An seine vor zehn Monaten an gleicher Stelle in der Bundespressekonferenz gesprochenen Worte erinnert sich Kai Niebert noch genau: "Besser schlechten Klimaschutz als gar keinen Klimaschutz", hatte der Präsident des Deutschen Naturschutzrings (DNR) Ende Januar das Ergebnis der Kohlekommission kommentiert.
Einige großkoalitionäre Entwürfe von Klima- und Kohlegesetzen später korrigiert sich Niebert am heutigen Mittwoch: "Wir haben nicht nur schlechten, sondern gar keinen Klimaschutz – wenn nicht sogar eine Klimaschutzverhinderungspolitik."
Der Dachverbandschef macht das "Verhindern" zum einen an der Absicht der Bundesregierung fest, die mit dem Kohleausstieg frei werdenden CO2-Zertifikate nicht zu löschen. "Dann bekommen wir einen milliardenteuren Kohleausstieg, der keinen Klimaschutz nach sich zieht", schließt Niebert trocken.
Zum anderen kritisiert er die – nach seinen Worten – vom Bundeswirtschaftsministerium durchgesetzte und nicht nachvollziehbare Abstandsregel für Windkraft. Für den DNR-Präsidenten hat Deutschland bei der Windkraft kein Akzeptanzproblem in der Bevölkerung, sondern eins im Bundestag und in den Ministerien.
2020 geht ein neues Kohlekraftwerk ans Netz
Niebert wie auch Martin Kaiser von Greenpeace fordern Regierung, Bundestag und Bundesrat auf, am Kohlekompromiss nicht zu rütteln, sondern die Vorschläge eins zu eins umzusetzen. Bei dieser Zusage steht die Bundesregierung für Kaiser "mit leeren Händen" da. Kein einziges Kohlekraftwerk sei vom Netz gegangen, alle Versprechen, 2019 ein Ausstiegsgesetz zu beschließen, seien gebrochen worden.
Mehrfach empört sich der Greenpeace-Geschäftsführer, wie "skandalös" es sei, dass im kommenden Jahr mit Datteln 4 ein neues großes Kohlekraftwerk ans Netz gehen soll, obwohl die Kohlekommission genau das Gegenteil empfahl. "Die große Koalition aus SPD und Union ist beim Klimaschutz handlungsunfähig", betont Kaiser.
Das "Anti-Windkraft-Gesetz" von Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) müsse "jetzt komplett vom Tisch des Kabinetts genommen werden", verlangte seinerseits Michael Schäfer vom WWF. "Es konterkariert alles, was die Bundesregierung im Klimaschutz verkündet." Es könne nicht sein, so Schäfer, dass die Regierung die Fassade hübsch mache, zugleich aber eine tragende Wand der Energiewende einreiße.
DNR-Chef Niebert rät am Mittwoch – um das Windkraft-Problem politisch zu händeln –, den Kohleausstieg gesetzestechnisch vom Ausbau der Erneuerbaren zu trennen. Letzteren könne man "intelligent" mit der für 2020 ohnehin vorgesehenen EEG-Novelle regeln.
Klimaaktivisten werden zu Hoffnungsträgern
Große Hoffnungen ruhen nach wie vor auf den Klimaaktivisten. "Ohne die großen Demonstrationen in diesem Jahr wären wir noch nicht so weit, wie wir jetzt sind", sagt Jörg-Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes Nabu. Die Demos seien in diesem Jahr das treibende Element. Das reiche aber noch nicht aus, bekennt Krüger. Deswegen gehe es am kommenden Freitag – am Klimastreiktag – darum, nochmals ein "starkes Signal zu setzen".
Für Freitag und das gesamte Wochenende haben Bündnisse wie "Fridays for Future", "Ende Gelände" wie auch die Initiative "Alle Dörfer bleiben" eine Vielzahl von Aktionen angekündigt. Beim "Globalen Klimastreik" am Freitag will Fridays for Future in mehr als 500 Orten und Städten auf die Straße gehen.
Die Aktionen werden dabei, wie Nabu-Chef Krüger erklärte, von den Umweltverbänden "mit aller Kraft" unterstützt. Darüber hinaus beteiligen sich aber auch die Arbeiterwohlfahrt und der Paritätische Wohlfahrtsverband.
Obwohl in diesem Jahr die größten Klimaproteste der Geschichte stattfanden, würden die nötigen klimapolitischen Maßnahmen nicht ergriffen, stellte Nike Mahlhaus von "Ende Gelände" ebenfalls am Mittwoch fest. Es gebe also auch eine Demokratiekrise. "Der Protest mag Gesetze überschreiten, aber angesichts der Klimakrise halten wir das für legitim", betonte Mahlhaus.
Schwerpunkt im Lausitzer und Leipziger Revier
Als regionaler Schwerpunkt der Proteste in den nächsten Tagen zeichnen sich im Osten das Lausitzer und das Leipziger Revier ab.
In den letzten Wochen habe man erlebt, dass es nicht ausreiche, "viele" zu sein und Ausdauer zu haben, sagte Carla Reemtsma von Fridays for Future. "Deswegen gehen wir am Samstag nach dem 'Global Strike' einen Schritt weiter und streiken am Ort der Zerstörung." Ziel der Aktionen ist dabei vor allem das Braunkohlekraftwerk Jänschwalde nördlich von Cottbus.
Nach dem Eindruck von Mahlhaus gibt es in der Lausitz derzeit eine "Stimmungsmache" gegen die Proteste. Die Aktionen der Klimaschützer richteten sich aber nicht gegen die Menschen in der Lausitz oder gegen die Beschäftigten des dortigen Kohleunternehmens Leag, auch nicht gegen die Leag selbst oder gegen die Polizei, sondern "gegen das System der Braunkohleverstromung und den Kapitalismus", erklärte die Sprecherin.
Nicht jeder müsse gut finden, was "Ende Gelände" mache, das sei in Ordnung. Man habe aber auch, gab Mahlhaus zu verstehen, Vorkehrungen getroffen, um mit der "Nazibedrohung" vor Ort klarzukommen.