Vor gut sechseinhalb Jahren verhinderte ein bemerkenswerter Schulterschluss von Menschen aus der Zivilgesellschaft, autonomen Aktivist:innen und NGOs die Rodung von dem, was der Braunkohletagebau vom ursprünglich 4.100 Hektar großen Hambacher Wald übrig gelassen hatte.

Um als Ökosystem zu überleben und in ihrer Unersetzbarkeit erhalten zu bleiben, brauchten die verbliebenen 200 Hektar Wald nun dringend Anschluss an die westlich und östlich liegenden alten Wälder. Diese Waldvernetzung ist inzwischen im schwarz-grünen Koalitionsvertrag für Nordrhein-Westfalen wie auch in der Braunkohle-Leitentscheidung der Landesregierung festgeschrieben.

 

Doch nunmehr kommt der Kohleausstieg um anderthalb Jahrzehnte früher, verglichen mit den Fristen, mit denen noch 2018 geplant wurde. RWE benötigt deswegen schnell große Mengen an Abraum, um die Tagebauböschungen für die kommende Flutung zu stabilisieren.

Aktive aus allen Teilen der Gesellschaft mahnen dazu seit Jahren eine nachvollziehbare Massenbilanzierung an. Der Konzern hatte jedoch eine für ihn profitablere Idee: Statt durch den "Hambi" hindurch soll um den Wald herum gebaggert werden, um Sand und Kies für die Tagebau-Kanten zu gewinnen.

Opfer des Plans ist die besagte Waldvernetzung. Auf der Fläche, die noch weggebaggert werden soll, gibt es mit dem Manheimer Fließ eine langgezogene, gewachsene Grünstruktur mit vielen Habitatbäumen, auf denen die streng geschützte Bechstein-Fledermaus lebt. Selbst Wildkatzen wurden in der Umgegend des Fließes schon gesichtet.

Klage des BUND verhinderte offenbar die Rodung

Nahe der ehemaligen Ortschaft Manheim steht außerdem das sechs Hektar große "Sündenwäldchen". Irgendwann durch Ackerflächen vom "Hambi" abgetrennt, hat es doch dieselbe alte DNA – und eine immense Dichte an Habitatbäumen. Dieses Stück Hambacher Wald soll jetzt allen noch ungeklärten Fragen zum Trotz gerodet werden.

Seit Ende September 2024 ist das "Sündenwäldchen" daher von Aktivist:innen besetzt, und sonntägliche Spaziergänge schaffen genau die Aufmerksamkeit, die RWE für seine Rodungspläne gern vermieden hätte.

Seit dem Neujahr 2025 bietet auch eine Dauermahnwache am Waldrand einen legalen Anlaufpunkt für alle Interessierten. Und wie schon 2018 hat der Umweltverband BUND den Klageweg beschritten. Am gleichen Ort stehen sich also die Beteiligten von damals erneut gegenüber.

Hinter den Menschen, die sich für den Erhalt des Sündenwäldchens einsetzen – zumindest aber für ein korrektes Prozedere –, liegt dabei ein Jahresanfang, der Spuren an ihrem demokratischen Nervenkostüm hinterlassen hat.

Dank einer Eilklage des BUND blieb die sich abzeichnende Rodung des Sündenwäldchens am Dreikönigstag zunächst aus. In den Tagen darauf wurde aber sichtbar, wie sich RWE an verschiedenen demokratischen Dreh- und Angelpunkten einzumischen versuchte.

Versammlungsrecht und Unabhängigkeit der Medien strapaziert

So berichtete der WDR an den Folgetagen plötzlich, Polizeikräfte seien dabei, am Hambacher Wald ein Versammlungsverbot gegen die Mahnwache durchzusetzen, weil laut RWE Rettungs- und Betriebswege blockiert seien. Zugleich verbreitete der Sender aber auch die Versicherung des Konzerns, es gebe keine konkreten Rodungspläne für das Sündenwäldchen.

Das eigentlich unabhängige Leitmedium der Region übernahm diese Information aus der RWE‑Pressestelle, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon schwarz auf weiß die Nachricht vorlag, dass der Konzern in seiner Erwiderung auf die Klage des BUND inzwischen den 13. Januar als Rodungsdatum genannt hatte.

Lichter Laubwald, zwischen den Bäumen ist ein rotes Transparent gespannt, auf dem in weißer Schrift steht: Wald statt Kohle.
Falls dieses Transparent aus "Hambi"-Zeiten schon weggeworfen wurde, war das wohl verfrüht. (Bild: Herbert Sauerwein/​Ende Gelände/​Flickr)

Zudem hatte ein WDR-Reporter vor Ort selbst gesehen, dass die Mahnwache nicht auf, sondern neben einem Zufahrtsweg postiert war.

Die Polizei gab als Begründung für die Auflösung der Mahnwache an, besagte Versammlung sei "nicht bestätigt". Laut amtlicher Pressemitteilung "informierten Vertreter der Versammlungsbehörde die Demonstranten am aktuellen Ort der Mahnwache über die Nichtbestätigung, den Willen des Grundstückseigentümers und die rechtlich zu erwartenden Folgen bei Nichtbeachtung".

Nun ist es ein verbreiteter Irrtum, dass Versammlungen in Deutschland genehmigt oder "bestätigt" werden müssen. Es ist ein Grundpfeiler des Versammlungsrechts, dass eine Kundgebung – in diesem Fall die Mahnwache am Sündenwäldchen – angemeldet werden muss. Reagiert die Versammlungsbehörde binnen 48 Stunden nicht mit Auflagen oder einem Verbot, ist die Versammlung rechtens.

Dies sah auch das Verwaltungsgericht in Köln so, das der Mahnwache kurz darauf gestattete, ihren ursprünglichen Standort wieder einzunehmen. Das Gericht ließ dabei der Polizei als Versammlungsbehörde ebenso wie dem Konzern als Beigeladenem in der Urteilsbegründung einen unmissverständlichen Grundkurs im Versammlungsrecht zukommen.

Nach wie vor anhängig ist die Klage des BUND gegen die Rodung des Sündenwäldchens beim Oberverwaltungsgericht Münster. Inzwischen hat sich der Konzern gegenüber dem Gericht bis Ende Januar zum Stillhalten verpflichtet, will aber mit der Rodung des Grünkorridors am Manheimer Fließ beginnen.

Alternativkonzepte wurden nie geprüft

Neben dem BUND weist auch die grüne Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger darauf hin, dass sich RWE "undemokratisch" verhalte. Nach der Genehmigung des neuen Hauptbetriebsplans bräuchten Anwohner:innen, Umweltverbände und Parlamente genügend Zeit zur Prüfung, fordert Henneberger. "Mit dem Versuch des Kohlekonzerns, schnellstmöglich mit einer Räumung und Rodung zu eskalieren, wird erneut der soziale Frieden in der Region gefährdet."

Ihre Parteikollegin und Landtagsabgeordnete Antje Grothus wirbt im nordrhein-westfälischen Landtag dafür, die existierenden Grünstrukturen so weit wie nur möglich zu erhalten. Ein Biotopverbund sei kein "Nice to have", sondern wichtig für die Sicherung der natürlichen Lebensgrundlagen und zur Eindämmung der Biodiversitätskrise, sagte Grothus.

Allerdings zeichnet sich ab, dass das Prozedere rund um die Erweiterungspläne beim Tagebau Hambach mitten im Wahlkampf auch für die Grünen zu einem Dilemma wird. So lobt sich RWE auf seiner Website, die "vorbildliche Rekultivierung" schaffe "abwechslungsreiche, ökologisch wertvolle" Areale und trage dazu bei, die "Artenvielfalt nachhaltig zu erhöhen".

Dieses Framing übernimmt nun NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne). Er begrüßte im WDR-Interview die Konzern-Pläne, später durch Jungbaum-Anpflanzungen neue Korridore zu schaffen, als "Fortschritt für den Naturschutz", obgleich diese Pläne weder Habitatbäume noch zeitnah adäquate Ersatzstrukturen bieten.

 

Als Anfang 2023 das Dörfchen Lützerath am weiter nördlich gelegenen Tagebau Garzweiler zerstört wurde, behauptete RWE, dies diene dem Allgemeinwohl respektive der Versorgungssicherheit in der Energiekrise. Das ist inzwischen nicht nur anhand von Studien widerlegt, sondern jeder kann sich selbst ein Bild davon machen, dass die Kohle unter Lützerath bis heute unangetastet ist.

Für die Zerstörung der wertvollen Grünstrukturen rund um den Hambacher Wald gibt es eine solche Ausrede nicht. Diese dient allein der Konzernkasse. Die vorliegenden Alternativkonzepte wurden niemals geprüft, und der BUND klagt jetzt noch darauf, dass RWE und Politik eine faktenfeste Massenbilanzierung für die Rekultivierung des Tagebaus vorlegen.

Während es dem Konzern also gelungen ist, dem Vorgehen der Polizei, den Aussagen der politischen Spitze und der Medienberichterstattung seine Handschrift aufzudrücken, kämpfen vor Ort die bekannten Aktiven weiter dagegen, dass noch mehr alte Kulturlandschaft geopfert wird. Mehr noch, sie kämpfen auch schlicht und ergreifend – und zunehmend fassungslos – dafür, dass grundlegende demokratische Spielregeln eingehalten werden.