Graffiti mit schreiender Person
Die Fakten in die Welt schreien reicht nicht, um den Klimawandel zu vermitteln. (Foto: Ben Cumming/Flickr)

Er spielt, er hört zu, er regt an: Andrew P. Jones ist sein Job in Person. Es gibt solche Leute. Etwa den Yoga-Lehrer, dessen ruhige Stimme und sanfter Grüntee-Duft Gelassenheit verbreitet. Die Bankkauffrau, deren Anzüge so gut sitzen wie ihre Börsenkenntnisse. Und wenn man weiß, dass es Menschen gibt, die sich hauptberuflich mit der Kommunikation des Klimawandels beschäftigen, hat man keine Probleme, sich Andrew Jones sofort als solchen vorzustellen.

Zum Interview in unseren Redaktionsräumen begrüßt er alle Anwesenden freundlich, um dann sofort zu der Wand zu stürzen, an der große Grafiken hängen, in denen komplexe Klimafragen erklärt werden. Von allein redet er kaum über sich, wirft lieber Fragen auf und stellt später im Gespräch nach und nach Verbindungen zu den Antworten her.

Jones ist in Begleitung des deutschen Wirtschaftswissenschaftlers Florian Kapmeier, gerade haben sich beide mit Vertretern des Bundesumweltministeriums getroffen, um dort den preisgekrönten Klimasimulator C-Roads vorzustellen. Jones hat ihn mit seinem Thinktank Climate Interactive und seiner Almer Mater, der MIT Sloan School of Management, entwickelt.

Klimareporter°: Herr Jones, Sie wirken wie ein absoluter Optimist. Sehen Sie sich auch so?

Andrew P. Jones: Das stimmt, ich bin im Allgemeinen sehr optimistisch.

Wir fragen, weil Sie sich ja beruflich damit beschäftigen, dass Menschen sich schwertun, den Klimawandel zu verstehen, und noch schwerer, dagegen zu handeln. Das kann doch nicht so erbaulich sein.

Andrew Jones

Zur Person

Andrew P. Jones ist studierter Umwelttechniker und Experte für System Dynamics, einer Methodik zur Analyse komplexer und dynamischer Systeme, die an Jones' Alma Mater MIT entwickelt wurde. Seine Schwerpunkte sind internationale Klima- und Energiepolitik. Nach Stationen beim Rocky Mountains Institute und dem Sustainability Institute – Non-Profit-Organisationen, die sich mit nachhaltiger Entwicklung beschäftigen – war Jones 2010 Mitbegründer der gemeinnützigen US-Denkfabrik Climate Interactive, die er bis heute zusammen mit Elizabeth Sawin leitet. 

In Bezug auf das Klima würde ich vielleicht eine Abstufung machen. Da bin ich hoffnungvoll. Ich meine damit Folgendes: Ein Optimist denkt, dass schon alles gutgehen wird. Eine hoffnungsvolle Person denkt das nicht, hat aber die Vision des Erfolgs vor sich. Mir ist bewusst, wie die Welt heute aussieht. Und ich erkenne an, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit eine Lücke ist.

Das kann man wohl sagen. Die Welt ist momentan noch weit davon entfernt, die Erderwärmung ihren Zielen gemäß auf 1,5 Grad oder auch nur zwei Grad gegenüber vorindustriellen Zeiten zu begrenzen. Wie erklären Sie sich die Lücke, von der Sie sprechen?

Vor allem bei uns in den USA ist das Thema zu einem Identitätsproblem geworden. Die Leute ordnen sich ihrer politischen Gruppe zu, indem sie Klimaschutz befürworten oder ablehnen. Das Thema steht nicht mehr für sich, es ist politisiert. Wir brauchen also eine neue Art, darüber zu reden.

Reicht eine einzige neue Art?

Wahrscheinlich nicht. Wir müssen ganz viel ausprobieren.

Wie könnte das aussehen? Wie kann man denn mit Menschen sprechen, die Klimaschutz ablehnen?

Ich arbeite jetzt seit ungefähr 30 Jahren an solchen Fragen. Und meine beste Antwort darauf ist immer noch ein Zitat meines Mentors John Sterman vom MIT. Er sagte: "Forschung zeigt, dass Forschung zeigen nicht funktioniert." Aber genau das ist es, was wir seit Ewigkeiten machen. Wir sagen: Guckt mal, Leute, es gibt hier diese Studie, die zeigt, wie wichtig Klimaschutz ist! Doch das bringt leider nicht viel.

Ich komme jetzt trotzdem mal mit Studien: Wenn es um Menschen geht, die den Klimawandel oder den Nutzen von Klimaschutz bestreiten, ist es den laut Ergebnissen mancher Experimente sogar kontraproduktiv, sie mit wissenschaftlichen Informationen zu konfrontieren. Teilweise vertreten sie ihre Meinung danach noch noch stärker als vorher.

Wie macht man es nun besser?

Indem man Menschen die Möglichkeit gibt, ihre Handlungsoptionen selbst herauszufinden. Das ist an sich keine neue Idee. Gut gesagt hat das vor vielen Jahren Bucky Fuller, der visionäre US-amerikanische Architekt: "Wenn Sie Menschen eine neue Art zu denken lehren wollen, versuchen Sie das Lehren gar nicht erst. Geben Sie ihnen das Handwerkszeug, dessen Nutzung zur neuen Denkweise führt." Das lässt sich auch auf das Klimaproblem übertragen.

Es hilft also, wenn man das Gefühl hat, selbst auf die gute Idee mit dem Klimaschutz gekommen zu sein?

Ja. Wir haben einen Simulator entwickelt, mit dem man an jedem Computer quasi die ganze Weltwirtschaft und Klimapolitik verändern kann – und sofort sieht, welche Temperatursteigerung im Zuge des Klimawandels damit zu erwarten ist. Vor zwanzig Jahren hat es noch drei Tage gedauert, einen Computer etwas so Komplexes ausrechnen zu lassen. Jetzt geht das mit einem Klick. Wir geben diesen Simulator unter anderem Regierungen an die Hand und werden damit auf die Weltklimakonferenzen eingeladen.

"Neue Informationen ändern offenbar keine Meinungen. Neue Erfahrungen tun das sehr wohl."

Mit der Technik können die Entscheidungsträger ganz leicht selbst herausfinden, welche verschiedenen Stellschrauben es gibt, welche Entscheidung was nach sich zieht. Der Punkt ist: Neue Informationen ändern offenbar keine Meinungen. Neue Erfahrungen tun das sehr wohl. Sie lassen uns komplexe Systeme anders begreifen als bloßes Wissen. Mit dem Simulator zu spielen und nach Lösungen zu suchen ist eben eine Erfahrung – und hat mehr Wirkung als reine Informationen.

Es gibt ja diese interessante Beobachtung, dass die große Mehrheit der Menschen von der Existenz des menschengemachten Klimawandels weiß und ihn auch als Gefahr sieht – aber trotzdem nicht entsprechend handelt. Können auch hier Erfahrungen helfen?

Ich möchte Ihnen von dem Planspiel erzählen, das wir selbst entwickelt haben. Es heißt "World Climate". Wir haben das schon mit Fünftklässlern gespielt, mit Regierungsvertretern, mit Mitarbeitern von Banken und Ölkonzernen. Dabei stellen die Teilnehmer die Weltklimakonferenzen nach. Jeder kriegt eine Rolle, ist vielleicht plötzlich der UN-Klimachef – oder auch ein Unterhändler von Südafrika.

Diejenigen, die die reichen Länder spielen, sitzen an Tischen mit Buffet. Die Darsteller der Schwellenländer haben immerhin Stühle. Wer im Spiel ein Entwicklungsland vertritt, sitzt auf dem Boden.

Auch in den echten Klimaverhandlungen gibt es physische Unterschiede zwischen den Ländern. Zwar nicht auf dem Papier – aber wenn ein armes Land wie Mali nur mit vier Unterhändlern anreisen kann, kommen die nicht zum Schlafen, wenn gegen Ende des Gipfels in mehreren Verhandlungssträngen tagelang durchverhandelt wird. Die deutschen Verhandler, deren Team vielleicht zehnmal so groß ist, können zwischendurch schlafen gehen ...

Genau. Und wir sagen: Willkommen, ihr löst jetzt das Klimaproblem! Die Teilnehmer denken sich als erstes Klimaschutzmaßnahmen für "ihre" Länder aus. Und dann kommen wir mit unserem Simulator. Da stellen wir alles nach den Vorstellungen der Spieler ein – und es zeigt sich sofort, wie stark sich die Erde nach aktuellen Klimamodellen damit erwärmen würde.

Ungefähr so, wie es auch beim Pariser Klimaabkommen passiert. Dort sagen die Länder selber, was sie beitragen wollen. Doch bislang reichen die Angebote nicht aus, um das 1,5-Grad- oder das Zwei-Grad-Ziel zu erreichen.

Stimmt. Das war auch in der ersten Runde des Planspiels bisher immer so. Dann muss weiterverhandelt werden. Und die Leute werden irgendwann richtig wütend! Das Spiel erzeugt Emotionen: Angst, Hoffnung, Wut. Die Spieler versetzen sich in ihre Rollen hinein und streiten sich, schreien einander manchmal an.

Sie machen Witze!

Nein, Sie können es sich ja selbst ansehen.

Jones klappt seinen Laptop auf und durchforstet kurz die Ordner. Er findet, was er sucht: eine bestimmte Video-Datei. Zwei Teenager an einem Schultisch, die Gesichter wutentbrannt, die Fäuste geballt. "... wir sind eben kein superreiches Land, aber wir machen trotzdem total viel", brüllt einer. "Und ihr macht nicht mit!"

Der ist China! Der andere ist, glaube ich, die USA.

Die USA fahren aus der Haut. "Wir sollen für die anderen Länder zahlen, ihr habt doch viel mehr von der ganzen Sache!" Beide Jungen springen von ihren Stühlen auf. Die USA machen eine rüde Geste. Jones muss schmunzeln.

Ja, das ist Trump, genau.

Hier ist Professor Florian Kapmeier von der Hochschule Reutlingen zu sehen

Zur Person

Florian Kapmeier ist Professor für Strategie und Internationales Projektmanagement an der ESB Business School der Hochschule Reutlingen. Zu seinen Schwerpunkten gehören Umwelt- und Klimapolitik sowie das Management komplexer Systeme. In einem aktuellen Forschungsprojekt arbeitet Kapmeier mit den simulationsbasierten Rollenspielen, die im Interview beschrieben werden. Das Ziel: ein besseres Verständnis vom Klimawandel zu entwickeln.

Jones' Begleiter Florian Kapmeier schaltet sich ein. Er hat das Spiel schon oft angeleitet, er spielt es mit seinen Studenten. "Wenn wir zum Beispiel sehen, dass der Simulator einen bestimmten Meeresspiegelanstieg anzeigt, dann setzen wir das Ergebnis vor Ort um", erzählt er. 

Jones arbeitet sich wieder durch seinen Laptop. Eine neue Video-Sequenz zeigt Kapmeier, wie er eine blaue Plane über ein paar Studenten zieht. Es sind diejenigen, die Vertreter aus Bangladesch, Indien, von pazifischen Inseln und anderen Ländern des Südens spielen. Nun sitzen sie unter einem blauen Stück Plastik. "Das macht sofort sichtbar, wessen Heimat unter dem Meeresspiegel verschwindet, wenn die Verhandlungen keine besseren Ergebnisse liefern – obwohl wir mittlerweile Vertreter aus fast allen Ländern mit der Plane bedecken müssen", erklärt Kapmeier.

Genau! Das Entscheidende ist: Wir predigen den Leuten nichts, bereiten ihnen keine Schuldgefühle. Sie begreifen die Situation intuitiv, auch wenn sie nur gespielt ist. Zum Schluss diskutieren sie ganz anders über Lösungen als am Anfang des Spiels. Das passt auch mit psychologischen Erkenntnissen zur Meinungsbildung zusammen: Eine ganz große Rolle spielt die Gemeinschaft, spielen also soziale Aspekte.

Was kann man daraus für den Alltag ableiten, für das Gespräch mit einem klimaskeptischen Nachbarn, Großonkel oder Bekannten?

Auf jeden Fall die soziale Erfahrung, die spielt sicher auch im Alltag eine große Rolle. Wie gesagt haben wir in den USA das Problem, dass Klimawandel und Klimaschutz politisiert sind, die Menschen fühlen sich durch ihre Haltung zu diesen Themen einer größeren Gruppe zugehörig. Ich finde es toll, wie Katharine Hayhoe arbeitet. Sie ist Klimawissenschaftlerin – und konservative Christin. Sie erreicht Menschen durch Bücher und Online-Videos.

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Ihr Ansatz ist: Die Botschaft muss über eine persönliche Verbindung überliefert werden, es braucht dafür zwischenmenschliche Nähe, Respekt und Vertrauen. Anders gesagt: Mein verrückter Onkel Harry muss daran glauben, dass ich ihn liebe, dass ich ihn nicht nur rumkriegen will, auf ein effizienteres Auto umzusteigen. Eventuell kann auch das helfen, was wir Multisolving nennen – also mehrere Probleme auf einen Schlag lösen.

Das heißt, zum Beispiel mit den Vorteilen für die Gesundheit zu werben, nicht nur mit dem Klimaschutz, wenn es um die Senkung von Abgasen geht?

Ja. Durch weniger Abgase aus Kraftwerken und Autos verbessert man Luft- und Wasserqualität. Klimaschutz mindert also nicht nur Gesundheitsrisiken für Menschen im Jahr 2040, sondern jetzt sofort. Das kann Menschen das Gefühl geben, dass sie für den Klimaschutz nicht nur Dinge aufgeben. Sie gewinnen auch etwas.

Mittlerweile wissen wir, dass Klimaschutz in der Vergangenheit auch durch eine riesige Desinformationskampagne der fossilen Lobby, vor allem der Ölkonzerne, verhindert wurde. Kann eine bessere Klimakommunikation da helfen?

Klar stoßen auch unsere Methoden an Grenzen. Ich habe unseren Simulator zum Beispiel schon mal mit Statoil-Managern ausprobiert. Die haben überlegt: Was ist, wenn wir die Kohle loswerden? Und das Gas? Wenn wir den Methanausstoß senken? Und vielleicht künstliche Kohlenstoffsenken einführen, CO2-Abscheidung und -speicherung aus Bioenergie zum Beispiel. Und sie haben gesehen, dass man trotz allem erst dann langsam in Richtung Zwei-Grad-Ziel kommt, wenn man auch die Ölnutzung herunterschraubt. Und selbst diese Manager, die sich ja auf das Spiel eingelassen haben, sagten: Na ja, wir werden auch weiter Öl verbrennen.

Sie sehen also: Veränderungen geschehen nicht von heute auf morgen. Es ist immer ein langer Prozess, eine Entwicklung. Man braucht viel Geduld – und darf die Hoffnung nicht verlieren.

Das Interview erschien zuerst im Fachportal klimafakten.de.

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