Beim UN-Nachhaltigkeitsforum muss die Selbstdarstellung aufhören, sagen Felix Kaminski und Rebecca Freitag, die als Jugenddelegierte aus Deutschland am Forum teilnehmen. (Foto: Kristoffer Schwetje)

Vier Jahre sind vergangen, seit die UN-Staaten die Ziele für nachhaltige Entwicklung beschlossen haben, die Sustainable Development Goals (SDGs). 17 Ziele, die den Masterplan für eine bessere Welt im Jahr 2030 darstellen. 169 Unterziele und mehr als 200 Indikatoren, die uns zeigen, welchen Weg wir gehen müssen.

Ob wir auf diesem Weg auch wirklich vorankommen, wollen die Vereinten Nationen jedes Jahr beim sogenannten "High-Level Political Forum on Sustainable Development", kurz HLPF, überprüfen. Hier kommt die Staatengemeinschaft zusammen, die sich in der Generalversammlung im Jahr 2015 verpflichtet hat, die Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen.

Leider ist der Umsetzungsstand mehr als frustrierend. Aus dem Global Sustainable Development Report 2019 geht nicht nur hervor, dass wir bei den ökologischen Zielen kläglich versagen, sondern auch, dass die Zahl der hungernden Menschen in der Welt wieder steigt – entgegen jeglichen Versprechungen der Staats- und Regierungschefs.

Werbevideos statt ehrlicher Auseinandersetzung

Das zweiwöchige HLPF beinhaltet zwei wesentliche Überprüfungsmechanismen: In der ersten Woche, der sogenannten Arbeitswoche, wird jedes Jahr eine Auswahl an sogenannten Fokus-SDGs überprüft. Für die Besprechung eines jeden Fokus-SDG, sechs an der Zahl, blieben damit rund drei Stunden, in denen die Staaten ihre zwei- bis dreiminütigen vorgefertigten Statements vorlesen durften. 

In der zweiten Woche, der sogenannten High-Level Week, an der Minister oder Staatssekretäre teilnehmen, stellen einige Staaten freiwillige Berichte vor, die "Voluntary National Reviews" (VNRs). Darin beschreiben sie den Erfüllungsstand der SDGs in ihrem Land.

Das Problem bei den VNRs ist neben der Freiwilligkeit, dass die Berichte häufig sehr selektiv sind und sich nur auf positive Aspekte beziehen. So könnte die Präsentation des ein oder anderen VNR auch mit einem touristischen Werbevideo verwechselt werden.

Für ausgewogene Vertretung sorgen

Rebecca Freitag
Foto: privat

Zur Person

Rebecca Freitag ist deutsche UN-Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung. Sie studiert nachhaltiges Ressourcenmanagement an der Berliner Humboldt-­Universität und engagiert sich beim Jugend­umwelt­verband BUND-Jugend. In Berlin gründete sie den Mobilitäts-Arbeitskreis "Fahrrad-Bande" mit, der den Fahrrad-Volksentscheid unterstützte.

Wenn hier schon über unsere Zukunft gesprochen und entschieden wird, dann sollten wir jungen Menschen auch dabei sein. Denn wir müssen nicht nur am längsten mit den Konsequenzen der heutigen Entscheidungen leben, sondern wir tragen auch heute schon zu einer nachhaltigeren Welt bei. 

Als Teil der deutschen Regierungsdelegation machen wir Jugenddelegierten uns für die Interessen der jungen Menschen aus Deutschland bei den Vereinten Nationen stark. Das bedeutet insbesondere, dass wir die Delegierten zu mehr Ehrgeiz und Handeln auffordern.

Neben Deutschland nimmt eine Reihe weiterer europäischer Staaten ebenfalls offizielle Jugenddelegierte mit. Gemeinsam nutzen wir jede Gelegenheit, um die Delegierten daran zu erinnern, für wen sie eigentlich hier Entscheidungen treffen und wie unsere Ideen und Vorstellungen von einer nachhaltigen Welt aussehen. Das tun wir in offiziellen Reden, in Gesprächen mit hochrangigen Entscheidungsträgern oder in Nebenveranstaltungen, sogenannten Side Events.

Dabei fehlen wichtige Akteure am Tisch: junge Menschen aus dem globalen Süden, die den Großteil der jungen Weltbevölkerung ausmachen und schon heute mit den katastrophalen Konsequenzen unserer Lebens- und Wirtschaftsweise leben müssen. Das liegt auch daran, dass New York ein teures Pflaster ist und es bei einigen Staaten schlicht an den finanziellen Mitteln fehlt, Jugenddelegierte mitzubringen.

Felix Kaminski im Portrait
Foto: privat

Zur Person

Felix Kaminski studiert nachhaltige elektrische Energie­versorgung an der Universität Stuttgart. Er engagierte sich in der Jugendarbeit und ist bei den Jusos aktiv. Auch Kaminski ist deutscher UN-Jugend­delegierter für nachhaltige Entwicklung.

Dieses Jahr haben wir lange dafür gekämpft, dass wir über die finanzielle Unterstützung des Bundesentwicklungsministeriums drei jungen Frauen, Mwinji aus Sambia, Jessica aus Mexiko und Sharifah aus Malaysia, die Teilnahme am HLPF ermöglichen konnten.

Das ist natürlich nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Deswegen arbeiten wir weiter darauf hin, dass wir mehr Jugenddelegierte werden, indem wir die Notwendigkeit von Jugenddelegiertenprogrammen in Gesprächen mit anderen Delegationen deutlich machen. 

Umfassende Reformen notwendig

Wenn das HLPF wirklich seinem Anspruch gerecht werden will, den Stand der Nachhaltigkeitsziele kritisch und unabhängig zu überprüfen, muss sich etwas ändern. Die Gelegenheit dafür bietet sich im September, wenn in New York der SDG-Gipfel stattfindet. Dann erwarten wir nicht nur anspruchsvolle Umsetzungspläne, sondern auch Reformvorschläge, die das Rosinenpicken und den Schönheitswettbewerb bei den freiwilligen Berichten verhindern.

Um die Debatte jetzt schon anzufachen und in die richtige Richtung zu lenken, haben wir Jugenddelegierten unsere Reformvorschläge in einem Side Event präsentiert. Wir schlagen unter anderem vor, dass ein unabhängiges Gremium die Berichte auf ihre Vollständigkeit überprüft, dass mehr Zeit für die Diskussionen bleibt und die Zivilgesellschaft stärker beteiligt wird. 

Wir geben uns aber nicht der Illusion hin, dass wir durch unsere Arbeit in formellen UN-Prozessen die Welt retten. Wir brauchen neuen Schwung und den Druck von der Straße, um klarzumachen, wie ernst die Lage ist, und die Politikerinnen und Politiker an ihre Verantwortung zu erinnern. Deshalb sind wir auch vor dem UN-Gebäude laut und aktiv geworden.

Jugenddelegierte für nachhaltige Entwicklung

Die Jugenddelegierten begleiten die deutsche Regierungs­delegation zu UN-Verhandlungen. Sie sind das ganze Jahr über in Deutschland mit anderen jungen Menschen im Dialog und nehmen ihre Forderungen und Visionen mit zu den Vereinten Nationen. Das Jugend­delegierten­programm wird vom Deutschen Bundesjugend­ring und vom Bundesumwelt­ministerium getragen.

Das Nachhaltigkeitsziel Nummer 13, die Bekämpfung der Klimakrise, wurde ausgerechnet an einem Freitag überprüft – das schrie in unseren Augen geradezu nach einer Fridays-for-Future-Aktion vor dem UN-Hauptquartier. Gemeinsam mit vielen weiteren jungen Aktiven aus der ganzen Welt haben wir am Tag zuvor Plakate gemalt und Sprechgesänge geübt, mit denen wir am Freitag die eintrudelnden Delegierten lautstark konfrontiert haben.

Um den größten Einfluss auszuüben, brauchen wir beides: die Arbeit innerhalb der UN-Prozesse – verstärkt durch direkten Protest. Um denen, die heute zu entscheiden haben, die Dringlichkeit zum sofortigen Handeln vor Augen zu führen, dürfen wir keine Gelegenheit auslassen. Es ist höchste Zeit, die Ärmel hochzukrempeln und den Wandel zur Nachhaltigkeit ernsthaft anzupacken.

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