Wer nach einem Fingerzeig für die schrumpfende Bedeutung der Braunkohle im Osten suchte, konnte ihn am Tag nach der Europawahl finden. Zum Wahlausgang zitierte eine Nachrichtenagentur nicht den Vorstandsvorsitzenden der Lausitz Energie AG (Leag), sondern Tesla-Chef Elon Musk. Teslas Gigafactory ist mittlerweile wichtiger als die geplante "Gigawattfactory" der Leag.
Die politischen Positionen der AfD würden "nicht extremistisch klingen", schrieb Milliardär Musk am Sonntag auf der ihm gehörenden Plattform X, früher Twitter.
Von Leag-Chef Thorsten Kramer gibt es, soweit bekannt, keine offizielle Äußerung zur Europawahl. An der Seite von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hatte Kramer allerdings wenige Tage vor der Wahl noch verkünden können, die EU-Kommission habe die 1,75 Milliarden-Euro-Entschädigung für die Leag wegen des Kohleausstiegs im Grundsatz gebilligt.
Gute Nachricht für Bergleute
Wirklich fließen werden davon vorerst 1,2 Milliarden Euro. Offiziell werden damit Folgekosten des Kohleausstiegs abgedeckt – zum einen bei der Rekultivierung der Bergbauflächen, zum anderen, um Leag-Beschäftigten künftig ein erhöhtes Anpassungsgeld oder eine aufgestockte Rente zahlen zu können.
Auf diese gute Nachricht wies Brandenburgs Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) die Kohlekumpel überdeutlich hin, als er – ebenfalls an der Seite von Habeck – die soziale Seite der Einigung mit der EU lobte.
Für Brandenburg habe es eine hohe Priorität gehabt, dass bei einem vorzeitigen Kohleausstieg die Gehälter gesichert seien, betonte Steinbach. Dies sei eine wesentliche Aussage für die Betriebsräte und auch für die Gewerkschaft, winkte der Minister mit dem wahlpolitischen Zaunpfahl.
Genützt hat es wenig. Bei der Europawahl landete die SPD in Brandenburg bei den Stimmenanteilen nur auf Platz vier. Bei den parallelen Kommunalwahlen reichte es, landesweit gerechnet, noch für den dritten Platz. Eine sozialdemokratische Ära neigt sich dem Ende zu. Seit 1990 stellt die SPD in Brandenburg den Ministerpräsidenten.
Möglicherweise wäre es für die Wahlstimmung auch in Brandenburg besser gewesen, die Ampel hätte sich weniger kohle- und mehr autolobbyistisch betätigt und zum Beispiel die gestrichene Kaufprämie für E‑Autos wieder in Kraft gesetzt.
Umweltverband sieht rechtsstaatliche Grundsätze verletzt
So oder so – um die 1,2 Milliarden für Rekultivierung und Soziales gibt es in der Öffentlichkeit wenig Debatten. Für den ostdeutschen Umweltverband Grüne Liga ist die Entscheidung der EU-Kommission dennoch nicht nachvollziehbar.
Der Staat dürfe dem Konzern nur solche Nachteile ausgleichen, die tatsächlich durch den gesetzlichen Kohleausstieg entstehen, sagt der Grüne-Liga-Vorsitzende René Schuster. Für den Braunkohleexperten wird "der Rechtsstaat ad absurdum geführt", wenn die Öffentlichkeit Tagebaufolgen finanziert, die von der Leag selbst verursacht wurden.
Verschiedenen Angaben zufolge hat die Leag bisher selbst knapp eine Milliarde an "werthaltigen Rücklagen" für die Braunkohlesanierung gebildet. Dabei sollen die eher kurzfristigen Sanierungskosten allein in der Lausitz irgendwo zwischen drei und vier Milliarden Euro liegen.
Die 1,2 Milliarden aus den öffentlichen Kassen entlasten also die Leag-Bilanz erheblich. Unternehmenschef Kramer will mit dem Geld auch den Aufbau einer "grünen Gigawattfactory" mit Solar- und Windkraftprojekten von zunächst 7.000 Megawatt mitfinanzieren.
Weniger klar zeigen sich die Verhältnisse bei den restlichen 550 Millionen Euro an Entschädigung. Ob die Leag die ganze Summe erhält oder nur einen Teil davon, da werde künftig "spitz gerechnet" werden, erklärte Wirtschaftsminister Habeck bei der Präsentation der Einigung mit der EU.
Nach dem geltenden Kohleverstromungsbeendigungsgesetz können die letzten Leag-Kohlekraftwerke frühestens 2035 und spätestens 2038 vom Netz gehen. Diese Ausstiegsdaten werden von der Ampel auch nicht mehr neu verhandelt, stellte Habeck bei der Gelegenheit erneut klar. Wolle die Leag früher aus der Kohle aussteigen, sei das eine privatwirtschaftliche Entscheidung, beschied der Wirtschaftsminister.
Welche Kraftwerke wie angerechnet werden, bleibt unklar
Laut dem Beendigungsgesetz – zum Nachlesen in Paragraf 44 zu finden – gibt es die Entschädigung für die "endgültige und sozialverträgliche Stilllegung von Braunkohleanlagen bis zum Ablauf des 31. Dezember 2029 nach Anlage 2". Bis Ende 2029 werden laut der Anlage bei der Leag gesetzlich stillgelegt: das Kraftwerk Jänschwalde, Block A bis D, sowie die Blöcke P und N in Boxberg.
Als Maßstab, ob der Leag bei Betrieb dieser Kraftwerksblöcke Gewinne durch den Kohleausstieg entgangen sind und das Unternehmen also zu entschädigen ist, sollen die Bedingungen auf dem Strommarkt ab dem Jahr 2039 gelten. Die Jahreszahl zitierte Habeck persönlich aus dem zur Pressekonferenz mitgebrachten Schreiben der bisher zuständigen EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager.
Das Wirtschaftsministerium selbst spricht in der Presseinformation zur Entschädigungs-Einigung davon, dass der Rest von bis zu 550 Millionen Euro an Voraussetzungen gebunden sei. Die Summe werde dann berücksichtigt, wenn sich in Zukunft bestätige, dass die Kraftwerke der Leag auch über die im Kohlebeendigungsgesetz vorgesehenen Stilllegungsdaten hinaus wirtschaftlich gewesen wären und der Leag somit aufgrund der gesetzlichen Ausstiegsregelung Gewinne entgehen.
Vom Jahr 2038 ist hier nicht die Rede, und gemeint sind offenbar auch alle Leag-Kraftwerke, die vom Gesetz erfasst sind, und nicht nur die, die bis Ende 2029 stillgelegt werden.
Wie das genau zu verstehen ist, welche fiktiven Gewinne welcher Kraftwerke ab wann für die 550 Millionen relevant sind – dazu konnte die Leag ihrerseits keine Auskunft geben. Man kenne auch nur die Mitteilung des Bundeswirtschaftsministeriums und nicht den Beschluss der EU-Kommission selbst, teilte das Unternehmen auf Anfrage mit.
Ein Sprecher des Wirtschaftsministeriums räumte dazu auf Nachfrage ein, die Modalitäten der Prüfung des Vorliegens entgangener Gewinne seien noch nicht abschließend geklärt. Dem Ergebnis könne daher, auch aufgrund des noch laufenden Beihilferechtsverfahrens, nicht vorgegriffen werden.
Ökostromer kündigt rechtliche Prüfung an
Wie schon bei der von der EU genehmigten 2,6‑Milliarden-Entschädigung für RWE hat der Ökostromversorger Green Planet Energy (GPE) auch im Fall der Leag eine rechtliche Prüfung der Entschädigungszahlung angekündigt.
"Die Leag bekommt Entschädigungen für einen Kohleausstieg, mit dem wir nicht einmal unsere Klimaziele erreichen – und das Ganze finanziert aus Steuergeldern", kritisierte GPE‑Vorstand Sönke Tangermann. "Als Wettbewerber werden wir die Entscheidung genau wie im Fall RWE juristisch genau prüfen."
Diese juristische Prüfung kann sich noch eine Weile hinziehen. Obwohl die EU-Kommission ihre Entscheidung im Fall RWE schon vor einem halben Jahr getroffen habe, seien die Details noch immer nicht veröffentlicht worden, beklagte Tangermann und forderte die Kommission auf, ihre Entscheidungsgrundlagen sowohl bei RWE als auch bei der Leag schnellstens der Öffentlichkeit zugänglich zu machen.