Auf dem Parallelgipfel in Santiago de Chile ist viel die Rede von "Intersektionalität" im Kampf gegen die Ursachen der Klimakrise. Mit anderen Worten: wie Kapitalismus und Raubbau sowohl die Treibhausgase vermehren als auch die globale Ungerechtigkeit befeuern.
Denn Privatunternehmen erzeugen in Chile kaum Gewinne für die Gesellschaft. Im Gegenteil schüren sie häufig Konflikte um die Landrechte indigener Gruppen. Und sie stehen in einem patriarchalen Wirtschaftssystem auch der Inklusion und Gleichberechtigung von Frauen entgegen. Aufgrund dieser Analyse gibt es beim Sozialgipfel ein großes Frauenzelt.
Weil mich besonders interessiert, wie sich die Klimakrise in unterschiedlicher Weise auf die Geschlechter auswirkt, spreche ich heute mit Isis Alvarez. Die 39-Jährige arbeitet in Kolumbien für die Global Forest Coalition als "Gender Advisor and Campaigner".
Carola Rackete: Isis, wie macht sich der Klimawandel in Kolumbien bemerkbar?
Isis Alvarez: Ich bin in der Stadt aufgewachsen, aber inzwischen lebe ich auf dem Land, wo ich den Klimawandel sehr stark erlebe. Er zeigt sich zwar auch in der Hauptstadt Bogotá, wo die Regen- und Trockenzeiten durcheinandergeraten sind. Am stärksten aber wirkt er sich auf dem Land aus, denn die Leute müssen von der Landwirtschaft leben.
Zu viel Regen vernichtet die Ernten. Aber auch Dürren sind ein Problem: Die Böden trocknen aus und die Leute können nicht mehr zu den gewohnten Jahreszeiten aussäen und die gewohnte Fruchtfolge einhalten. Alles ist durcheinander. Die Jahreszeiten sind unzuverlässig. Es kann sein, dass es auf einmal sonnig wird, dann sät man aus, aber es bleibt so lange trocken, dass alles verdorrt.
Wirken sich die Klimaveränderungen unterschiedlich auf Männer und Frauen aus?
Frauen betreiben in der Regel die familiäre Landwirtschaft und kümmern sich um die Familie. Auf dem Land sind es fast immer die Frauen, die Wasser holen gehen. Die Entfernungen aber werden immer länger. Das erhöht die Gefahr, dass sie auf dem Weg vergewaltigt werden.
Viele Frauen auf dem Land haben auch nicht lesen gelernt und jung geheiratet. Bei einem Tsunami sind sie oft die Letzten, die davon erfahren. Wenn es Überschwemmungen gibt, dann sterben mehr Frauen, denn aufgrund unserer Traditionen haben die meisten nicht schwimmen gelernt. Auf internationaler Ebene sind diese Fragen aber bisher kaum anerkannt.
Wie kann man Frauen besser an Entscheidungen zur Klimakrise beteiligen?
Schon heute stoßen Frauen in Kolumbien die meisten Initiativen an und leiten sie. Der Grund ist einfach, sie spüren die Auswirkungen eben am meisten. Frauen wollen auch in Zukunft ihre Familien ernähren. Männer hingegen wandern häufiger in die Stadt ab, manchmal, um Gewalt zu entfliehen, manchmal, um Arbeit zu suchen.
Die Frauen auf dem Land sind also häufig mit Haus und Kindern allein. Also organisieren sich die Frauen. Wir arbeiten mit Frauenkollektiven, die Wald und Ökosysteme renaturieren, wie etwa Mangroven. Manche Kollektive kultivieren auch Medizinpflanzen. Andere betreiben Bienenzucht und stellen Honig her, um Geld zu verdienen.
Was würde sich ändern, wenn Frauen an den Entscheidungen wie auf der Klimakonferenz in Madrid gleichberechtigt beteiligt wären?
Die Vereinten Nationen wurden schon immer von Männern dominiert. Gleichberechtigung gab es bisher keine. Ich bin Teil der Women and Gender Constituency, das ist eine Frauenorganisation innerhalb der Vereinten Nationen.
Carola Rackete
wurde im Juni dieses Jahres weltweit bekannt, als die Kapitänin der "Sea-Watch 3" Flüchtlinge im Mittelmeer aus Seenot rettete und trotz eines Verbots der italienischen Behörden den Hafen von Lampedusa anlief. Die Umweltschützerin veröffentlichte gerade das Buch "Handeln statt hoffen".
Für Klimareporter° spricht Rackete mit Akteuren des "Peoples' Summit" in Santiago de Chile, der parallel zum Weltklimagipfel in Madrid stattfindet und Klimagerechtigkeit in den Mittelpunkt stellt.
Und es ist immer ein großer Kampf, die Interessen von Frauen durchzusetzen. Wir hatten ein paar kleine Erfolge, es gibt jetzt eine Plattform für Frauen innerhalb der UN-Verhandlungen.
Würden gleich viele Frauen und Männer entscheiden, würde man die Sache ernster nehmen und es wäre nicht nur eine Frage des Geldes.
Worauf gründet sich diese Ansicht?
Wenn man sozialwissenschaftliche Studien anschaut, sieht man, dass Männer sich mehr für wirtschaftlichen Erfolg interessieren.
Für Frauen ist das Wohlbefinden der Gemeinschaft das Wichtigste. Es gehört für sie dazu, sich um die Familie und andere Menschen zu kümmern. Deshalb würde es für die Entscheidungen einen riesigen Unterschied machen, aber natürlich kann ich das nicht wissenschaftlich beweisen, weil es ein solches System nicht gibt.
Alle Beiträge zur Klimakonferenz in Madrid und zum Alternativgipfel in Santiago finden Sie in unserem COP-25-Dossier.