Menschen demonstrieren mit Transparent
Wo kommt "Extinction Rebellion" plötzlich her? In der Klimabewegung sorgt die neue Gruppe. die in Großbritannien Tausende für Klimaschutz auf die Straße lockt, für Debatten. (Foto: Paola Desiderioe)

Was braucht es, damit Menschen die existenzielle Bedrohung des Klimawandel verstehen? Was muss passieren, bis sie dagegen aktiv werden?

Ich selbst hatte eine ziemlich lange Leitung. Seit meiner Schulzeit in den frühen Neunzigern weiß ich dank eines GEO-Abos, dass die globale Erwärmung ein massives Problem ist. Zur Aktivistin wurde ich aber erst, als ich 2009 auf einem britischen Klimacamp war und dort erlebte, wie Menschen sich zusammenschließen und an gemeinsamen Lösungen arbeiten, wie sie Aktionen gegen Flughäfen und Kohlekraftwerke organisieren. Das wollte ich auch.

Seitdem schreibe ich Flyertexte und halte Workshops, um Menschen dazu zu bewegen, gegen den Braunkohleabbau im Rheinland zu protestieren. Jeden Tag frage ich mich von Neuem: Mit welchen Worten und Bildern erreiche ich die Menschen? Lange fühlte ich mich ungefähr so erfolgreich dabei wie Kassandra.

Doch im letzten Jahr ist die Bewegung ins Rollen gekommen. Die Räumung der Waldbesetzung im Hambacher Forst wurde zum bundesweiten, ja internationalen Politikum, mehr als 50.000 Menschen demonstrierten für den Kohleausstieg, 6.500 Menschen beteiligten sich mit "Ende Gelände" an einer Aktion zivilen Ungehorsams gegen den Tagebau-Betrieb – so viel wie nie.

Auch in anderen Ländern springen Klima-Initiativen aus dem Boden, die riesigen Zulauf erfahren.

"Klima-Alarm" und Generalstreik für die Erde

Für den 8. Dezember rufen Gruppen zum "Klima-Alarm" auf. In Solidarität mit einer Demonstration in Katowice anlässlich des Klimagipfels COP 24 in Polen sind 80 Demonstrationen in rund 20 Ländern angemeldet – darunter in Tokio, New York, Montreal, Stockholm und vielen französischen Städten. "Lasst uns weltweit Alarmglocken läuten, mit Telefonen, Weckern, Glocken und allem, was den Klima-Alarm auslösen kann", heißt es in dem Aufruf.

Die Proteste sollen Menschen wachrütteln, damit sie zu Millionen aufbegehren, um eine ökologische Transformation einzufordern. Der "Klima-Alarm" geht von der französischen Initiative "Il est encore temps" ("Noch ist Zeit") aus, die schon im September über 100.000 Menschen zu einer Klima-Demonstration auf die Straße gebracht hat.

Mit Spannung zu erwarten ist "Earth Strike" – der Aufruf zum "Generalstreik zur Rettung des Planeten". Nach einem Kick-off-Termin am 15. Januar soll über das Jahr hin zu einem weltweiten Streik am 27. September mobilisiert werden. An diesem Tag "wird es keine Bankgeschäfte geben, keine Büros voll mit Angestellten oder Schulen voller Kinder". Die Bewegung will Druck auf Regierungen und Konzerne ausüben, damit sie den Klimawandel aufhalten, bevor es zu spät ist.

Die Initiative "By 2020 We Rise Up" trommelt zu internationalen Aktionen für Klimagerechtigkeit und Systemwandel. Die Vision: Menschen tragen ihren Protest an die Orte der Zerstörung: sie blockieren Pipelines und Flughäfen, Kohletagebaue und Häfen, zentrale Stätten der industriellen Landwirtschaft, Waffenschmieden und Grenzregimes. Nach einer Anlaufzeit im nächsten Jahr sollen die Proteste 2020 in einem riesigen gewaltfreien Aufstand kulminieren.

Die Kampagne vernetzt Gruppen, die unterschiedliche Facetten der sozialen und ökologischen Krise bearbeiten, und zeigt, dass sie eine gemeinsame Bewegung sind – gegen "ein Wirtschaftsmodell, das viele Verlierer hat und die natürlichen Grundlagen zerstört, von denen das Leben auf der Erde abhängt".

Mit dabei sind bekannte Gruppen wie Ende Gelände oder Limity Jsme My ("Wir sind die Grenzen") aus Tschechien, die schon in den Vorjahren ihre Mobilisierungsstärke für zivilen Ungehorsam unter Beweis gestellt haben. Aber auch kleinere Initiativen gegen Massentierhaltung wie "Animal Climate Action" und eine österreichische Gruppe, die sich gegen den Ausbau des Wiener Flughafens und rechte Politik engagiert, sind Teil des Netzwerkes.

Das Klimakommunikations-Handbuch wegwerfen?

Viel Aufsehen erregt die "Extinction Rebellion", der Aufstand gegen das Aussterben. Mehrere tausend Menschen blockierten vor zwei Wochen unter diesem Motto die Brücken in der Londoner City. Auch in den Tagen danach besetzten Gruppen Verkehrsknotenpunkte der Stadt und verursachten Staus. Mit dem Wirbel, den sie verursachen, wollen sie Alarm schlagen und Menschen aus ihrem Alltagstrott reißen. Sie fordern, dass die Regierung "die Wahrheit sagen" soll und einen Klimanotstand ausruft.

Extinction Rebellion kommt nicht aus der klassischen britischen Klimabewegung, die seit Jahren Proteste gegen Flughäfen und Gasbohrungen organisiert. Die Initiative kommt scheinbar aus dem Nichts. Trotzdem bringt sie auf Anhieb Tausende auf die Straße. Doch ihre Forderungen sind stark auf die Reduktion von CO2-Emissionen gerichtet – wie das passieren soll, bleibt vage. Es brauche entschlossene Maßnahmen "wie zu Kriegszeiten", aber da man der Regierung das Krisen-Regime nicht zutraue, müsse sie dabei von einer Bürger:innen-Versammlung kontrolliert werden.

Die Kolumnistin

Dorothee Häußermann ist freiberufliche Referentin, Klima-Aktivistin und Autorin. Sie studierte englische und deutsche Literatur­wissenschaft in Marburg und Wales. Nach sieben Jahren als Deutschlehrerin organisiert sie seit 2010 Klimacamps, Bildungsveranstaltungen und Aktionen zivilen Ungehorsams in Braunkohlerevieren. Ihre Arbeit wird aus der Zivilgesellschaft über die Bewegungsstiftung gefördert. (Foto: privat)

Von einem gesellschaftlichen Wandel ist nur am Rande die Rede, das Konzept der Klimagerechtigkeit taucht nicht auf. Beim ersten Blick auf die Website bin ich schockiert. Große Totenköpfe vor knalligen Farben. Für eine flüchtige Leserin könnte das auch die Seite von einer Gruppe sein, die die Menschheit ausrottet – nicht eine, die gegen Ausrottung rebelliert. Das sind also die Bilder und Worte, die den Nerv der Bevölkerung treffen?

Nach dem schnellen Erfolg von Extinction Rebellion kann ich eigentlich meine ganzen Klima-Kommunikations-Handbücher in den Schredder werfen. Krasse apokalyptische Szenarien lösen bei Menschen meist Apathie und Resignation aus, lautet der psychologische Rat. Trotz bedrohlicher Fakten solle man darum bitte nicht zu negativ sein.

Innerhalb der linken Klimagerechtigkeitsbewegung sind wir mit dem Wort "Katastrophe" vorsichtig umgegangen. Wir haben betont, dass die Klimakrise kein Naturphänomen ist, das über uns hereinbricht, sondern ein menschengemachtes Problem mit handfesten politischen Ursachen und sozialen Folgen – die auch von emanzipierten Menschen geändert werden können.

Andererseits: Wenn Wälder brennen, Eisschilde abbrechen, die Trinkwasserversorgung von Millionen Menschen gefährdet ist – was soll das anderes sein als eine Katastrophe? Wie reißen wir also die Menschen aus ihrer Gleichgültigkeit, ohne sie in Schockstarre zu versetzen?

Doch Weltuntergangs-Rufe nutzen sich gefährlich schnell ab. Schon sehr lange sprechen die Umweltverbände davon, dass es fünf vor zwölf ist und der jeweilige Klimagipfel nun wirklich die letzte Chance darstellt, um die Welt zu retten. Mittlerweile ist es halb eins, mindestens.

Egal wie beängstigend die Prognosen sind, egal wie psychologisch ausgetüftelt die Klima-Kampagnen daherkommen, sie konnten bislang die Mehrheit nicht erreichen.

Ursachen überwinden statt "CO2-Reduktion, egal wie"

Nun endlich wachen die Menschen auf. Denn in diesem Sommer haben wir gesehen, wie die Bäume vor unserem Fenster vertrocknen. Wir haben in Büros geschwitzt, in denen es über 30 Grad heiß war. Wir hatten den Waldbrandgeruch in der eigenen Nase.

Und während wir noch schwitzten, veröffentlichte der Weltklimarat seinen Sonderbericht zum 1,5-Grad-Ziel. Er vermittelte geschickt die Dringlichkeit der Lage in Verbindung mit dem Hinweis, dass noch genug Zeit ist, das Schlimmste zu verhindern. Die Einhaltung des 1,5-Grad-Limits ist möglich, aber es erfordert einen Wandel von beispiellosem Ausmaß in allen gesellschaftlichen Bereichen.

Also legen wir los. Denn diesen beispiellosen Wandel wird nicht die Politik einleiten, den müssen wir selbst anschieben. Die Energie und Rebellion, die nun allerorts zu spüren sind, sind großartig – aber wir müssen sie in die richtige Richtung lenken.

Es geht nicht um panische CO2-Reduktion um jeden Preis. Wir wollen hin zu einer gerechten, ökologischen Gesellschaft, in der wir gemeinsam die systemischen Ursachen für Naturzerstörung und Unterdrückung überwinden.

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