Windräder bei Petronell in Niederösterreich.
Die Bundesregierung versagt beim Klimaschutz. Die "Umweltweisen" sagen es aber freundlicher. (Foto: Wolfgang Simlinger/​Shutterstock)

Unser Gehirn kann eines ziemlich gut: verdrängen. Niemand von uns hört gerne Menschen zu, die vor Katastrophen warnen, solange wir nicht unmittelbar von ihnen betroffen sind. Kurze Bestürzung, und die Zeitung wird mitsamt der Tsunami-Katastrophe ins Altpapier befördert.

Jetzt in der Coronakrise sind wir selbst betroffen. Wir sind inmitten einer Katastrophe, halten uns an Abstandsregeln und tragen Schutzmasken. Die Milliardenrettungen gehen schnell über den Tisch, die Existenz unzähliger Menschen steht auf dem Spiel. Nur, übersehen wir nicht gerade, wie die nächste Krise auf uns zurollt?

Damit der Klima- und Umweltschutz nicht von der politischen Bildfläche verschwindet, hat der Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) heute ein Umweltgutachten mit Handlungsempfehlungen für die deutsche und europäische Politik vorgelegt.

Um den Klimawandel zu bremsen, fordern die Berater der Bundesregierung ein langfristiges CO2-Budget für Deutschland, also eine Art Konto, das die Gesamtmenge an CO2 anzeigt, die noch ausgestoßen werden darf.

So viel CO2 darf Deutschland noch ausstoßen

Der Budget-Ansatz soll garantieren, dass die nationalen Klimaziele mit dem völkerrechtlich bindenden Pariser Klimaabkommen übereinstimmen. Dieses sieht vor, die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, möglichst auf 1,5 Grad.

Insgesamt steht der ganzen Welt dann noch ein Restbudget von maximal rund 800 Milliarden Tonnen CO2 zur Verfügung. Das zeigt der Bericht des Weltklimarates IPCC aus dem Jahr 2018.

Vor diesem Hintergrund errechnete der SRU, wie viel CO2 Deutschland von jetzt an noch zur Verfügung steht. "Ein ausreichendes, faires und angemessenes deutsches CO2-Budget beträgt maximal 6,7 Milliarden Tonnen CO2", sagte Wolfgang Lucht von der Berliner Humboldt-Universität, Mitautor des Gutachtens.

Als Berechnungsgrundlage dienten dabei eine Begrenzung der Erderwärmung bei 1,75 Grad und der Anteil Deutschlands an der Weltbevölkerung, der bei 1,1 Prozent liegt. Historische Emissionen fanden keine Berücksichtigung.

Bei gleichbleibenden Emissionen reiche dieses Budget jedoch nur bis 2029, warnt Lucht, der auch am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung tätig ist. "Bei linearer Reduktion muss Deutschland schon 2038 CO2-neutral sein, nicht erst 2050."

Klimaschutzgesetz "unwissenschaftlich"

Das Klimaschutzgesetz der Bundesregierung führt zwar erstmals Treibhausgasbudgets ein, loben die Autoren des SRU-Gutachtens, doch die dort festgehaltenen Klimaschutzziele seien "nicht wissenschaftlich hergeleitet". So seien die Klimaziele nicht nachvollziehbar von einem CO2-Budget abgeleitet und stimmten nicht mit dem Paris-Abkommen überein.

Die Diskussionen um ein CO2-Budget ist nicht neu und auch der Bundesregierung bekannt. Transparenz fehlt dem Klimagesetz jedoch weiterhin.

Zur Einhaltung des Klimaabkommens empfehlen die SRU-Gutachter dringend den Umstieg auf 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2035. Gleichzeitig warnen sie davor, auf Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre wie etwa CCS zu vertrauen, um das Budget künstlich zu vergrößern. Diese seien "derzeit im großen Maßstab technologisch unsicher und belasten oftmals die Umwelt."

Weitere konkrete Veränderungen, die der SRU für Deutschland vorschlägt, betreffen die Bereiche Kreislaufwirtschaft, Gewässer, Verkehr und Gebäude. So sollen die Stoffströme und Abfälle insgesamt reduziert werden.

Stadtumbau und Gewässerschutz

Die Mobilitätswende soll vorangetrieben und der gesundheitsbelastende Verkehrslärm begrenzt werden. Der städtische Raum müsse mit Blick auf die Gebäudeemissionen klimapolitisch umgestaltet werden.

Nicht zuletzt empfehlt der Sachverständigenrat mehr Gewässerschutz. Auswirkungen des Klimawandels könnten durch intakte Gewässer gemildert werden.

Der SRU berät die Bundesregierung seit einem halben Jahrhundert und hat die Aufgabe, Deutschlands Umweltpolitik zu bewerten und Handlungsempfehlungen auszusprechen. Der derzeit amtierende Rat besteht aus sieben Professorinnen und Professoren verschiedener Fachdisziplinen. Die vierjährige Amtszeit endet im Juni. Das aktuelle Gutachten ist eine Gesamtbeurteilung der Umweltsituation Deutschlands.

Trotz der Fähigkeit der Menschen zu verdrängen bleibt die Frage, ob Politik und Gesellschaft den Vorwurf eines unwissenschaftlichen Klimaschutzgesetzes ignorieren können. "Wir sind gut beraten, die wissenschaftliche Expertise nicht nur in Fragen des Gesundheitsschutzes, sondern in allen zentralen Politikbereichen bestmöglich zu nutzen", kommentierte Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) das Gutachten.

Es wäre allerdings nicht das erste Mal, dass ein solcher Satz folgenlos bleibt.

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