Der Klimagipfel-Beschluss bedeutet auch Investitionssicherheit für neue Gaskraftwerke. Für das 1,5‑Grad-Ziel ist das Gift. (Bild: American Public Power Association/​Unsplash)

In nahezu allen Medien, auch hier auf Klimareporter°, wurde diese Geschichte vom Ende des Weltklimagipfels COP 28 erzählt: Während Konferenzpräsident Sultan Al Jaber im Plenum über die Abschlusserklärung abstimmen ließ, standen die Delegierten der kleinen Inselstaaten noch vor dem Saal. Sie wurden nicht gefragt, ob sie dem maßgebenden Beschluss zustimmen. Die Umweltministerin von Samoa, Anne Rasmussen, machte das später im Plenum in ihrem Statement auch öffentlich.

Aufmerksame Beobachter meinen allerdings: Das Fernbleiben der kleinen Inselstaaten bei der Abstimmung sei nicht der rabiaten Gipfelregie geschuldet gewesen. Vielmehr seien die Insel-Länder absichtlich zu spät zur Abstimmung über den sogenannten "VAE-Konsens" gekommen.

Plausibel wäre das. Um keinen Preis wollten die Insel-Abgesandten ihre Hand für einen "Konsens" heben, der ihre Heimat über kurz oder lang im steigenden Meer untergehen lässt. Das hätte zu Hause niemand verstanden. Also blieb man draußen vor der Tür und ließ den COP-Präsidenten seine Abstimm-Show durchziehen.

Die Episode zeigt: In Dubai haben sich die Gewichte in der Klimapolitik verschoben. Das Gipfelergebnis, sich bis zum Jahr 2050 von Öl, Gas und Kohle zu verabschieden, gilt als ein Kompromiss zwischen 130 klimapolitisch ehrgeizigeren Staaten und den Ölproduzenten, die einen verbindlichen Ausstiegsbeschluss verhindert haben.

Wie aber kann es sein, dass sich eine Zwei-Drittel-Mehrheit nicht mehr gegen das restliche Drittel durchsetzen kann? Die größten Verschmutzer haben am Ende also einen Sieg davongetragen. Wie ist das möglich?

Machtgewinn für große Emittenten

Eine Antwort könnte sein: Entgegen früheren Erwartungen zeigt der Klimawandel schon bei 1,2 Grad globaler Erwärmung eine Dynamik, die jedes weitere Zehntelgrad noch zerstörerischer erscheinen lässt. Selbst das 1,5-Grad-Limit – vor acht Jahren in Paris beschlossen – erscheint mittlerweile als eine Größe, bei der die Beherrschbarkeit der Veränderungen möglicherweise bereits infrage gestellt ist.

Das allerdings setzt die großen Emittenten dieser Welt nicht, wie eigentlich zu erwarten wäre, unter Handlungsdruck. Im Gegenteil, die zunehmende Klimakrise verhilft ihnen offenbar zu einer mächtigeren Stellung als je zuvor.

Eine Rechnung soll dies verdeutlichen: Für das 1,5-Grad-Ziel müssen die CO2-Emissionen bis 2030 nahezu halbiert werden, sagt die Klimawissenschaft. Damit sind in sieben Jahren von den aktuell jährlich ausgestoßenen 40 Milliarden Tonnen CO2 nur noch um die 20 Milliarden Tonnen "verfügbar".

Diese 20 Milliarden Tonnen sind deutlich weniger als die zusammengerechneten aktuellen fossilen Emissionen der zehn größten Emittenten: China, USA, Indien, Russland, Japan, Indonesien, Iran, Deutschland, Saudi-Arabien und Südkorea – in dieser Reihenfolge. Die großen Öl- und Gasförderer am Arabischen Golf – Oman, Katar, Vereinigte Arabische Emirate, Kuwait und Irak – emittieren übrigens zusammen etwa so viel CO2 wie Saudi-Arabien. Dabei zählt aber nur der fossile Inlandsverbrauch, nicht der Export fossiler Brennstoffe.

Das bedeutet: Ohne die Mitwirkung der großen Emittenten ist das Weltklima nicht zu retten. Das bedeutet aber auch: Diese Länder haben es in der Hand, die Klimakrise nach Gutdünken zu entschärfen, aber auch weiter zu eskalieren.

Und dazu müssen nicht einmal alle zusammenwirken. Zwei, drei große Emittenten, die nicht mitmachen wollen beim Pariser Klimaziel (oder einem anderen Ziel), reichen aus, um vor allem die verletzlichsten Regionen und Länder ins Klimachaos zu stürzen.

Klimapolitische Geiseln

Diese besonders vulnerablen Länder haben – anders als viele der großen Emittenten mit ihren fossilen Billionen-Einnahmen – auch kaum Möglichkeiten, sich an die Folgen des Klimawandels anzupassen oder anderweitig gegenzusteuern. Die ärmeren Staaten sind, betrachtet man es genau, die klimapolitischen Geiseln der Super-Emittenten.

So gibt die von ihnen selbst verursachte Beschleunigung der Klimakrise den großen Emittenten ein veritables Erpressungspotenzial in die Hand – nach dem Motto: "Wenn die Welt zu viel von uns fordert, steigen wir einfach aus den Klimaverhandlungen aus, dann seht mal, wo ihr bleibt." Das klimapolitische Laissez-faire, das auch in Deutschland lange gepflegt wurde, verschiebt nun die geopolitischen Machtverhältnisse.

Und warum in aller Finanzwelt sollten die großen Emittenten so rapide auf die fossilen Ressourcen verzichten sollen? Diese geben ihnen noch immer die Mittel in die Hand, um auch einen starken Klimawandel irgendwie und irgendwo überstehen zu können – mit mehr Klimaanlagen, höheren Deichen oder einer Verlagerung der Städte ins Landesinnere.

Angebliche Vorzeigeprojekte wie Masdar City in den Emiraten und vor allem die künstliche Megastadt The Line in Saudi-Arabien sprechen da eine eindeutige Sprache. The Line soll 500 Meter über dem Meeresspiegel liegen. Das sagt alles. So sehen die Fluchtburgen der reichen fossilen Länder vor dem Klimawandel aus.

 

Wie die Weltgemeinschaft auf diese neue Lage reagiert, ist noch offen. In Dubai setzte sich eher die Haltung durch: Seid nett zu den großen Emittenten! Denn die haben uns in der Hand.

Nicht verwunderlich, dass die verletzlichsten Länder lieber draußen vor der Saaltür blieben, als sich an einer klimapolitischen Farce zu beteiligen. Ihre Würde haben sie so bewahrt, im Gegensatz zu den vielen anderen, die im Saal frenetisch klatschten.