Einmal Ausstieg und zurück? Eine Zeitlang sah es so aus, als würde die künftige Bundesregierung die Stilllegung der zuletzt abgeschalteten Atomkraftwerke rückgängig machen. Die Union als mit Abstand größte Partnerin powerte dafür, den Ausstieg zurückzudrehen.
In der Vorlage der Groko-Sondierungsgruppe Energie und Klima stand in Unions-Blau eingefärbt der Wunsch von CDU und CSU: "Gerade mit Blick auf die Klimaziele und die Versorgungssicherheit kann die Kernenergie eine bedeutende Rolle spielen."
Im jetzt von Union und SPD präsentierten Koalitionsvertrag aber findet sich davon nichts mehr. Das ist das unübersehbare Signal: Deutschland hält an seinem Atomausstieg fest, der 2011 von der CDU-Bundeskanzlerin Angela Merkel nach dem Fukushima-Supergau eingeleitet worden war. Und das, obwohl sich das Image der Kernkraft in der Öffentlichkeit ins Positive gedreht hat.
Die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland waren vor zwei Jahren abgeschaltet worden. Zuletzt aber befürwortete laut einer Umfrage eine knappe Mehrheit der Deutschen von 55 Prozent den Wiedereinstieg in die Kernenergie, während nur ein gutes Drittel (36 Prozent) dies ablehnte.
In der Politik hätte sich die Union also in ihrem Pro-Atom-Kurs bestätigt sehen können. Sie wollte prüfen lassen, ob die zuletzt vom Netz genommenen Reaktoren noch reaktiviert werden können, und eventuell sogar neue Mini-AKW bauen, zudem mehr Geld in die Zukunftshoffnung Kernfusion stecken.
In der repräsentativen Online-Umfrage sprach sich im März knapp ein Drittel der Befragten (32 Prozent) dafür aus, in Deutschland neue AKW zu bauen. Weitere 22 Prozent plädierten dafür, dass nur die zuletzt stillgelegten Meiler wieder ans Netz gehen. In Auftrag gegeben hatte die Umfrage der Vergleichsportal-Anbieter Verivox.
Die Zustimmung zum Wiedereinstieg in die Kernenergie war mit 62 Prozent bei Männern besonders hoch, deutlich schwächer ausgeprägt hingegen bei Frauen mit 47 Prozent. Regional fand sich die größte Zustimmung mit sechs von zehn Befragten in Süd- und Ostdeutschland, während sie mit fünf von zehn in Nord- und Westdeutschland geringer ausfiel.
CDU-geführte Regierung stieg nach Fukushima aus
Der Ausstieg aus der Atomkraft, die zu Hochzeiten rund ein Drittel des hierzulande verbrauchten Stroms lieferte, war durch die AKW-Katastrophe in Fukushima endgültig besiegelt worden. Nach dem Super-GAU in Japan 2011 fasste der Bundestag parteiübergreifend den Beschluss, die damals noch betriebenen 17 AKW sukzessive vom Netz zu nehmen.
Nach den Kernschmelzen in den Fukushima-Reaktoren, die eine ganze Region unbewohnbar machten, war Konsens: Das "Restrisiko" auch westlicher Nukleartechnik ist zu groß, der Ausstieg notwendig.
Schließlich zeigten Sicherheitsberechnungen, dass auch bei Atomkraftwerken made in Germany schwere Unfälle mit einer radioaktiven Verseuchung weiter Flächen in der Umgebung, selbst von ganzen Großstädten, nicht ausgeschlossen waren.
Umfragen ergaben damals eine hohe Zustimmung zu der von Merkel vorangetriebenen Entscheidung. Legendär ist die überlieferte Reaktion der studierten Physikerin, nachdem sie die Explosionen in den Fukushima-Blöcken im TV gesehen hatte: "Das war's."
Nach dem Ende der Ära Merkel spürten die verbliebenen Atomfans in der Union wieder Oberwasser, und es sah so aus, als hätten sie auch gute Karten, um sich in den Verhandlungen mit der SPD durchzusetzen.
Zumindest ihre Forderung, nach einer "Bestandsaufnahme, ob ... eine Wiederaufnahme des Betriebs der zuletzt abgeschalteten Kernkraftwerke unter vertretbarem technischem und finanziellem Aufwand noch möglich ist", wie es im Papier der Energiepolitiker hieß, schien gute Chancen zu haben.
Doch davon ist im Koalitionsvertrag nun keine Rede mehr. Nur noch die Fusionsforschung spielt hier eine Rolle. "Unser Ziel ist: Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland stehen", heißt es. Die Zeitperspektive liegt dabei allerdings bei zwei oder mehr Jahrzehnten.
Wiedereinstieg hätte staatliche Milliardenhilfen erfordert
Haben sich also die Klingbeil-Sozis, die seit dem Super-GAU von Tschernobyl 1986 für den Ausstieg Politik machen, mit ihrem Kurs knallhart gegen die Unions-Atomfans durchgesetzt?
Im SPD-Wahlprogramm hieß es dazu: "Die Atomkraft ist in Deutschland stillgelegt, und das ist auch gut so." Die Anti-Atom-Organisation "Ausgestrahlt" attestiert jedenfalls der SPD, sie habe die "atomaren Seifenblasen der Union platzen lassen".
Tatsächlich ist mindestens genauso wahrscheinlich, dass die Unionsspitzen die Probleme der AKW-Renaissance realistisch einschätzten. Der Abbau der AKW ist bereits weit fortgeschritten, ein Wiederanschalten wäre extrem teuer und wegen nötiger neuer Genehmigungen aufwändig.
Hinzu kommt: Die bisherigen drei AKW-Betreiber EnBW, Eon und RWE haben mit dem Kapitel Atomkraft praktisch abgeschlossen. Keiner von ihnen würde von sich aus das unternehmerische Risiko eingehen, den Rückbauprozess umzukehren. Das stellten sie vor dem Start der Koalitionsverhandlungen auch klar.
EnBW-Atomkraftchef Jörg Michels sagte: "Der Rückbaustatus unserer fünf Kernkraftwerke ist praktisch gesehen irreversibel." Bei der Eon-Tochter Preussenelektra hieß es, man beschäftige sich nicht "mit derartigen Gedankenspielen", und RWE‑Chef Markus Krebber ließ wissen: "Wir sind hierzulande über den Punkt hinaus, an dem wir abgeschaltete Atomkraftwerke wieder zurück ans Netz bringen sollten."
Wie teuer der Neustart geworden wäre, zeigen Schätzungen des AKW-Dienstleisters Nukem mit Sitz in Karlstein am Main. Dieser kalkulierte den Aufwand zur Instandsetzung bei den 2021 bis 2023 abgeschalteten sechs Reaktoren auf ein bis drei Milliarden Euro pro Kraftwerk, je nach Rückbaufortschritt.
Es wäre also um eine Größenordnung von zehn Milliarden Euro oder mehr gegangen, die aus dem Bundeshaushalt hätten kommen müssten. Nukem-Chef Thomas Seipolt hatte gegenüber dem Boulevardblatt Bild von einer "realistischen Comeback-Möglichkeit für die Atomkraft" bis 2030 gesprochen. Nukem habe der künftigen Bundesregierung ein entsprechendes Angebot gemacht.
Für das Unternehmen, das auf den Rückbau von Reaktoren und das Management von Atomabfällen spezialisiert ist, wäre eine solche Renaissance der Kernkraft äußerst lukrativ geworden. Allerdings hätte sich eine so gewaltige Geldspritze für die AKW-Betreiber wohl kaum durchsetzen lassen – trotz des 500-Milliarden-Sondervermögens für Infrastruktur und Klimaschutz.
"Atomkraft passt nicht in einen Ökostrom-dominierten Markt"
Es dürften aber noch weitere Argumente die nukleare Renaissance ausgebremst haben. "Ein Wiedereinstieg ins Atom passt auch nicht in einen zunehmend von Ökostrom dominierten Markt", sagt der leitende Kernkraft-Experte des Öko-Instituts in Darmstadt, Christoph Pistner, gegenüber Klimareporter°.
Der Erneuerbaren-Anteil im Netz wächst rasant, aktuell sind bereits 60 Prozent erreicht, und nach bisheriger Planung sollen es 2030 rund 80 und 2035 sogar fast 100 Prozent sein.
Dann werden zunehmend flexible Gaskraftwerke gebraucht, die bei zu wenig Solar- und Windenenergie kurzfristig nach Bedarf einspringen können – keine Grundlastkraftwerke wie die AKW, die auf Dauerbetrieb ausgelegt und besonders im unteren Leistungsbereich schlecht regelbar sind.
Ertüchtigte Alt-AKW, die laut Nukem-Schätzung ab 2030 wieder ans Netz hätten gehen können, wären in dieser Struktur kaum sinnvoll gewesen.
Dasselbe gilt übrigens für die von der Union ins Gespräch gebrachten Mini-AKW, sogenannte Small Modular Reactors (SMR), die nach Pistners Schätzung frühestens Mitte der 2030er Jahre serienreif sein könnten.
"Nach heutigem Stand werden die SMR den Strom zudem kaum billiger produzieren können als herkömmliche neue AKW, es sei denn, es würden gleich Tausende davon in Serie produziert, was aber überhaupt nicht absehbar ist", so der Experte.
Und dann erinnert Pistner noch an einen politisch brisanten Aspekt: "Ein Wiedereinstieg in die Kernenergie hat das Potenzial, die Suche nach einem Endlagerstandort in Deutschland zu gefährden."
Die Endlagersuche war nach dem Fukushima-Ausstieg ganz neu gestartet worden, wodurch der früher hart umkämpfte Standort Gorleben herausflog, er erwies sich als geologisch ungeeignet. Ein "Gorleben 2.0" wäre wohl das Letzte, was die neue Regierung bräuchte.