Es ist eine der wenigen Veranstaltungen auf der Weltklimakonferenz COP 28, bei der die Wissenschaft im Zentrum steht. Zwischen Verhandlungen, Pressekonferenzen und mehr oder weniger überzeugenden Ankündigungen von Staatschefs stellte am Sonntagabend in Dubai eine kleine Gruppe von Wissenschaftler:innen einen neuen Bericht vor.
Der Titel: "Ten New Insights in Climate Science" – zehn neue Erkenntnisse der Klimawissenschaft.
Es ist die siebte Ausgabe des Berichts. Jedes Jahr kommen führende Wissenschaftler:innen aus Universitäten und Forschungsinstituten zusammen und ermitteln die zehn wichtigsten klimawissenschaftlichen Updates aus dem vergangenen Jahr.
Einer von ihnen ist Johan Rockström, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er hat die Ehre, in einem Parforceritt – der Event ist auf eine halbe Stunde veranschlagt – die zehn Punkte vorzustellen.
"Der Bericht wird nicht nur an den Chef des UN-Klimasekretariats Simon Stiell, sondern an alle Verhandlungsparteien des Klimagipfels geschickt", hebt Rockström die Bedeutung der Arbeit hervor und schickt den Appell nach: "Wissenschaft muss wieder ins Zentrum der Verhandlungen rücken."
Die zehn wichtigsten Erkenntnisse:
- Die Überschreitung der 1,5-Grad-Schwelle der Erderwärmung ist – zumindest vorübergehend – unvermeidbar. Entscheidend ist, das Ausmaß und die Dauer der Überschreitung zu minimieren, um keine irreversiblen Veränderungen im Erdsystem zu riskieren.
- Um die Ziele des Pariser Klimaabkommens in Sichtweite zu halten, führt kein Weg an einem schnellen und kontrollierten Ausstieg aus den fossilen Energien vorbei. Regierungen dürfen keine neuen fossilen Projekte erlauben und müssen die bestehende fossile Infrastruktur früher stilllegen als bisher geplant.
- Die Politik muss die Möglichkeiten zur effizienten CO2-Entnahme massiv vorantreiben.
- Anschließend an den vorherigen Punkt, ist davor zu warnen, sich zu sehr auf natürliche CO2-Senken zu verlassen. Denn es ist unklar, wie sich die CO2-Aufnahmefähigkeit von Wäldern und Ozeanen mit fortschreitendem Klimawandel verändert.
- Die Klimakrise und die Biodiversitätskrise hängen zusammen und können nur gemeinsam gelöst werden.
- Gleichzeitig auftretende Extremereignisse – etwa eine Dürre in Kombination mit einer Hitzewelle – können schlimmere Auswirkungen haben als "die Summe der Einzelereignisse". Diese sogenannten compound events bergen große Risiken und werden wissenschaftlich noch wenig verstanden.
- Gebirgsgletscher schmelzen immer schneller. Das gefährdet die in Gebirgen lebenden Gemeinschaften, und etwa zwei Milliarden flussabwärts lebende Menschen sind dadurch von Wasserknappheit bedroht.
- Der Klimawandel kann die Mobilität vor allem armer Bevölkerungsgruppen einschränken. Menschen, die nicht umziehen können, sind besonders stark von den Folgen des Klimawandels betroffen.
- Klimaanpassung schützt oft nur Teile der Gesellschaft und kann sogar nachteilig für andere sein. Gerechtigkeit als Kriterium in Klimaanpassungsstrategien aufzunehmen, würde helfen, Fehlanpassung zu verhindern.
- Eine Reform des weltweiten Ernährungssystems ist für wirksamen Klimaschutz unerlässlich. Dabei kann das Ernährungssystem von einer der größten Emissionsquellen zu einem Teil der Lösung werden.
Hoffnung und Optimismus – nur keine Wissenschaft
Die Sorge der Wissenschaft, auf dem Klimagipfel zu wenig Gehör zu finden, wurde wenige Stunden zuvor erneut bestätigt. Am selben Tag, als Rockström in Dubai das Podium betrat, machte ein Artikel im britischen Guardian über den umstrittenen Konferenzpräsidenten Sultan Al Jaber die Runde.
Der Artikel dreht sich um ein Gespräch zwischen Al Jaber und Mary Robinson, der früheren Präsidentin von Irland. In einer Online-Veranstaltung hatte Al Jaber demnach auf eine Frage von Robinson geantwortet, es gebe keine wissenschaftlichen Belege dafür, dass der Ausstieg aus fossilen Energien für das 1,5-Grad-Ziel notwendig sei.
COP 28 in Dubai
Bei der 28. UN-Klimakonferenz in Dubai geht es um ein verbindliches Ausstiegsdatum aus den fossilen Energien. Klimareporter° ist vor Ort und berichtet mehrmals täglich.Darauf angesprochen, antwortete Klimaforscher Rockström in gewöhnt nüchterner Manier: "Alle noch möglichen Szenarien im Einklang mit dem 1,5-Grad-Ziel setzen voraus, dass wir aus den fossilen Energien bis 2050 aussteigen."
Allerdings werde es Restemissionen geben. Diese müssten, so der Wissenschaftler, über CO2-Speichertechnologien abgefangen werden. Aber auch das werde noch nicht reichen: Um die absehbare Überschreitung der Temperaturgrenze wieder rückgängig zu machen, müsse der Atmosphäre unterm Strich CO2 entzogen werden.
Die Szenarien sehen deshalb, zusätzlich zu einem schnellen Ausstieg aus Kohle, Öl und Gas, einen ebenso schnellen Ausbau von CO2-Entnahme-Möglichkeiten vor. "Es kann wissenschaftlich keine andere Aussage geben, als dass der Ausstieg aus fossilen Energien notwendig, aber bei Weitem nicht ausreichend ist."
In einer Pressekonferenz am Montag äußerte sich auch Konferenzpräsident Al Jaber zu den Vorwürfen. Er glaube an die Wissenschaft. "Alles, was wir tun, dreht sich um die Wissenschaft."
Der Guardian habe das Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, sagte Al Jaber. Es handle sich um einen weiteren Versuch, die Arbeit von ihm und seinem Team zu untergraben. Der Gipfel sei bisher ein enormer Erfolg, fuhr er fort. Wenn er über das Konferenzgelände laufe, sehe er Hoffnung und Optimismus.
Es kann nur spekuliert werden, dass Al Jaber auf dem Gelände keinen Klimawissenschaftler:innen begegnet ist.