stromlieferverträge – kurz: PPA – verbessern, etwa indem sie in den ersten Jahren Bürgschaften für die PPA-Pioniere übernimmt.

Zweitens sollte sie erlauben, Strom aus neuen EEG-Anlagen direkt an Endkunden zu verkaufen. Damit könnten wir die rasch wachsende Nachfrage nach 100 Prozent heimischem Ökostrom bedienen und den ganzen Zertifikate-Zauber nach und nach hinter uns lassen.

Das wäre nicht nur gut für Verbraucher, es wäre auch ein Riesenschritt für den Klimaschutz und die Marktintegration der Erneuerbaren. Ich kann nicht verstehen, warum die Regierungskoalition all das bei der aktuellen EEG-Debatte komplett ausblendet.

Während die USA unter Donald Trump den klimapolitischen Rückwärtsgang eingelegt haben, hat China kürzlich CO2-Neutralität vor 2060 angekündigt. Aus Sicht unserer Gastautoren von der Konrad-Adenauer-Stiftung sind Demokratien aufgrund zivilgesellschaftlicher Strukturen, politischen Wettbewerbs und freier Medien dennoch effektivere Klimaschützer. Wie blicken Sie auf den Systemwettbewerb zwischen demokratischen und autoritären Regierungen?

Zunächst einmal sind Ankündigungen noch keine Taten. China will 2060, Deutschland und Europa wollen 2050 klimaneutral sein. Das ist gut, aber Ziele wurden in der Vergangenheit schon oft aufgestellt und beinahe genauso oft verfehlt. Das können wir uns diesmal nicht leisten.

Im Gegenteil: Je näher wir dem Zieljahr kommen, umso mehr dürfte sich herausstellen, dass wir noch schneller sein müssen. Es wird also darauf ankommen, die künftigen Erkenntnisse über den Verlauf der Erderhitzung aufzugreifen und schnell in politisches Handeln umzusetzen. Vor dieser Herausforderung stehen alle Staaten, unabhängig von ihrem Regierungssystem.

Wir haben allen Grund, dabei auf die Stärke der Demokratie zu setzen. Die zeigt sich etwa beim Kampf gegen Covid-19. Mit wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen, einem offenen gesellschaftlichem Diskurs und transparenten politischen Entscheidungen kommen wir in dieser schweren Zeit zu wirksameren Lösungen als viele andere Länder. Warum soll das nicht auch bei der Herkulesaufgabe Klimaschutz gelingen?

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Die war diesmal gut versteckt im Kleingedruckten des Wortungetüms "Brennstoffemissionshandelsgesetz". Diese Woche hat der Gesetzgeber endlich beschlossen, dass ab 2021 für jede Tonne CO2 aus Brenn- und Treibstoffen 25 Euro an den Staat abzuführen sind. Im Gegenzug soll mit den Einnahmen unter anderem der Strompreis gesenkt werden. Eine gute Idee.

Aber ich habe mich zu früh gefreut. Jetzt wird erst noch in Hinterzimmern gekungelt, welche Unternehmen von der Abgabe befreit werden. Uns steht also eine Lobbyisten-Rallye par excellence bevor. Ob am Ende noch genug Geld für die versprochene Strompreissenkung in den Bundeshaushalt fließt? Ich habe da meine Zweifel.

Fragen: Verena Kern

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