Huang Runqiu hebt die Hand mit dem Hammer, um das Ende der Konferenz zu verkünden, sein Gesicht drückt zugleich Anspannung und Zufriedenheit aus. Neben ihm sitzt UN-Naturschutzchefin Elisabeth Mrema.
Der Konferenzpräsident, Chinas Umweltminister Huang Runqiu, beendet den Biodiversitätsgipfel in Montreal mit einem Hammerschlag. (Foto: Mike Muzurakis/​IISD/​ENB)

Klimareporter°: Herr Titze, wie bewerten Sie das Montrealer Abkommen zum globalen Naturschutz? Ist das der lang erhoffte Durchbruch, der die Zerstörung der Ökosysteme stoppt?

Florian Titze: Wir haben in Montreal in den letzten Wochen sinkende Ambitionen und festgefahrene Diskussionen erlebt. Der Knoten ist in der Nacht zu Montag geplatzt und die Verhandlungsstaaten haben es geschafft, sich auf ein lückenhaftes, aber letztlich überraschend gutes Rahmenwerk zu einigen.

Es kann uns die Möglichkeiten geben, unsere Lebensgrundlagen zu retten – wenn die Vertragsstaaten es denn wollen. In den kommenden Jahren müssen die Staaten den politischen Willen aufbringen, die Schwachstellen in der nationalen Umsetzung zu beheben.

Lange sah es so aus, aus würde Montreal ein Flop – ohne Einigung. Wem ist es vor allem zu verdanken, dass es anders kam?

Nach den festgefahrenen Verhandlungen, die hier auch drei Wochen kaum Fortschritte gemacht haben, kam die Wende, als die Ministerinnen und Minister die Verhandlungen übernommen haben. Man muss der chinesischen Präsidentschaft zugutehalten, dass sie es geschafft hat, letzten Endes einen Text vorzulegen, der alle Staaten gleich unglücklich gemacht hat.

Das ist der Weg, wie man bei den Vereinten Nationen oft nur die Einigung erzielen kann. Das hat am Ende zu dem lang erwarteten Durchbruch geführt, obwohl einige Länder immer noch Sorgen und Schwierigkeiten hatten, das Ganze als Erfolg zu sehen.

Der deutsche Beitrag hinter den Kulissen, auch in der EU, hat sicher einen sehr positiven Einfluss gehabt. Staatssekretär Jochen Flasbarth war Unterhändler und hat hier sicher auch zum Entstehen des Konsenses beigetragen, und einige der nun doch überraschend starken Ziele sind sicher auch durch den Einfluss Deutschlands und von Bundesumweltministerin Steffi Lemke entstanden.

Fast ein Drittel der Land- und Meeresfläche soll bis 2030 unter Schutz gestellt werden. Derzeit sind es erst 17 beziehungsweise acht Prozent. Wie realistisch ist das Ziel?

Das ist eines der wichtigsten Ziele, denn die biologische Vielfalt braucht Lebensräume, und diese Lebensräume haben wir in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten der Natur mehr und mehr genommen. Es ist ein sehr ambitioniertes Ziel, es wäre ein sehr, sehr großer Schritt nach vorne in der Umsetzung, sowohl an Land als auch im Meer.

Wie realistisch das ist, ist abhängig vom politischen Willen der Länder und davon, wie sehr dieses Abkommen letztendlich in den nationalen Plänen umgesetzt wird. Außerdem kommt es darauf an, wie sehr auch die Zivilgesellschaft und die Öffentlichkeit die Staaten in die Pflicht nehmen, ihre Versprechen zu realisieren.

Bis 2030 sollen die Industrieländer 30 Milliarden Dollar jährlich zur Verfügung stellen, um den Naturschutz im Süden voranzubringen. Reicht dieses Geld?

Porträtaufnahme von Florian Titze.
Foto: Sonja Ritter/​WWF

Florian Titze

ist Experte für inter­nationale Politik bei der Umwelt­stiftung WWF Deutsch­land und hat die Verhandlungen beim Bio­diversitäts­gipfel in Montreal vor Ort begleitet. Der studierte Politik­wissenschaftler war zuvor unter anderem Redakteur beim Online­magazin Clean Energy Project.

Die Finanzierungslücke für die Umsetzung der Ziele ist sehr groß. Alle Länder müssen mehr leisten. Alle Beteiligten, also zum Beispiel die Privatwirtschaft, müssen sich mehr engagieren, denn es ist im gemeinsamen Interesse aller, unsere Lebensgrundlagen und letztlich die Grundlage für unseren Wohlstand zu sichern.

Die 30 Milliarden Dollar jährlich für die Länder im globalen Süden sind wahnsinnig wichtig, denn diese Länder brauchen das Geld für die Umsetzung der Ziele. Ob es reicht, müssen wir am Ende sehen. Es ist auf jeden Fall noch Luft nach oben. Wenn in der Mitte der Dekade festgestellt wird, dass das Geld für die Umsetzung nicht reicht, dann müssen die Staaten nachlegen und nach oben justieren.

Wie die Überprüfung der Naturschutzziele geregelt werden soll, wird nun erst 2024 auf der nächsten Konferenz verhandelt. Das in Montreal beschlossene Abkommen ist also noch ohne Zähne?

Das Kunming-Montreal-Abkommen hat mehr Zähne, als ein globales Naturschutzabkommen dieser Art jemals hatte. Wir haben noch nicht ganz die Stärke, die wir uns gewünscht hätten, die Klausel zur Nachjustierung – wenn man in der Mitte der Dekade feststellt, dass man nicht auf Kurs ist – ist schwächer, als wir es gewollt hätten.

Jedoch wird es auch an den nationalen Umsetzungsplänen hängen. Die nationalen Gesetze, die Regelungen, die Anreize, die die Staaten bei sich zu Hause beschließen, um das Abkommen durchzusetzen, werden am Ende über Erfolg oder Misserfolg entscheiden.

Was muss Deutschland tun, um den Anspruch von Montreal zu erfüllen?

Deutschland muss nun mehrere Dinge tun. Es muss seine Finanzierungsversprechen möglichst zeitnah und bereits in den nächsten Haushalten abbilden und in der nationalen Umsetzung die Gelder in die Fläche kriegen. Das Aktionsprogramm natürlicher Klimaschutz muss rasch umgesetzt werden. Die nationalen Biodiversitätspläne müssen erneuert und umgesetzt werden.

Und natürlich müssen sich die Unterstützungszahlungen an die Länder des globalen Südens in den Haushaltsplanungen widerspiegeln. Schon im nächsten Haushalt müssen wir eine klare Justierung nach oben sehen.

Die Finanzmittel müssen dann konstant wachsen bis 2025, um auch dem Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz nachzukommen, das er im September in New York bei der UN-Generalversammlung abgegeben hat – nämlich den deutschen Beitrag für die internationale Biodiversitätsfinanzierung auf 1,5 Milliarden pro Jahr zu erhöhen. Nur so können wir mit globaler Solidarität gemeinsam mit allen anderen Staaten das Artensterben stoppen und umkehren.

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