Die jüngste Extremhitze im Westen der USA und Kanadas mit Temperaturen über 49 Grad bereitet selbst Klimawissenschaftlern grundsätzliche Kopfschmerzen.
Die extremen Temperaturen lägen so weit außerhalb der in der Vergangenheit beobachteten Werte, dass es schwierig sei zu bestimmen, wie selten das Ereignis in den aktuellen Klimaverhältnissen ist und wie es sich ohne den menschengemachten Klimawandel ereignet hätte, schreiben Forscher in einer heute veröffentlichten Studie der Initiative World Weather Attribution.
Dennoch kommt das internationale Team zum Schluss: Das Entstehen der Temperaturextreme wäre ohne den menschlichen Einfluss "praktisch unmöglich" gewesen. Die Erwärmung der Erde habe die Hitzewelle in Kanada und den USA mindestens 150-mal wahrscheinlicher gemacht, lautet das Ergebnis. Selbst wenn man den bereits fortgeschrittenen Klimawandel berücksichtige, dürfte ein solches Ereignis eigentlich nur einmal in 1.000 Jahren vorkommen.
An der Kurzstudie arbeiteten nach den Angaben mehr als 30 Wissenschaftler sowie lokale Experten mit. Das Papier wurde innerhalb einer Woche fertiggestellt und bisher noch nicht in einem Fachjournal veröffentlicht.
Für den Mechanismus, wie der Klimawandel auf die Temperaturentwicklung wirkt, führt die Studie zwei Erklärungen an.
Zum einen könnte der Klimawandel die Hitzewelle zwar wahrscheinlicher gemacht haben, diese bliebe aber nach wie vor ein extrem seltenes Ereignis. Trockenheit und ungewöhnliche atmosphärische Bedingungen – bekannt unter dem Stichwort Hitzekuppel – hätten nach dieser Lesart zu den außergewöhnlichen Temperaturen geführt. Eine solche Hitzewelle könnte künftig alle fünf bis zehn Jahre auftreten, selbst wenn der weltweite Temperaturanstieg auf zwei Grad begrenzt würde.
Zum anderen könnte das Klimasystem aber auch eine sogenannte "nichtlineare Schwelle" überschritten haben. Bereits geringe Änderungen bei der globalen Erwärmung könnten dann einen schnelleren Anstieg der Extremtemperaturen verursachen als erwartet. Dies würde auch bedeuten, so die Forscher, dass Rekord-Hitzewellen bereits jetzt wahrscheinlicher sind, als es die geltenden Klimamodelle vorhersagen.
"Fast alle diese Todesfälle wären vermeidbar"
Für Mitautorin Friederike Otto ist die Hitzewelle so oder so beispiellos. Die Klimaforscherin und Direktorin des Environmental Change Institute der Uni Oxford hält es für sehr außergewöhnlich, dass Temperaturrekorde um vier oder fünf Grad Celsius übertroffen wurden. Otto: "Wir können nicht ausschließen, schon heute Hitzeextreme zu erleben, die wir erst bei einer weiter fortgeschrittenen Erderwärmung erwartet hätten."
Die Wissenschaftlerin weist gegenüber Klimareporter° darauf hin, dass Hitzewellen durch den Klimawandel um mehrere Größenordnungen wahrscheinlicher werden und sich damit grundlegend von anderen Extrem-Ereignissen unterscheiden. "Hitzewellen sind die Manifestierung des Klimawandels", betont Otto.
Durch die höhere Wahrscheinlichkeit und Intensität von Hitzewellen töte der Klimawandel schon jetzt jedes Jahr Tausende Menschen, so die Forscherin. "Fast alle diese Todesfälle wären vermeidbar, aber wir vermeiden sie nicht." Gesellschaften müssten sich an die Hitze anpassen, "und zwar gestern", verdeutlicht Otto die Dringlichkeit.
"Der Klimawandel findet heute statt und bringt Menschen, arme meistens und solche mit Vorerkrankungen, leise und unauffällig in ihren schlecht isolierten Wohnungen um, während wir über eventuelle dramatische Kipppunkte in der Zukunft streiten", sagt Otto. Gleichzeitig werde die Abkehr von den fossilen Energieträgern weiter vertrödelt.
In den USA sei Extremhitze inzwischen die häufigste wetterbedingte Todesursache, erklärte Kristie Ebi vom Center for Health and the Global Environment in Seattle. Auch Ebi spricht von fast vollständig vermeidbaren Todesfällen. Dringend nötig seien Hitze-Aktionspläne und auch Frühwarnsysteme für Hitzewellen.
Es sei möglich, dass die Klimaforschung noch nicht wirklich verstanden habe, wie der Klimawandel Hitzewellen heißer und tödlicher macht, sagte Geert Jan van Oldenborgh vom Königlich Niederländischen Meteorologischen Institut in Utrecht, der wie Ebi an der Studie mitgearbeitet hat. Die Wissenschaft sieht sich angesichts der extremen Entwicklung offenbar neuen Fragen gegenüber.
Redaktioneller Hinweis: Friederike Otto gehört dem Herausgeberrat von Klimareporter° an.