Zwei afrikanische Frauen an der Spitze einer Demonstration mit Transparenten und einem Megafon.
"We cannot adapt to loss and damage" – an Klimaschäden können wir uns nicht anpassen, warnt Debt for Climate, hier bei einer Kundgebung in München. (Bild: Debt For Climate)

Klimareporter°: Das internationale Finanzsystem ist kaputt, ungerecht und hindert viele Länder daran, die Klimakrise zu bekämpfen, sagt Mia Mottley, die Premierministerin von Barbados. Frau Mugalizi, sehen Sie das auch so?

Dianah Mugalizi: Ich stimme dieser Aussage voll und ganz zu. So funktioniert das Schuldensystem nun einmal. Mächtige und reiche Länder, private Gläubiger aus diesen Ländern und multilaterale Institutionen, wie der Internationale Währungsfonds IWF und die Weltbank, leihen den Ländern des globalen Südens Geld zu hohen Zinssätzen.

Sie bestimmen die Bedingungen für die Kredite und beeinflussen damit buchstäblich alle unsere wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen. Die Gläubiger verknüpfen mit der Vergabe von Krediten zum Beispiel die Privatisierung von Staatsbetrieben oder die Aufweichung von Arbeits- und Naturschutzgesetzen.

Das erlaubt es den Gläubigern, hoch verschuldeten Ländern vorzuschreiben, wie sie zu regieren haben. Dieses System festigt die koloniale Machtdynamik, und der globale Norden sichert sich so den Zugang zu billigen Arbeitskräften und Ressourcen.

Um das Schuldensystem besser zu verstehen: Auch die USA, Deutschland und viele Länder des globalen Nordens sind hoch verschuldet. Warum also sind die Länder des globalen Südens viel stärker von ihren Schulden betroffen?

Da Kredite an Länder des globalen Südens als riskante Investition gelten, müssen ärmere Länder höhere Zinsen zahlen. Reiche Länder können weiterhin zu niedrigen Kosten Geld leihen, ohne befürchten zu müssen, dass die Gläubiger ihre Politik diktieren.

Außerdem verfügen die reichen Länder im Gegensatz etwa zu den afrikanischen Ländern über die Ressourcen und die Macht, eine sozial gerechte Energiewende aus eigener Kraft zu schaffen.

Laut einem neuen Bericht der Hilfsorganisation Misereor sind 136 der 152 Länder des globalen Südens hoch verschuldet. Diese Länder müssen jedes Jahr mindestens 2,6 Billionen US‑Dollar für den Schuldendienst aufbringen. Welche Folgen hat das?

Die Graswurzelaktivistin Dianah Mugalizi hat in Kenia das Jugendnetzwerk Pro Green Shapers gegründet und ist dort Koordinatorin von Debt for Climate. (Bild: privat)

Viele Länder geben mehr Geld für ihre Schulden aus als für den Gesundheitssektor oder das Bildungswesen. Diese Länder haben keine Möglichkeit, sich zu entwickeln oder eine nachhaltige Transformation zu stemmen. Sie sind in einer Schuldenspirale gefangen. Einige der Länder nehmen sogar neue Kredite auf, um die alten zu bezahlen.

Sie sind gezwungen, Öl oder Gas zu fördern, um ihre Schulden zu begleichen, was wiederum den Klimawandel anheizt. Sie haben kein Geld, um sich an die Auswirkungen des Klimawandels anzupassen, für die sie am wenigsten verantwortlich sind, die sie aber am stärksten treffen.

Sogenannte Strukturanpassungen der Weltbank und des IWF – als Bedingung für die Vergabe von Krediten – haben die Situation für arme Bevölkerungsgruppen nachweislich verschlimmert und zu höheren Inflationsraten und steigenden Lebensmittelpreisen geführt. Diese Anpassungen sind für ausländische Investoren attraktiv, aber sie schaden der Bevölkerung.

Sambia zum Beispiel ist hoch verschuldet bei Blackrock. Das Land im südlichen Afrika muss die Hälfte seines gesamten Einkommens für den Schuldendienst aufwenden. Sambia hat bereits massive Kürzungen im öffentlichen Sektor vorgenommen. Die Inflationsrate im Land steigt jedes Jahr und hat inzwischen fast 14 Prozent erreicht.

Dennoch will Blackrock einer Schuldenstreichung nicht zustimmen. Deshalb brauchen wir eine globale Bewegung, die für eine bedingungslose Schuldenstreichung kämpft.

Welche Rolle spielt China im globalen Schuldensystem?

Das ist die gleiche Logik. Wir in Kenia sind hoch verschuldet bei China. Dort profitiert man genauso von diesem System wie westliche Länder und Institutionen. Aber obwohl Chinas Rolle als Kreditgeber wächst, wird die überwiegende Mehrheit der Schulden von privaten westlichen Institutionen sowie dem IWF und der Weltbank gehalten.

Egal, wer die Gläubiger sind, das ist ökonomischer Kolonialismus.

Unabhängig davon, wer die Gläubiger sind, handelt es sich um eine Form des ökonomischen Kolonialismus. In vielen Fällen sind die Schulden auch unrechtmäßig, wurden durch Korruption erlangt oder an Diktatoren und lokale Eliten vergeben, die den größten Teil für sich behalten.

Der ursprünglich geliehene Betrag wurde mittlerweile von den meisten Ländern durch Zinsen und Zinseszinsen mehrfach zurückgezahlt – ganz zu schweigen von dem Geld, das all die privaten Investoren durch die Privatisierung staatlicher Unternehmen, die Aufweichung von Gesetzen und die Ausbeutung der Ressourcen des Südens verdienen.

In Deutschland existiert das Bild, dass der globale Norden Geld verleiht, damit sich der Süden entwickeln kann. Das ist ein Märchen, das der Westen gerne über sich erzählt?

Mit dem Geld wird vielfach der Ausbau der Infrastruktur finanziert, die dem globalen Norden nützt. Unter dem Versprechen der Entwicklung wird der Abbau von Ressourcen vorangetrieben, wovon in Wirklichkeit Unternehmen im Norden profitieren.

 

In Tschad hat die Weltbank mit fossilen Unternehmen wie Exxon Mobil und mit der Regierung beim Bau einer Pipeline zusammengearbeitet. Dank des Kredits ist die Pipeline jetzt in Betrieb. Schön für Exxon, aber die Menschen vor Ort haben nichts davon außer höhere Schulden.

Der globale Norden hat die Menschen und die Natur im Süden über Jahrhunderte ausgebeutet. Gleichzeitig ist der Norden für 92 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich und verursacht damit die Klimakrise. Wir fordern nicht nur eine Schuldenstreichung, sondern dass der globale Norden beginnt, seine Klimaschulden zu bezahlen.

Die Schulden, die in Afrika von Generation zu Generation vererbt werden, sind eine direkte Folge der gewaltsamen Kolonialgeschichte.

Sie haben korrupte Eliten angesprochen, die den Großteil des Geldes einbehalten. Besteht dieses Problem nicht auch nach einer Schuldenstreichung fort – etwa indem diese Eliten zum eigenen Vorteil Geschäfte mit der fossilen Industrie machen?

Wir von Debt for Climate sind eine Graswurzelbewegung. Wir vereinen Arbeiter:innen, Indigene, Feminist:innen, Glaubens-, Umwelt-, Sozial- und Klimagerechtigkeitsbewegungen im globalen Norden und Süden, um die finanziellen Schulden des globalen Südens zu streichen, damit eine selbstbestimmte, gerechte Entwicklung möglich wird.

Korrupte Regierungen sind ein Problem, deshalb richten wir uns auch gegen sie. Reparationszahlungen und Unterstützung für den Aufbau nachhaltiger Infrastruktur müssen auf lokaler Ebene und mit den lokalen Gemeinschaften erfolgen.

Echter Klimaschutz muss an der Basis beginnen, in den Gemeinden, die direkt vom Klimawandel betroffen sind.

Schulden sind heute der Hauptgrund, warum Länder im globalen Süden fossile Rohstoffe fördern.

Es gibt verschiedene Initiativen, wie den Grünen Klimafonds GCF, den Fonds für Klimaschäden und Verluste sowie spezifische Programme des IWF und der Weltbank. Geht manches davon in die richtige Richtung?

Die meisten von ihnen erreichen nie die lokalen Gemeinschaften und sind viel zu klein angelegt, um tatsächlich etwas zu verändern. Und die Vorschläge des IWF und der Weltbank führen nicht zu einer nennenswerten Schuldenstreichung, sondern sind eine "grüngewaschene" Fortführung des Status quo.

In Afrika gibt es eine Fülle an nachhaltigen Ressourcen: Sonne, Wind und so weiter. Wir haben die Ressourcen, aber wir haben nicht die Infrastruktur, weil wir das ganze Geld für unrechtmäßige Schulden ausgeben müssen.

Schulden sind heute der Hauptgrund, warum Länder im globalen Süden fossile Rohstoffe fördern. Wir fordern daher einen bedingungslosen Schuldenerlass. Das ist der einzige Weg für eine selbstbestimmte und gerechte Transformation.

Letztes Jahr hat Debt for Climate vor mehreren deutschen Botschaften auf der Welt Kundgebungen organisiert, um den Schuldenerlass zu fordern. Warum gerade deutsche Botschaften?

Deutschland ist ein wichtiges Beispiel dafür, dass ein Schuldenerlass möglich ist. Nachdem Deutschland den Zweiten Weltkrieg verloren hatte, einigten sich die Alliierten auf einen Schuldenerlass von mindestens 18 Milliarden Mark, was 60 Prozent der Gesamtschulden entsprach.

Außerdem wurde Deutschland gestattet, die Schulden in seiner eigenen Währung zu bezahlen, und der Tilgungssatz für die Rückzahlung wurde von der Stärke der deutschen Wirtschaft abhängig gemacht. Darüber hinaus verpflichteten sich die Alliierten, keine Waren nach Deutschland zu exportieren, die das Land selbst herstellen konnte.

Alles in allem spielten diese Bedingungen eine große Rolle für den wirtschaftlichen Aufschwung Deutschlands. Wenn dies also für das Land, das für den Holocaust verantwortlich war, möglich war, warum sollte es für den globalen Süden, der bis heute unter Neokolonialismus leidet, unmöglich sein?

Deutschland hat das viertgrößte Stimmrecht im IWF und in der Weltbank und ist daher bei diesen Entscheidungen auch besonders einflussreich.

Sie sprechen von dem Londoner Schuldenabkommen von 1953, das die Schulden von Westdeutschland regelte. Warum glauben Sie, dass der globale Norden dem Holocaust-Land bereitwillig seine Schulden erlassen hat, sich aber kein Stück auf den globalen Süden zubewegt?

Ein Schuldenerlass für den globalen Süden ist nicht im Interesse der mächtigsten Länder.

Ein starkes und loyales Westdeutschland lag während des Kalten Krieges eindeutig im geopolitischen Interesse der westlichen Länder. Der Schuldenerlass für den globalen Süden ist dagegen alles andere als im Interesse der mächtigsten Länder.

Er käme zwar der Mehrheit der Menschen auf der Welt zugute, würde aber auch einen Machtverlust der westlichen Länder bedeuten. Und die privaten Investoren wollen ihr Geld behalten. Es stehen Billionen von Dollar auf dem Spiel.

Dazu kommt, dass nur zwei Prozent der afrikanischen Bevölkerung über das Problem informiert sind. Das ist eines der Dinge, die wir als Bewegung ändern wollen. Wir wollen die Schuldenstreichung in den öffentlichen und politischen Diskurs bringen.

Haben deutsche Politiker:innen oder Botschafter:innen auf Ihre Forderungen und Kundgebungen reagiert?

Nein, wir haben keine Reaktionen erhalten. Aber wir stehen ja auch erst am Anfang.

Was sollen die nächsten Schritte sein?

Wir wollen bis 2025 eine breite und globale Bewegung aufbauen. 2025 findet auch die 30. Weltklimakonferenz in Brasilien statt. Wir planen, auf dieser Konferenz präsent zu sein. Der brasilianische Präsident Lula da Silva und der kolumbianische Präsident Gustavo Petro unterstützen unsere Forderung nach einer Schuldenstreichung.

Außerdem planen wir Streiks, Demonstrationen, direkte Aktionen und kritische und antikoloniale Bildung an verschiedenen Orten auf der Welt.

Deutschland hat auf dem Klimagipfel letztes Jahr in Dubai 100 Millionen Dollar für den Fonds für Klimaschäden zugesagt. Trotz des relativ kleinen Betrags bekam die Regierung jede Menge Gegenwind vor allem aus konservativen und rechten Parteien in Deutschland ab.

Die USA scheitern immer wieder an ihren eigenen Zusagen zur Klimafinanzierung, weil sich die Republikaner im Kongress querstellen, und nun führt Donald Trump in den Umfragen zur Wahl. Was sagen Sie zu dem Argument, dass das Eintreten für einen Schuldenerlass oder für Reparationszahlungen in der gegenwärtigen politischen Lage in vielen westlichen Ländern nur zu mehr Stimmen für rechte Parteien führen wird?

Das Gleiche kann man über jedes emanzipatorische Projekt sagen. Es besteht immer das Risiko, dass der Einsatz für das Richtige auch den Gegendruck verstärkt.

Schulden haben es der reichen Welt ermöglicht, sich zu entwickeln und dabei die Ressourcen des globalen Südens zu nutzen, ohne einen fairen Preis zu zahlen.

Ich glaube an die Kraft von Graswurzelinitiativen. Wir müssen eine starke Bewegung aufbauen, und je mehr Menschen uns unterstützen, desto wahrscheinlicher ist es, dass tatsächliche Klimaschutzmaßnahmen und Klimagerechtigkeit erreicht werden. Wir in Afrika werden uns erheben und gemeinsam mit unseren Verbündeten für Gerechtigkeit kämpfen und kein "Nein" als Antwort akzeptieren.

Es ist noch nicht einmal der Punkt erreicht, an dem ein Schuldenerlass öffentlich diskutiert wird. Es ist die Aufgabe unserer Verbündeten im globalen Norden, dieses Thema in den Diskurs zu bringen, ohne Angst vor möglichen Gegenreaktionen zu haben.

Von einem Schuldenerlass wären in erster Linie die Investoren und Banken betroffen, nicht die Mehrheit der Menschen. Und der globale Norden muss erkennen, dass ein Schuldenerlass ein wichtiger Baustein für den Klimaschutz ist und damit im Interesse aller Menschen liegt, die überleben wollen.

 

Sie planen auch einen Gegengipfel zum Jahrestreffen von IWF und Weltbank im Herbst in Marrakesch. Er soll am 15. Oktober enden, dem Tag, an dem 1987 der Präsident von Burkina Faso, Thomas Sankara, ermordet wurde. Warum ist Sankara so wichtig für Ihre Bewegung?

Thomas Sankara rief bereits in den 1980er Jahren zu einer afrikanischen Einheitsfront gegen die Schulden auf und weigerte sich, Schulden zurückzuzahlen. Er wurde durch einen Militärputsch ermordet, und viele vermuten, dass Frankreich an der Ermordung beteiligt war.

Er ist einer der vielen, die sich gegen diese Ungerechtigkeit aussprachen und nicht überlebten. Unsere Bewegung ist von diesen Menschen inspiriert. Um Thomas Sankara zu zitieren: "Schulden sind ein Instrument, das es der reichen Welt ermöglicht hat, sich zu entwickeln und dabei die Ressourcen des globalen Südens zu nutzen, ohne einen fairen Preis zu zahlen."