Ein kleines gelbes Kreuz ähnlich einem X ist an eine Haustür aus Holz geschraubt.
Gefahr im Verzug: Bewohner des Dorfes Proschim in der Lausitz protestieren mit einem gelben Warnkreuz an der Haustür gegen ihre Abbaggerung durch den Braunkohletagebau Welzow-Süd II. (Foto: Lutki/​Wikimedia Commons)

Seit dem 2. September 2014 ist – formal gesehen – der Plan in Kraft, durch den der Lausitzer Ort Proschim wegen des vorrückenden Tagebaus Welzow-Süd zur Umsiedlung gezwungen werden soll. 120.000 Menschen hatten damals gegen den Plan Einwendungen vorgebracht, doch die damalige rot-rote Landesregierung beschloss, was der Kohlekonzern Vattenfall von ihr verlangte.

Klarheit über ihre Zukunft sollten die Menschen in Proschim haben, so warben damals diejenigen Politiker, die unter "Klarheit" die Umsiedlung verstanden.

Tatsächlich führte der Plan zu einer Unsicherheit, die bis heute anhält. Die Landesregierung wurde kurz darauf neu gewählt, und nun wird bald die übernächste am Ruder sein. Ein neuer Kohlekonzern namens Leag/EPH ersetzte den alten – hielt sich aber die Entscheidung über die Zukunft des Tagebaus Welzow-Süd II und damit von Proschim offen.

Un nun legte sogar eine bundesweite "Kommission Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung", auch Kohlekommission genannt, einen Ausstiegsplan aus der Braunkohle vor. Die Unsicherheit für die Proschimer ist heute, Anfang Februar 2019, aber immer noch da.

40 Milliarden Euro Strukturhilfen sollen die vier Braunkohle-Länder bekommen, je zwei Milliarden über zwanzig Jahre, um den vorzeitigen Kohleausstieg abzufedern. Dabei ist nicht einmal klar, ob sich in der Lausitz der Ausstiegsplan der Kommission von den Plänen des Kohlekonzerns Leag überhaupt durch irgendeine Vorzeitigkeit unterscheidet.

Foto: privat

Zur Person

René Schuster ist Vorsitzender des ostdeutschen Umweltverbandes Grüne Liga und engagiert sich dort in der Umweltgruppe Cottbus. Seit 1999 vertritt er die Grüne Liga im Braunkohlen­ausschuss des Landes Brandenburg.

Die Leag hatte in ihrem Revierkonzept auf die einstigen Vattenfall-Planungen als Verhandlungsmasse ein paar Jahre Laufzeit ihrer Kraftwerke draufgeschlagen. Vattenfall wollte das älteste Lausitzer Kraftwerk Jänschwalde bis Ende der zwanziger Jahre Kohlestrom erzeugen lassen, die Leag plant nun angeblich bis 2031 oder gar 2033.

Jetzt setzte die Kohlekommission auftragsgemäß das Klimaschutzziel für 2030 an und für Jänschwalde steht wieder das Ende im Laufe der zwanziger Jahre im Raum. Für die reine Behauptung, das Kraftwerk solle doch länger laufen, winkt dem Betreiber nun eine Entschädigung vom Steuerzahler. Das ist Trickbetrug par excellence.

Irgendwas mit zehn Millionen Tonnen

Dass die Sofortmaßnahmen zum Abschalten der Kohlekraftwerke bis zum Jahr 2022 ausschließlich im Westen Deutschlands stattfinden würden, das konnte man schon Wochen vor der entscheidenden Kommissionssitzung in den Zeitungen lesen.

Um den Menschen in der Lausitz Klarheit und Planungssicherheit zu bringen – den Proschimern genauso wie den Kraftwerksmitarbeitern – hätte es ausgereicht, wenn der Endbericht der Kommission eindeutige Zwischenschritte auf dem Weg von 2023 bis 2030 festgelegt hätte.

Zwei solcher Zwischenschritte sah der Entwurf auch vor, über den in der letzten Kommissionssitzung am 25. Januar beraten wurde.

Stattdessen steht nun im Bericht ein salomonischer Satz über eine CO2-Reduktion von zehn Millionen Tonnen im Jahr 2025, die durch Braunkohlekraftwerke erbracht werden können – oder auch ganz woanders, oder durch ein "Innovationsprojekt", oder auch anders und zusätzlich zu einem stetigen Reduktionspfad oder anstelle desselben. Halt irgendwas mit zehn Millionen Tonnen.

"Waldspaziergang" zum Tagebau

Für den 30. März lädt die Umweltgruppe Cottbus zum Waldspaziergang am Tagebau Jänschwalde ein. Durch den schon vernichteten Wald führt der Weg zum bedrohten Wald bei Taubendorf, auf einer Straße, die es ab Juni nicht mehr geben soll.

Den Proschimern hätte notfalls auch ein Statement der Kommission zum Erhalt der Dörfer geholfen, auch ein "wünschenswert" wie zum Hambacher Wald im Berichtstext.

Die Kommission, die Milliarden-Entschädigungen für alles und jeden beschließen konnte, hatte für die Proschimer aber nicht einmal ein "wünschenswert" übrig. Das wollten die Ministerpräsidenten der Ost-Kohleländer nicht, die eigentlich gar kein Stimmrecht in der Kommission hatten.

Stattdessen erschien am nächtlichen Kommissionshimmel das Zauberkraftwerk, die Wunderwaffe des brandenburgischen Ministerpräsidenten Dietmar Woidke gegen den Kohleausstieg: Am Standort Jänschwalde soll irgendwas Innovatives gemacht werden,

Hauptsache man muss sich nicht festlegen. Dann könnte ja jemand die Kohle- und CO2-Mengen nachrechnen. Nachrechenbares ist ganz schlecht vor einer Landtagswahl, wie sie in Brandenburg ansteht. Das Kraftwerk liegt im Wahlkreis des Ministerpräsidenten. Der Gedanke, dass es irgendwann weg sein könnte, muss bis zum Wahltermin am 1. September um jeden Preis verdrängt werden. Zum wievielten Mal eigentlich?

Landtagswahlen in beiden Teilen der Lausitz

Derweil munkelt man hinter den Kulissen der Kohle-Lausitz, die tschechischen Oligarchen, denen EPH gehört, würden das Geld von der Leag abziehen, Finanzierungszusagen zurückziehen, Preise bei Lieferanten nachverhandeln und Sponsorings beenden.

Der Eindruck verdichtet sich, dass die milliardenschweren Strukturhilfen eigentlich diese Sparprogramme der Leag-Eigner ausgleichen und den Wahlkampf von zwei Ministerpräsidenten retten sollen. Denn auch in Sachsen, zu dem der andere Teil der Lausitz gehört, wird am 1. September gewählt, und der sächsische wie der brandenburgische Landeschef zittern vor dem Wahltag.

Proschim ist übrigens nicht allein betroffen. Im nordsächsischen Rohne wird der Kindergarten umgesiedelt, weil der Tagebau zu nah an das Dorf heranbaggern soll. Den Menschen in Taubendorf bei Guben droht derselbe Blick ins Loch. Noch versperrt ein privates Stück Wald dem Tagebau den Weg zum Dorf, vielleicht wird bald ein Enteignungsantrag gestellt.

Der Schlussbericht der Kohlekommission hat den Konflikt in der Lausitz nicht gelöst. Die Bundesregierung hätte es in der Hand, für mehr Klarheit zu sorgen. Aber die Hoffnung der Betroffenen, dass Politiker ihre Probleme lösen, schwindet zusehends.

Anzeige