Eigentlich soll das geplante CO2-Grenzausgleichssystem der Industrie helfen. Das Instrument soll europäische Unternehmen vor einem Wettbewerbsnachteil schützen, wenn importierte Produkte außerhalb der EU billiger – weil unter schwächeren Klimaauflagen – produziert wurden.
Für diese Produkte soll nach dem Willen der EU-Kommission künftig ein Ausgleich fällig werden und so verhindern, dass die Produktion in Länder mit weniger Klimaschutzvorgaben abwandert.
"Wer verursachergerechten Klimaschutz will, muss auch die Industrie zur Verantwortung ziehen", sagt Ulf Sieberg vom Verein CO2-Abgabe. Richtig gemacht, halte ein Grenzausgleich die europäische Industrie langfristig am Leben und bewahre sie vor Klimaschutz-Dumping.
Für Wirtschaftsverbände sind die Pläne zum CO2-Grenzausgleich dennoch ein rotes Tuch: Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) lehnt das Instrument rundweg ab. Ines Zenke vom Wirtschaftsverband der SPD fürchtet Gegenbewegungen anderer Staaten, indem sie der EU verschärfte Exportbedingungen auferlegen.
Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband macht ebenfalls Stimmung gegen die vorgesehene Abgabe, deren Ausgestaltung derzeit noch im Werden ist. Es sei unklar, ob der Ausgleich große Erträge liefern werde und wie er mit den Regeln der Welthandelsorganisation WTO konform gehen könne.
In der vergangenen Woche ließ auch Russland die Muskeln spielen und warnte, das geplante System sei nicht mit den WTO-Regeln in Einklang zu bringen und würde neue Handelsbarrieren schaffen. Fachleute wie die Volkswirtin Susanne Dröge von der Stiftung Wissenschaft und Politik versichern aber, dass die Abgabe WTO-konform gestaltet werden kann.
Unternehmen sollen nicht abwandern
Zudem gibt es durchaus Branchen, die dem Vorstoß der EU-Kommission einiges abgewinnen können. Energieintensive Branchen wie Stahl, Aluminium und Zement fürchten die Konkurrenz aus dem Nicht-EU-Ausland, wenn Energie- und CO2-Preise weiter steigen und wegen verschärfter Vorgaben die Produktion klimafreundlicher werden muss.
Würde beispielsweise ein Unternehmen Zementklinker oder andere Zementprodukte aus dem Ausland importieren, würden diese Importe derzeit nicht dem Europäischen Emissionshandelssystem ETS unterliegen – und damit keinem CO2-Preis.
Die geplante Abgabe an der EU-Grenze würde sich idealerweise danach richten, wie viel CO2 bei der Produktion entsteht und welcher CO2-Preis im ETS gerade aufgerufen wird. "Bei Zement wissen wir ziemlich genau, wie viel CO2 durch die Produktion freigesetzt wird. Es sind grob 0,9 Tonnen CO2 pro Tonne Zementklinker", sagt Susanne Dröge.
Würde dann also importierter Zement an der Grenze entsprechende Zertifikate nachweisen müssen, wären die Hersteller in der EU und außerhalb einander gleichgestellt. Dass Unternehmen ins Ausland abwandern, weil die Klimaschutzkosten zu groß werden, soll so verhindert werden. Das Risiko des sogenannten Carbon-Leakage wäre gebannt.
Bislang mindert die EU-Kommission dieses Risiko, indem sie emissionsintensiven Branchen einen höheren Anteil kostenloser CO2-Zertifikate gewährt als anderen Industrien. Weil die EU aber ihre Klimaziele verschärfen will, muss sie die Menge der Zertifikate im EU-Emissionshandel verringern.
Hier kommt nun das geplante CO2-Grenzausgleichssystem in Spiel, das die europäischen Staats- und Regierungschefs ab 2023 einführen wollen. Noch ist unklar, wie das System ausgestaltet werden soll. Die EU-Kommission hat eine öffentliche Konsultation eingeleitet, die noch bis Herbst läuft. Einen Entwurf will sie frühestens Mitte nächsten Jahres vorlegen.
Zoll, Steuer oder Emissionshandel?
Die Kommission diskutiert drei Möglichkeiten für die Abgabe, wie Dröge in einem Fachbeitrag erläutert: in Form eines Zolls, einer Steuer oder als Verpflichtung für Importeure, sich am Emissionshandel der EU zu beteiligen.
Während sich das Instrument für die besagten Zementklinker vergleichsweise einfach entwickeln lässt, ist es bei anderen Sektoren etwas komplizierter. "Aber solange gilt, dass man in der EU weiß, wie viel CO2 bei der Produktion entsteht – auch beim Energie- beziehungsweise Stromeinsatz – und man daraus einen EU-Durchschnittswert bildet, kann man das installieren", sagt Dröge. Wichtig sei aber, dass die Abgabe lediglich bei Materialien und Grundstoffen angesetzt werde.
Bei einer Steuer wäre der Steuersatz, der in der EU oder in den einzelnen Mitgliedsstaaten gilt, dann eben auch auf Importe fällig. Das wäre aus Sicht von Dröge "steuertechnisch" die einfachste Lösung. Zuvor müsste eine CO2-Steuer auf in der EU hergestellte Güter eingeführt werden, dann könnte man sie auch auf Importe anwenden. Die anstehende Reform der EU-Energiesteuerrichtlinie werde daraufhin geprüft, so die Expertin. Zudem müssten bereits in Drittstaaten geleistete CO2-Steuern auf die Abgabe angerechnet werden.
Einen Zoll hält Dröge politisch für das am wenigsten geeignete Instrument: "Zölle sind handelspolitisch am schwierigsten zu begründen", sagt die Volkswirtin gegenüber Klimareporter°. Ähnlich wie bei einer Steuer oder dem Emissionshandel müsse bei einem CO2-Durchschnittswert angesetzt werden. Dabei spiele es keine Rolle, was im EU-Inland passiert, weil ein Zoll alle Drittländer und Importe trifft.
Allerdings müsste man bei einem Zoll und beim Emissionshandel den Importeuren oder Herkunftsstaaten die Möglichkeit einräumen zu beweisen, dass sie genauso gut oder sogar besser Emissionen mindern als der angenommene EU-Durchschnitt. Denn zunächst einmal geht die EU davon aus, dass in einem Importprodukt so viel CO2 steckt, als wäre es in der EU produziert worden.
Besonders problematisch findet es Dröge, dass die Staats- und Regierungschefs die CO2-Grenzabgabe als Haushaltsinstrument einführen wollen. Damit sollen die Ausgaben für den Wiederaufbaufonds und den Green Deal finanziert werden. Die EU erhofft sich daraus Einnahmen von fünf bis 14 Milliarden Euro.
Der klimapolitische Anspruch des CO2-Ausgleichs rückt damit in den Hintergrund – und das könnte Handelspartner:innen dazu bewegen, vor WTO-Schiedsgerichten zu klagen. "Das ist nun wirklich keine gute Idee", meint Dröge. Unklar sei auch, wie die politische Großwetterlage 2023 sein werde – ob etwa die USA in der Klimapolitik umschwenken und wie sich China aufstellt.
Zudem sprechen der technokratische Aufwand und Probleme bei der Ermittlung des CO2-Fußabdrucks gegen eine Grenzausgleichsabgabe, sofern der Geltungsbereich über Grundstoffe und wenige energieintensive Güter hinausgehen soll. Weniger handelsverzerrend wäre Dröge zufolge eine zusätzliche Konsumabgabe auf CO2 in der EU. Damit könnten die jetzt hochkommenden handelspolitischen Konflikte vermieden werden.
EU könnte weltweit hohe Klimastandards setzen
Auch der Verein CO2-Abgabe spricht sich für eine Abgabe auf den Konsum aus. "Im ersten Schritt könnte der CO2-Konsum mittels einer Verbrauchsabgabe auf Grundstoffe wie Ammoniak und Stahl – wie vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung vorgeschlagen – erfasst und mit Differenzverträgen kombiniert werden", sagt Ulf Sieberg vom Verein CO2-Abgabe.
Solche Differenzverträge sehen vor, dass ein Unternehmen Geld vom Staat erhält, wenn durch Investitionen in Klimaschutztechnologien wenig CO2 bei der Produktion entsteht, und im Gegenzug zur Zahlung verpflichtet ist, wenn die Produktion viele Emissionen verursacht.
"Die Komplexität und der bürokratische Aufwand ließe sich zunächst mit pauschalen Benchmarks begrenzen, bis mithilfe der Digitalisierung alle Emissionen in den Lieferketten von Unternehmen erfasst werden können", sagt Sieberg. Für jeden Verarbeitungsschritt in der EU sollte sich die CO2-Abgabe entsprechend der im Produktionsprozess entstehenden CO2-Emissionen erhöhen.
Auch aus Sicht von Dröge wäre es ideal, alle Güter entlang ihres CO2-Gehalts zu besteuern und dann bei Import beziehungsweise Export einen Grenzausgleich zu erheben beziehungsweise zu erstatten. Allerdings hält sie das für nicht durchsetzbar: "Diese Diskussion führen wir schon seit 2007, inzwischen weiß man mehr über den CO2-Gehalt der Produktionsprozesse, aber eine Steuer dieser Art ist politisch ein sehr dickes Brett", sagt Dröge.
Unabhängig davon, wie das System am Ende aussehen wird, es hätte einen entscheidenden Vorteil: Die EU könnte anderen Ländern ihre strengen Klimastandards aufzwingen. Auch für Unternehmen außerhalb der EU könnte es sich dann auszahlen, sich an diese Standards anzupassen und die Emissionen während der Produktion zu senken.
Dabei kommt es auf die Höhe der Abgabe an: Wäre sie zu hoch, würde sie ausländische Unternehmen übermäßig belasten, wäre sie zu niedrig, wären Unternehmen in der EU weiter benachteiligt – die Gefahr des Abwanderns wegen hoher Klimaschutzauflagen wäre nicht vollständig gebannt. Die Entwicklung des Instruments ist überaus anspruchsvoll.
"Eine Abgabe auf CO2 sollte effektiv dazu beitragen, das Klima auch global zu schützen", sagt Dröge. Klimapolitik sollte verhindern, dass Emissionen in Drittländern zunehmen, während sie in der EU abnehmen. "In der derzeitigen politischen Lage setzt die CO2-Abgabe international ein Zeichen, dass die EU es ernst meint mit dem Klimaschutz beziehungsweise mit dem Green Deal, denn die Erhöhung der Klimaziele wirft die Frage nach der Effektivität angesichts der Außenhandelsverflechtungen mehr als je zuvor auf."