"Kein Blut für Öl" – ein Slogan aus der Friedensbewegung, den viele am Anfang gar nicht verstanden haben. (Foto: Darwin Bell/​Wikimedia Commons)

"Unsere Welt ist nach diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg von Putin jetzt eine andere", sagte Annalena Baerbock, die deutsche Außenministerin, am vergangenen Sonntag in der Sondersitzung des Bundestags zum Ukraine-Krieg. Das Gefühl der Sicherheit, dass ein Krieg mitten in Europa unmöglich sei, entpuppt sich ganz plötzlich als Fehleinschätzung.

Die Nato-Staaten sind keine Heiligen. Sie sind an fragwürdigen Kriegen und der Erzeugung von unzähligem Leid beteiligt. Die Türkei, ein Nato-Mitglied, führt einen brutalen Krieg gegen Kurd:innen.

Das relativiert aber nicht das Vorgehen des Diktators Wladimir Putin. Diese Situation ist singulär zu betrachten. Die völkerrechtswidrige Invasion Russlands in den souveränen Staat Ukraine ist mit nichts zu rechtfertigen und gehört auf das Schärfste verurteilt. Putin ist ein Kriegstreiber und Verbrecher.

Und Deutschland muss schnellstmöglich alle Abhängigkeiten zu Russland auflösen, um nicht immer weiter erpressbar zu sein.

Inakzeptable Abhängigkeiten

Die ersten Tage der russischen Invasion waren in den deutschen Medien durch eine Debatte über die Blockadehaltung Deutschlands geprägt. Deutschland war der letzte Staat der EU, der dem sogenannten Swift ban zustimmte. Damit sollen Teile der russischen Wirtschaft vom internationalen Zahlungsverkehr ausgeschlossen werden, um vorhandene Finanzmittel unwirksam zu machen und den Handel mit der Außenwelt einzuschränken.

Deutschland begründete sein langes Zögern damit, dass ohne Swift die russischen Erdgas-Rechnungen nicht mehr bezahlt werden könnten und die Gefahr bestünde, dass Russland die Gaslieferungen nach Deutschland stoppt.

Das mag nicht unbegründet sein. Schon ein Drosseln der Gasbelieferung kann zu einer enormen Preissteigerung bis hin zu Mangelzuständen bei der Energieversorgung führen und erhebliche Auswirkungen auf das alltägliche Leben in Deutschland haben. Ein vollständiger Lieferstopp wäre eine sozialstaatliche Katastrophe.

Dies zeigt, dass die Abhängigkeit von einem Staat wie Russland, in dem die Demokratiebewegung systematisch zerschlagen wurde und ein Kriegstreiber an der Macht ist, fatale Auswirkungen hat.

Angesichts der Tatsache, dass dieser Konflikt mit dem autoritär geführten Russland noch Jahrzehnte andauern kann, ist es völlig inakzeptabel, weiter auf eine Energieabhängigkeit von Russland zu setzen.

Russland führt einen Energiekrieg

Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), hat schlüssig dargelegt, worum es sich bei dem Vorgehen von Wladimir Putin handelt: "Vordergründig mag es beim russischen Angriff auf die Ukraine um einen regionalen Konflikt gehen, weltpolitisch aber geht es um Energie – als Ressource, Wertstoff und Waffe."

Tatsächlich ist davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit eines Angriffskrieges geringer gewesen wäre, wenn Deutschland und andere europäische Staaten nicht von der fossilen Energie aus Russland abhängig gewesen wären.

Dazu kommt, dass Russlands Einnahmen aus den Energieexporten letztlich die Finanzierung der gerade stattfindenden Invasion gegen die Ukraine ermöglicht haben.

In der Bundesregierung scheint dies nun angekommen zu sein. Doch bisher gehen die Reaktionen eher in Richtung militärische Aufrüstung und den Ersatz des russischen Gases durch andere fossile Energieträger.

Während am Sonntag mehr als 500.000 Menschen auf der Friedenskundgebung in Berlin gegen den russischen Angriffskrieg protestierten, verabschiedete die Bundesregierung einen Etat von 100 Milliarden Euro zur Aufrüstung der Bundeswehr.

Natürlich ist es notwendig, in dieser völlig veränderten weltpolitischen Lage die Sicherheitsinteressen Deutschlands und der EU neu zu beurteilen.

Doch wer von heute auf morgen eine so immense Summe für die Militarisierung freigibt, muss sich Gleichgültigkeit gegenüber den seit Langem fehlenden Milliarden für Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssysteme und vor allem für die sozial-ökologische Transformation vorwerfen lassen.

Viel schlimmer als befürchtet

Seit vielen Jahren warnen Wissenschaftler:innen und Aktivist:innen vor den sozialen und ökonomischen Folgen der menschengemachten Klimaerhitzung und Ökosystemzerstörung.

Gerade hat der Weltklimarat IPCC einen neuen Bericht veröffentlicht. Daraus geht klar hervor, dass es für die gesamte Menschheit sprichwörtlich ums Überleben geht. Bis zu 3,6 Milliarden Menschen sind schon jetzt akut von den Folgen der menschengemachten Klimaerhitzung bedroht.

"Die Auswirkungen, die wir heute sehen, treten viel schneller auf, sind zerstörerischer und weitreichender als vor 20 Jahren erwartet", heißt es in dem IPCC-Bericht. Wir müssen uns darauf einstellen, dass ganze Regionen für Menschen unbewohnbar werden.

Der französische Soziologe Pablo Servigne macht in seinem Buch "How Everything Can Collapse" eindrücklich klar, dass die Weltgemeinschaft auf einen Kollaps zusteuert. Die größte Bedrohung für die menschliche Zivilisation stellt dabei die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern dar.

Was wird passieren, wenn Energiesysteme ausfallen und in der Folge unsere großräumigen, häufig globalen Handels- und Versorgungsstrukturen zusammenbrechen? Staaten und Regionen werden gegeneinander kämpfen. Soziale Verwerfungen und kriegerische Konflikte um Ressourcen und Versorgung werden dann zum Alltag unserer Lebenswelten gehören.

Umweltbewegung als Friedensbewegung

Das zeigt: Der Kampf gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen war schon immer ein Kampf für Frieden.

Ein Krieg von heute auf morgen ist nicht nur wahrscheinlich, wenn ein Despot wie Wladimir Putin sich dazu entscheidet, ein Land zu überfallen. Er ist auch wahrscheinlich, wenn Ressourcen knapp werden und Staaten versuchen, sich auf Kosten anderer vor den Folgen zu schützen.

Tino Pfaff
Foto: XR

Tino Pfaff

Der Sozial­arbeiter, Sozial­pädagoge und Umwelt­aktivist war zwei Jahre Sprecher von Extinction Rebellion Deutsch­land. Zurzeit studiert er Gesellschafts­theorie an der FSU Jena. Außerdem ist er als Herausgeber tätig.

Umwelt- und Klimabewegungen müssen das Streben nach Frieden von nun an zu einem zentralen Punkt ihrer Agenden machen. Die neue Friedensbewegung muss eine ökologische Friedensbewegung sein.

Die Bewegungen dürfen nicht weiter davor zurückschrecken, von Kritiker:innen als irrational oder alarmistisch abgestempelt zu werden. Denn das sind sie nicht.

"Jetzt zahlen wir den Preis für die verschleppte Energiewende", sagt Claudia Kemfert. Wir müssen dringend dafür sorgen, dass dieser Preis nicht noch höher wird. Die Veränderungen durch den Krieg im Herzen Europas müssen dringend an die sozial-ökologische Transformation gebunden werden.

Redaktioneller Hinweis: Energieökonomin Claudia Kemfert gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.

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