Zwei demonstrierende Personen mit großem gelbem X, Ortsschildern abgebaggerter oder bedrohter Dörfer und einem symbolischen Schutthaufen auf der Wiese vor dem Landtagsgebäude in Düsseldorf.
Symbolischer Schutthaufen heute vor dem Düsseldorfer Landtag. (Foto: Alexander Franz)

Der zuletzt schnelle Rückgang der Kohleverstromung in Deutschland und die anhaltende Kritik an veralteten Tagebauplanungen haben für die bedrohten Dörfer im Rheinland wenigstens einen Aufschub bewirkt: In der heute verabschiedeten "Leitentscheidung" der nordrhein-westfälischen Landesregierung für das Rheinische Braunkohlerevier sind zwei sogenannte Checkpoints vorgesehen.

An diesen Punkten sollen getroffene Entscheidungen noch einmal überprüft werden, erläuterte der zuständige NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP) heute in Düsseldorf.

Der eine Checkpoint liegt demnach im Jahr 2032. Dann soll geprüft werden, ob das letzte Braunkohlekraftwerk schon 2035 und nicht erst 2038 endgültig vom Netz geht.

Den anderen Checkpoint lokalisierte Pinkwart im Jahr 2026. Dabei gehe es um die Frage, "ob die fünf Dörfer überhaupt noch oder möglicherweise später in Anspruch genommen werden". Beides könne Ergebnis der Überprüfung sein.

In der Leitentscheidung ist deshalb festgelegt, dass sich bis dahin der Betrieb des RWE-Tagebaus Garzweiler II auf die, so Pinkwart, bereits weitgehend unbewohnten Ortschaften Immerath und Lützerath konzentriert. Keyenberg und die anderen betroffenen Dörfer dürfen danach nicht vor Ende des Jahres 2026 "bergbaulich in Anspruch genommen", sprich abgebaggert werden.

Auf Nachfrage erklärte Pinkwart aber auch, dass die Flächen, auf denen sich die genannten Orte befinden, bundesrechtlich weiter zur Braunkohleförderung genutzt werden können. Die Landesregierung sage nur, dass zuerst die Flächen genutzt werden sollen, auf denen sich die Ortschaften nicht befinden.

Die Leitentscheidung verringert dem Minister zufolge die abzubauende Kohlemenge drastisch. Bis zum Ende des Jahrzehnts würden zwei der drei noch aktiven Tagebaue komplett eingestellt und der dritte – Garzweiler II – verkleinert. Pinkwart stritt auf Nachfrage ab, dass Orte nur abgebaggert würden, um an den zur Tagebauverfüllung nötigen Abraum zu kommen. Das könne er "für die infrage kommenden Dörfer ausschließen".

"NRW erfüllt mit der Braunkohle einen nationalen Auftrag"

Der Wirtschaftsminister verteidigte zugleich die Fortsetzung der Braunkohle-Förderung. Mit der Braunkohleverstromung erfülle Nordrhein-Westfalen einen "nationalen Auftrag", sagt Pinkwart. Vor allem sei das Land ein "Stützpfeiler" für die Energieversorgung im südlichen Deutschland.

Die neue Leitentscheidung der CDU-FDP-Koalition in Düsseldorf war nach dem Beschluss zum Kohleausstieg notwendig geworden und ersetzt die Entscheidung der rot-grünen Landeregierung aus dem Jahr 2016. Schon der 2019 vorgestellte Entwurf der schwarz-grünen Leitentscheidung sah vor, dass fünf Ortschaften am Tagebau Garzweiler umgesiedelt werden müssen.

Das grundsätzliche Festhalten an der Abbaggerung sorgte auch heute für scharfe Kritik von Anwohnern und Umweltschützern. Dass eine Zerstörung der Dörfer für die Braunkohle in Zeiten des Klimawandels nicht mehr rechtmäßig und nicht verfassungsgemäß sei, stehe bereits heute fest und nicht erst 2026, sagte Waltraud Kieferndorf aus dem bedrohten Dorf Kuckum, die sich in der Initiative "Menschenrecht vor Bergrecht" engagiert.

Der Initiative gehören Garzweiler-II-Anwohner an, deren Zuhause für den Braunkohleabbau weichen soll. Um den Garzweiler II weiterzuführen, braucht der Betreiber RWE das Gemeinschaftsgrundstück der Gruppe. Bislang hat der Konzern sich geweigert, einen Enteignungsantrag für das unmittelbar vor Keyenberg gelegene Grundstück zu stellen.

Bereits seit Herbst 2019 verlangt die Initiative von RWE, das Enteignungsverfahren einzuleiten. Erst in diesem Verfahren könne verbindlich geklärt werden, so die Gruppe, ob ihr Zuhause noch für Braunkohle zerstört werden darf. Der Kohlekonzern blockiere aber das entscheidende Gerichtsverfahren, indem er die Enteignung des Grundstücks nicht beantrage.

"Für Laschets Regierung gehen die Wünsche von RWE vor"

In Düsseldorf fanden heute mehrere Protestaktionen gegen die Kohlepolitik der Landesregierung statt. Eine Gruppe lud einen Schutthaufen auf der Wiese vor dem Landtag ab. Dieser sollte symbolisch für die mehreren hundert Dörfer im Rheinland stehen, die für den Abbau von Braunkohle abgebaggert wurden und werden.

Für David Dresen von der Initiative "Alle Dörfer bleiben" schiebt die Leitentscheidung nicht nur die zahlreichen Gutachten beiseite, laut denen die Kohle unter den Dörfern gar nicht mehr benötigt werde – die Entscheidung mache auch alle Anstrengungen zunichte, die Klimaziele noch einzuhalten.

Es sei schockierend, so Dresen, wie sehr der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) wissenschaftliche Fakten zur Klimakrise und zum 1,5-Grad-Ziel missachte, um sich stattdessen von RWE seine Politik diktieren zu lassen.

Die Aktivisten wiesen auch darauf hin, dass die EU ihr Klimaziel deutlich erhöht und sich verpflichtet hat, den CO2-Ausstoß bis 2030 um mindestens 55 Prozent statt nur um 40 Prozent zu senken. Der dadurch steigende CO2-Preis hat erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit vor allem der klimaschädlichen Braunkohlekraftwerke, was einen deutlich sinkenden Kohlebedarf zur Folge hat.

Für Jasmin Ziemacki vom Zivilgesellschaftsbündnis Klima-Allianz ist die Leitentscheidung "buchstäblich auf Sand gebaut". Das werde besonders bei Garzweiler II deutlich. "Statt vorausschauend den Tagebau an die neue energiepolitische Wirklichkeit anzupassen, wird die Planung von vor sechs Jahren weitergeschrieben", kritisierte Ziemacki.

So könne es keine Planungssicherheit für betroffene Kommunen oder Beschäftigte geben, betonte die Kohleexpertin des Bündnisses. Die Landesregierung unter Armin Laschet stelle erneut die Wünsche von RWE vor die der Menschen in der Region.

Rund um die Düsseldorfer Staatskanzlei waren am Nachmittag "Clean Graffiti" mit dem Schriftzug "Kohle-Laschet" auf dem Boden lesbar.

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