Kalbende Gletscherfront in Svalbard, Spitzbergen, Norwegen
Kalbende Gletscherfront auf der norwegischen Insel Spitzbergen in der Arktis. (Foto: Fabien Maussion/​Universität Innsbruck)

Steigende Temperaturen lassen die Gletscher weltweit immer rascher abschmelzen. Mit weitreichenden Konsequenzen: Bis zum Ende dieses Jahrhunderts könnten drei Viertel aller Gletscher unwiederbringlich verloren gehen, wenn die globale Erwärmung drei Grad im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter erreicht.

Das geht aus einer Studie eines internationalen Forscherteams um den Glaziologen David Rounce von der Carnegie Mellon University in Pennsylvania hervor, die im Fachmagazin Science veröffentlicht wurde.

Prognosen zufolge wird die globale Durchschnittstemperatur zum Ende des Jahrhunderts 2,7 Grad höher als zu vorindustriellen Zeiten liegen. Grundlage dieser Annahme sind die Klima-Zusagen der Staaten im Rahmen des Pariser Klimaabkommens. 

"Wir sind aufgrund des aktuellen Niveaus der Emissionen leider auf dem Weg in Richtung einer Temperaturzunahme um 2,7 Grad", bestätigt Fabien Maussion vom Institut für Atmosphären- und Kryosphärenwissenschaften der Universität Innsbruck, ein Mitautor der jetzt erschienenen Studie. Das würde zwei Drittel aller Gletscher weltweit bis 2100 zum Verschwinden bringen, so der Klimaforscher.

Ganze Regionen in den mittleren Breiten wie Mitteleuropa, Westkanada, den USA und Neuseeland wären dann fast vollständig ohne Gletscher.

Ob die Staaten ihre Klimazusagen einhalten werden, ist keineswegs ausgemacht. Die Gletscher könnten bei noch stärkerer Erderhitzung weiter schrumpfen. Bei einer Erwärmung um vier Grad bis 2100 könnten 83 Prozent aller Gletscher verloren gehen. Vor allem kleinere Gletscher würden dann komplett abschmelzen.

Weltweit würden die Gletscher bei einem Vier-Grad-Anstieg voraussichtlich 41 Prozent ihrer Masse verlieren, was wiederum zu einem Anstieg des Meeresspiegels um 15,4 Zentimeter allein durch die Gletscherschmelze führen würde.

"Fossil-Ausstieg kann viele Gletscher retten"

Die Studie schätzt den Eisverlust höher ein als frühere Studien. Das liegt auch an immer präziser werdenden Methoden der Klimaforschung, wie Maussion erläutert. "Wir haben in dieser Studie die Methodik prinzipiell verbessert, da wir Satelliten-Beobachtungen und Modelle miteinander kombiniert haben und nun auch regionale Besonderheiten und die dynamische Entwicklung genau berücksichtigen können."

In die Untersuchung haben die Forscher:innen mehr als 215.000 Gletscher weltweit einbezogen – ohne die großen Eisschilde Grönlands und in der Antarktis.

Allerdings zeigt die Studie auch, dass konsequenter Klimaschutz viele Gletscher noch retten könnte. Würde es der Menschheit gelingen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, würde "nur" ein Viertel der Gesamtmasse und damit die Hälfte der Gletscher komplett abschmelzen.

"Für sehr viele Gletscher ist es leider schon zu spät, aber das heißt nicht, dass wir nichts mehr tun können. Jede Verminderung der Treibhausgasemissionen und damit die Abkehr von fossilen Brennstoffen trägt dazu bei, noch bestehende Eismassen zu retten und den Anstieg des Meeresspiegels einzugrenzen", so Maussion weiter.

Umweltorganisationen rufen die Bundesregierung zum zügigen Handeln auf. "Es zählt jetzt jedes Zehntelgrad. Dafür müssen wir raus aus fossiler Energienutzung und endlich die Ausbaugeschwindigkeit der Erneuerbaren erhöhen", sagte Viviane Raddatz vom WWF Deutschland. Das sei ein klarer Auftrag an die Bundesregierung, die Lücke zu den gesetzten Klimazielen zu schließen und endlich ein ambitioniertes Sofortprogramm zu beschließen.

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