Mehr als 735 Millionen Menschen leiden derzeit an chronischem, also anhaltendem Hunger. Sogar 2,4 Milliarden Menschen – rund 30 Prozent der Weltbevölkerung – sind von mittlerer bis schwerer Ernährungsunsicherheit betroffen.

Gleichzeitig trägt das moderne Agrarsystem nicht unerheblich zum Klimawandel, zum Artenverlust und zur Übernutzung der Wasserressourcen bei.

 

Und die Lage droht sich noch zu verschärfen, da die Zahl der Menschen, die satt werden wollen, weiter ansteigt: von heute acht Milliarden auf zehn Milliarden Menschen um 2050. Eine neue Forschungsarbeit zeigt nun, wie eine Lösung für diese Probleme aussehen könnte.

Es klingt fast utopisch: Es wäre möglich, die Nahrungsmittelproduktion fast zu verdoppeln, dabei Wasser zu einzusparen und gleichzeitig die CO2-Speicherung zu erhöhen. Das zumindest rechnet ein deutsches Forschungsteam in einer Studie vor.

Vom biophysikalischen Potenzial der Erde her sei das durchaus möglich, wird darin argumentiert. Nötig wäre dafür allerdings eine radikale räumliche Neuordnung in der Landnutzung auf den Kontinenten.

Das Team besteht aus Forschenden des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) und des Heidelberg Institute for Geoinformation Technology (Heigit), das zur Universität Heidelberg gehört. Erschienen ist die Studie im renommierten Fachblatt Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).

"Lebensmittel werden nicht dort produziert, wo es effizient ist"

Weniger Fleisch und Milchprodukte auf dem globalen Speiseplan, Vermeidung von Ernteverlusten und Lebensmittelverschwendung, Neue-Gentechnik-Verfahren für ertragreichere und trockenheitsresistentere Pflanzen – das sind einige der bisher verfolgten Konzepte, um die globale Ernährung auch künftig zu sichern und auch die Belastung mit den im Agrarsektor entstehenden Treibhausgasen CO2, Methan und Lachgas zu senken.

Das Forschungsteam aus Karlsruhe und Heidelberg verfolgt in seiner Arbeit einen anderen Ansatz. Es hat das Potenzial der Ökosysteme zur Nahrungsmittelproduktion weltweit untersucht und kommt zu dem genannten positiven Ergebnis. Es müsse bei Ausschöpfung dieses Potenzials also weder heute noch in Zukunft Knappheiten bei der Ernährung der Weltbevölkerung geben.

Die Studie zeigt auf, dass die historisch gewachsenen Systeme der Nahrungsmittelproduktion sich nicht an dem vorhandenen biophysikalischen Potenzial der Ökosysteme orientieren. "Lebensmittel werden nicht dort produziert, wo es flächen-, wasser- und CO2-technisch am effizientesten wäre", so das Team.

Stattdessen würden, etwa in tropischen Regionen, weiterhin Wälder für Acker- und Weideland gerodet und in sehr trockenen Gebieten Felder bewässert, um dort überhaupt etwas anbauen zu können – zwei Faktoren, die sich sehr negativ auf die CO2-Speicherung und die Wasserverfügbarkeit auswirken.

In ihrer Untersuchung analysierten die Forscher:innen, welche Folgen es hätte, wenn Felder, Weiden und natürliche Vegetation dorthin verlagert würden, wo es am effizientesten wäre, und zum Beispiel Ackerflächen auf Gebiete beschränkt würden, in denen keine intensive Bewässerung nötig ist.

Ergebnis: Die Produktion von Lebensmitteln ließe sich so um im Schnitt 83 Prozent erhöhen, gleichzeitig würde die zur Verfügung stehende Wassermenge um acht Prozent und die CO2-Speicherung um drei Prozent zunehmen. Und: Die jeweiligen Steigerungen könnten noch deutlich höher ausfallen, wenn einer der drei Zielgrößen Vorrang vor den anderen beiden eingeräumt würde.

"Bei nötigen Veränderungen das biophysikalische Potenzial berücksichtigen"

Man könnte also zum Beispiel die klimaentlastende CO2-Speicherung betonen und so die Klimaveränderungen bremsen. Die Modellierung wurde laut dem Team für Klimabedingungen aus einem optimistischen und einem derzeit realistischeren Klimawandel-Szenario für die nahe und ferne Zukunft (2033 bis 2042 sowie 2090 bis 2099) durchgeführt.

Die Hauptautorin der Studie, KIT-Forscherin Anita Bayer, erläuterte: "Es zeigt sich, dass es durchaus Regionen gibt, in denen bestimmte Landnutzungen eindeutig vorteilhaft wären." Tropische und boreale Wälder sollten danach aufgrund ihrer herausragenden Funktion als CO2-Speicher erhalten respektive wiederaufgeforstet und nicht für Äcker oder Weiden genutzt werden.

Die gemäßigten Breiten würden hauptsächlich als Ackerland und in einem geringen Umfang als Weideland genutzt, wodurch der Verlust an Agrarproduktion durch die Wiederaufforstung tropischer und borealer Wälder kompensiert werde. Die weiten, offenen Flächen der tropischen und subtropischen Savannen und Graslandgebiete wiederum werden in dem Konzept vor allem als Weideland und für Futtermittelproduktion genutzt.

Doch könnte eine solche Umstrukturierung überhaupt funktionieren? Immerhin hängen Wertschöpfung, Profite und Jobs in den jeweiligen Ländern an der Agrarproduktion, so wie sie heute organisiert ist.

Der Heidelberger Professor und Mitautor Sven Lautenbach räumt ein, dass solche großflächigen Landnutzungsänderungen auf den ersten Blick völlig unrealistisch erscheinen. Der Klimawandel bringe jedoch ohnehin große Veränderungen der Anbaugebiete mit sich. "Diese Veränderungen sollte man nicht einfach geschehen lassen, sondern vermehrt versuchen, sie unter Berücksichtigung des biophysikalischen Potenzials zu gestalten."

Dabei müssten natürlich auch die sozialen Gesichtspunkte bedacht werden, ergänzte Lautenbachs Kollegin, die KIT-Professorin Almut Arneth.

Finanzinvestoren kontra ländliche Gemeinden

Einen Hinweis darauf, wie schwierig eine solche Umstrukturierung werden könnte, gab die Menschenrechtsorganisation Fian in einer Mitteilung zum heutigen Welternährungstag. Sie moniert: Die strukturellen Ursachen von Hunger und Mangelernährung verschärften sich, statt von der Politik abgebaut zu werden.

Die Stichworte lauten: Landkonzentration, Industrialisierung der Agrar- und Ernährungssysteme, wachsender Einfluss von Finanzinvestoren. Dies gehe einher "mit der systematischen Ausgrenzung und Diskriminierung von kleinen und handwerklichen Nahrungsmittel-Produzent:innen im globalen Süden", sagte Philipp Mimkes von Fian Deutschland.

Die Organisation mit Sitz in Köln stellt fest, etwa seit dem Jahr 2000 werde den ländlichen Gemeinden vor allem in Entwicklungsländern durch Landgrabbing "regelrecht der Boden unter den Füßen weggezogen". Nach aktuellen Schätzungen seien seither zwischen 100 und 214 Millionen Hektar Land an Investoren transferiert worden.

Die damit einhergehende Expansion einer agrarindustriellen Landwirtschaft produziere nur wenig Nahrungsmittel, sondern vor allem Mais, Palmöl, Soja und Zuckerrohr. Die Anbaufläche dafür sei um 150 Millionen Hektar gewachsen, eine Fläche etwa anderthalbmal so groß wie die Ackerfläche in der EU. "Die Anbaufläche für Grundnahrungsmittel wie Kartoffeln, Hirse, Roggen und Sorghum ging im gleichen Zeitraum um 24 Millionen Hektar zurück", so Fian.

 

Doch die Organisation sieht auch einen Lichtblick beim Thema Hungerbekämpfung. So solle beim Treffen des Welternährungsrats Ende Oktober in Rom ein Mechanismus etabliert werden, um auf Krisen und Schocks wie Preisexplosionen bei Nahrungsmitteln oder die Folgen von Pandemien reagieren zu können.

"Das ist ein echter Durchbruch", findet Mimkes. Die in dem UN-Gremium organisierten zivilgesellschaftlichen Organisationen hätten sich vehement für einen solchen Mechanismus eingesetzt. Die reichen Länder hätten ihre Blockade dagegen endlich aufgegeben.