IWF-Chefin Kristalina Georgiewa hat die reichen Länder aufgefordert, die Folgen des Klimawandels beim Eintreiben von Staatsschulden zu berücksichtigen. Zwar sei das Einkommensniveau eines Landes die wichtigste Messlatte.
Aber: "Es gibt noch andere Quellen der Verletzlichkeit, zum Beispiel ein hohes Risiko für Klimaschocks", sagte sie auf der laufenden Frühjahrstagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank.
"Deshalb sollte die Staatengemeinschaft diese anderen Faktoren einbeziehen, wenn es darum geht, Entwicklungsländer zu unterstützen", so Georgiewa. Der Hintergrund der Äußerung: Am Mittwoch hatten sich die Finanzminister:innen der 20 größten Volkswirtschaften (G20) geeinigt, den 73 ärmsten Ländern angesichts der Corona-Krise einen weiteren Aufschub bei Zins- und Tilgungszahlungen ihrer Schulden zu gewähren.
Das gilt allerdings nicht für Länder, die zwar ein etwas höheres Einkommensniveau, aber trotzdem einen riesigen Schuldenberg haben – zum Beispiel durch eine hohe Belastung mit Klimawandelfolgen. Dazu zählen etwa die karibischen Inselstaaten.
"Es ist erfreulich, dass die IWF-Chefin den Klimawandel als Schuldentreiber anerkennt", sagt Sabine Minninger von Brot für die Welt. Das evangelische Hilfswerk hat gemeinsam mit dem Bündnis Erlassjahr eine Analyse zum verheerenden Zusammenspiel von Corona-Pandemie und Klimawandel bei der Verschuldung veröffentlicht.
Die entwicklungspolitischen Organisationen warnen: Durch die Corona-Pandemie werde es in den verletztlichsten Staaten – zu denen eben nicht nur die allerärmsten zählen – zu zusätzlichen Schäden und Verlusten kommen, weil das Geld zur Anpassung an den Klimawandel fehlt. Das Ergebnis ist eine Schuldenspirale.
"Unsere Studie belegt, dass die dreifache Belastung von Klimawandel, Pandemie und Verschärfung der Schuldensituation den Druck auf die verwundbarsten Bevölkerungsgruppen massiv erhöht", meint Minninger. Mit dem bisher Beschlossenen lasse sich das nicht aufhalten. "Es bedarf eines umfangreichen Schuldenerlasses, um diesen Staaten wieder Luft zu verschaffen, um die diversen Krisen angemessen zu bewältigen", so die Klimaexpertin.
Doch auf der Frühjahrstagung von IWF und Weltbank wird de facto das Gegenteil geplant. Die dort diskutierte Lösung: Der IWF soll seine Gelddruckmaschine anwerfen. Die von ihm ausgegebene Währung sind die sogenannten Sonderziehungsrechte, kurz SDR. Von denen soll es bald 458 Milliarden mehr geben, das entspricht beim aktuellen Kurs 650 Milliarden US-Dollar.
Die SDRs zählen anschließend zu den Währungsreserven der Länder. Außerdem können sie für US-Dollar oder Euro an andere Länder verkauft werden – wer das tut, muss allerdings Zinsen zahlen. Das wirkt also praktisch wie ein Kredit, wenn auch ein sehr günstiger.
US-Finanzministerin sieht "Bretton-Woods-Moment"
Dazu kommt: Von der Aufstockung der SDRs würden am allermeisten die großen und reichen Länder profitieren, denn die Ausgabe ist nach Wirtschaftskraft quotiert.
Eine enorme Finanzspritze wäre es aber auch für die anderen Staaten: Die ärmsten Länder bekämen SDRs im Wert von 21 Milliarden US-Dollar und andere Entwicklungsländer (ohne China) solche im Wert von 212 Milliarden Dollar. Das sei "viel mehr" als alle bisherigen Hilfen in der Krise, schreibt der US-Thinktank Atlantic Council.
Durch die Schaffung von 458 Milliarden neuer SDRs würde sich der SDR-Bestand mehr als verdreifachen. Aktuell gibt es 204 Milliarden SDRs, von denen die meisten in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 geschaffen wurden. Das veranschaulicht die Dimension der Coronakrise und ihrer Folgen für das globale Finanzsystem.
US-Finanzministerin Janet Yellen, die nicht für eine überschwängliche Wortwahl bekannt ist, sieht die Welt gar vor einem neuen Bretton-Woods-Moment. Bei einer Konferenz im Jahr 1944 wurde in Bretton Woods in den USA das internationale Finanzsystem der Nachkriegszeit begründet, das zunächst auf dem Goldstandard beruhte. Außerdem wurden der IWF und die Weltbank geschaffen.
"Der Punkt, an dem wir jetzt stehen, ist nicht weniger bedeutsam", sagte Yellen. "Was wir in den kommenden Monaten und Jahren tun, wird tiefgreifende Auswirkungen auf die Entwicklung unseres Landes und auf die globale Wirtschaftsordnung haben."
Die US-Ministerin hat auch genaue Vorstellungen davon, wie das geschehen soll. Sie will zum Beispiel einen globalen Mindeststeuersatz für Unternehmen durchsetzen – ein aufsehenerregender Vorstoß, über den auf der Frühjahrstagung ebenfalls diskutiert wird. "Eine weitere Folge der vernetzten Welt war ein 30-jähriger Wettlauf nach unten bei den Unternehmenssteuersätzen", argumentierte Yellen.
Vor allem die großen Internetkonzerne haben sich so geschickt in Steueroasen eingerichtet, dass sie kaum Steuern zahlen. Zuletzt wurde bekannt, dass der Versandhändler Amazon und 90 weitere Großkonzerne in den USA keinerlei Gewinnsteuern abführen.
Angesichts der Krise müsse nun aber sichergestellt werden, "dass Regierungen über stabile Steuersysteme verfügen, die genügend Einnahmen generieren, um in öffentliche Güter zu investieren und auf Krisen zu reagieren", warb Yellen für ihren Vorschlag.