Das Braunkohlekraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen
Im Kraftwerk Neurath in Nordrhein-Westfalen haben die ältesten Braunkohleblöcke schon deutlich mehr als 40 Jahre auf dem Generator. (Foto: Tetris L/​Wikimedia Commons)

An der Spitze der Kohle-Kommission sucht man hochrangige Politiker aus Nordrhein-Westfalen vergeblich. In den Medien ist meist nur von den Problemen des Kohleausstiegs im Osten oder, noch spezieller, in der Lausitz die Rede.

Dabei wird Deutschland genau dann beim Klimaschutz scheitern, wenn dieser in Nordrhein-Westfalen scheitert. Das stellt jetzt eine heute veröffentlichte Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin klar.

Allein die Braunkohlekraftwerke in NRW sorgten 2014 für zehn Prozent der deutschen Kohlendioxid-Emissionen. Das Bundesland ist der CO2-Spitzenreiter unter den deutschen Ländern – "dank" einem Kraftwerkspark von 10.000 Megawatt Braunkohle, der Hälfte der Kapazität hierzulande.

Dazu kommen noch einmal 8.000 Megawatt Steinkohle, ein Drittel des hiesigen Kraftwerksparks. Zugleich, stellen die DIW-Forscher fest, bestreiten in NRW die Erneuerbaren nur 12,5 Prozent der Stromerzeugung. Das liegt weit, weit unter dem Bundesschnitt von derzeit gut 36 Prozent.

"Nordrhein-Westfalen ist das Schlüssel-Bundesland für eine erfolgreiche Energiewende und zum Erreichen der Klimaziele", betont Mitautorin Claudia Kemfert vom DIW gegenüber Klimareporter°. "Wenn wir die Klimaziele schaffen wollen, geht das nur mit einem rasch eingeleiteten Kohleausstieg. Die Landesregierung ist gefordert, den Kohleausstieg aktiv zu gestalten und im Rahmen ihres Klimagesetzes zu verabschieden", so die Energieökonomin.

Wie bei anderen derartigen Untersuchungen rechnet auch das DIW damit, dass der Stromsektor bis 2030 überproportional große CO2-Einsparungen erbringen muss, weil andere Bereiche wie vor allem der Verkehr kaum die nötigen Reduktionen einbringen.

Insgesamt untersuchten die Forscher drei Szenarien. Bei einem schnellen Ausstieg würde dabei bis 2030 deutschlandweit die gesamte Kohleverstromung von heute knapp 46.000 auf 8.600 Megawatt reduziert werden, wobei nur noch Steinkohle- und keine Braunkohleanlagen übrig bleiben würden.

Die DIW-Forscher treten ausdrücklich der Befürchtung entgegen, bei einem starken Zurückfahren der deutschen Kohlekraft würde Atomstrom aus Frankreich oder Braunkohlestrom aus Polen importiert werden. Das sei unbegründet.

Der deutsche Kohlestrom, der derzeit exportiert wird, sei für die Abnehmerländer nur dann wirtschaftlich, wenn er nicht günstiger im eigenen Land erzeugt werden könne, heißt es in der Studie. Daher konkurriere deutscher Kohlestrom im Ausland nicht mit Atom- oder Braunkohlestrom, sondern verdränge derzeit vor allem dortige Gaskraftwerke.

Drei Szenarien für den Kohle-Ausstieg

Die Modellrechnungen des DIW simulieren drei Szenarien: Bei einem langsamen Ausstieg (Referenz-Szenario) werden die bestehenden Kohlekraftwerke ausschließlich nach Erreichen ihrer technischen Lebensdauer stillgelegt. Dabei werden die Klimaziele für CO2-Emissionen in der Energiewirtschaft auch für 2030 deutlich verfehlt.


Bei einem etwas forcierten mittleren Ausstieg werden die Kohlekapazitäten bis 2030 auf gut 17.000 Megawatt reduziert und zusätzlich Kapazitäten gedrosselt.


Bei forciertem schnellen Ausstieg wird die Gesamtkapazität auf 8.600 Megawatt reduziert. Sofern gleichzeitig die erneuerbaren Energien den Zielen der Bundesregierung entsprechend ausgebaut werden, können in den beiden letzteren Fällen die Klimaziele für 2030 erreicht werden. Bei einer zusätzlichen Begrenzung der jährlichen Laufzeit alter Kohlekraftwerke kann der Stromsektor zudem noch zur Annäherung an das Klimaschutzziel für 2020 beitragen.

Gehe nun die deutsche Kohlestromerzeugung zurück, sei im Ausland "lediglich mit zusätzlicher Erzeugung aus Gaskraftwerken, aber nicht von aktuell ohnehin bereits ausgelasteten Atom- oder Braunkohlekraftwerken zu rechnen". Am Ende, so die DIW-Forscher, käme es nur zu einem vernachlässigbaren Anstieg der Kohleverstromung in den Nachbarländern, etwa "im Umfang von 0,6 bis 2,1 Prozent des Rückgangs in Deutschland".

Ein zweites, recht überraschendes Ergebnis der Studie ist, dass ein schneller Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen so gestaltet werden kann, dass auch eine Reihe von Orten und Landschaften nicht abgebaggert werden muss.

So müssten die Dörfer Keyenberg, Kuckum, Unterwestrich, Oberwestrich und Berverath dann nicht mehr dem Tagebau Garzweiler II weichen. Beim Braunkohletagebau Hambach könnte die Abbaumenge auf 230 Millionen Tonnen beschränkt werden, sodass die umstrittene Abholzung großer Teile des Hambacher Waldes unnötig ist.

Außerdem verlangen die DIW-Forscher von der Düsseldorfer Landesregierung, mehr für die Erneuerbaren zu tun, auch wenn die Bundesebene hier gerade bremst. "Die Landesregierung kann die Bundesregierung zu einem deutlichen Ausbau erneuerbarer Energien auffordern und den Wandel aktiv gestalten, was derzeit leider gar nicht passiert", erklärt Claudia Kemfert.

Stattdessen blockiere NRW mit landeseigenen Gesetzen den Erneuerbaren-Ausbau, das müsse aufhören. "Das Bundesland hat die besten wirtschaftlichen Chancen durch die Energiewende, schon heute arbeiten viele Beschäftigte in den Bereichen erneuerbare Energien, Energieeffizienz oder nachhaltige Mobilität", betont die Energieökonomin.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert ist Mit-Herausgeberin von Klimareporter°

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