Klimareporter°: Herr Grießhammer, Ihr neues Buch spielt im Jahr 2037 und ist ja überraschend genreübergreifend – eine Mischung aus Erzählung, Fiktion und dokumentarischer Information. Wieso das?
Rainer Grießhammer: So kann man die Zukunft leichter lesen.
Also: 2037 ist im Buch geprägt von autonomen Solarautos, Tiny Lofts in umgebauten Garagen, Restaurants mit Servierrobotern. Da schweben Bademeisterdrohnen über Baggerseen, ein Roboter erklimmt den Mount Everest, ein Mini-AKW crasht in Rumänien und die Malaria breitet sich in Deutschland aus. Möchten Sie das gerne noch erleben?
Beileibe nicht alles. Im Buch beschreibe ich allerdings überwiegend schöne Entwicklungen respektive Realutopien, die kommen können und kommen werden, wenn sich viele dafür engagieren.
Aber natürlich gibt es auch Dystopien und negative Entwicklungen, die kaum noch aufzuhalten sind. In der Erzählung gibt es zwar ab 2028 einen entscheidenden politischen Umschwung in der Klimapolitik, aber die bis dahin erfolgte Klimaerhitzung und deren Folgen können natürlich nicht rückgängig gemacht werden.
Warum eigentlich genau 2037?
Die meisten Politik- und Klimaszenarien gehen ja bis 2050. Von heute aus gesehen liegt 2037 genau in der Mitte. Aber wichtiger ist, dass ich die technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen bis zu diesem Jahr noch einigermaßen plausibel abschätzen konnte.
Bei der Digitalisierung geht es aber wahrscheinlich viel schneller – da bin ich teilweise schon beim Schreiben überholt worden.
Sie beschreiben den Alltag, wie er Mitte des nächsten Jahrzehnts aussehen könnte. Es ändert sich viel, ob in Wohnen, Mobilität, Ernährung, Gesundheit, Kommunikation oder Bildung. Was sind die Treiber dafür?
Die digitale Revolution ist bislang eindeutig technologiegetrieben und so schnell, dass die Politik meist schon zeitlich überfordert ist. Die Energiewende und der Klimaschutz sind dagegen eine gezielte gesellschaftliche Transformation. Neue Technologien werden damit gezielt gefördert und veraltete klimaschädliche Technologien ausgebremst.
Es wird also alles anders. Im Buch beschreibe ich viele konkrete Entwicklungen mit ihren jeweiligen Alternativen und Kipppunkten. Ob alles gut wird, entscheiden die Bürger – als Wähler und als Konsumenten. Sie müssen Treiber sein und nicht Getriebene.
Momentan erleben wir doch eher ein Rollback, die Autos werden immer dicker, die Leute lassen sich noch schnell neue Erdgas-Heizungen einbauen, die Ampel-Regierung entkernt das Klimagesetz. Woher also Ihr Optimismus?
Sie haben recht. Die Zeiten sind wirklich schwierig. Durch die multiplen Krisen und schnellen gesellschaftlichen Änderungen fühlen sich viele überfordert und ziehen sich ins fossile Biedermeier zurück.
Das Buch ist deshalb auch ein Weckruf. Es geht auch anders, aber eben nicht mit Lähmung und Innovationsangst.
Es entsteht in "Alles wird gut" ja auch eine neue Partei. Und eine andere Steuerpolitik, die zum Beispiel das Fliegen verteuert, wie es den Klimaschäden angemessen ist. Wie das?
Rainer Grießhammer
ist Vorstandssprecher der Stiftung Zukunftserbe und mehrfacher Bestsellerautor. Der promovierte Chemiker war langjähriger Vorstandssprecher des Freiburger Öko-Instituts und beriet Bundestag und Bundesregierung. 2010 erhielt er den Deutschen Umweltpreis.
In der zweiten Hälfte der 2020er Jahre nehmen die klimabedingten extremen Hitzewellen, Stürme und Überschwemmungen so stark zu, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt.
Für die vorzeitigen Bundestagswahlen werden von einem breiten Bündnis Wahlprüfsteine erarbeitet. Dabei sind unter anderem Fridays for Future, die Kirchen, einige Gewerkschaften, der Verband der Jungen Bürgermeister.
Trotz guter Diskussionen und Entscheidungen sind viele Jüngere enttäuscht und gründen die neue Partei "Die Zukunft". Die wird bei der Wahl zweitstärkste Kraft und bildet mit Grünen und SPD die grün-orange-rote Bundesregierung, die dann wirklich die Zeitenwende schafft.
Im Buch beschreiben Sie ja auch heftige Auseinandersetzungen zwischen drei Generationen, über Erfolge und Misserfolge der jahrzehntelangen Umwelt- und Klimapolitik.
Ja – das wird kommen. Gestritten wird im Buch auch um soziale Gerechtigkeit, faire Altersvorsorge für die nächsten Generationen, Grundeinkommen, Postwachstumsgesellschaft und ein anderes Steuersystem.
Im Buch werden die drei Generationen durch Paul, seinen Vater Jan und seinen Ersatzgroßvater Ulrich vertreten. Da geht es ganz schön zur Sache.
Beim Schreiben war es eine große Inspiration, mich in die einzelnen Protagonisten hineinzudenken. Wie hätte ich – in eine ganz andere Zeit und Umgebung geboren – entschieden und gehandelt?
Sie schmücken das Ganze mit schönen Spitzen. Klimabedingte Stürme werden nicht mehr mit Männer- und Frauennamen benannt, sondern nach den Vorsitzenden der Energiekonzerne. Bayern feiert die Entscheidung für ein Atomendlager im Freistaat zusammen mit dem Oktoberfest. Das 200-jährige Jubiläum der Eisenbahn findet wegen "Störungen im Betriebsablauf" zwei Jahre verspätet statt. Was sagt das dem Leser?
Zuerst einmal, dass man ein Buch trotz profunder Informationen auch mit Humor schreiben kann. Die vorgeschlagene Umbenennung der Stürme meine ich aber ernst. Früher sah man die umgestürzten Wälder und sagte: Das war Lothar. Beim nächsten klimabedingten Sturm wird man sagen: Das war Großmann, der frühere RWE-Chef.
Sie sind seit Jahrzehnten nicht nur als Wissenschaftler, sondern auch als Autor von Umweltbüchern erfolgreich. Ihr "Öko-Knigge" mit den Riesenauflagen in den 1980er Jahren hat viele Leute inspiriert, sich politisch und im privaten Handeln zu engagieren. Kann man heute mit einem Öko-Buch denn noch etwas bewegen?
Aktuell hat man ja den Eindruck, dass mit Fake News mehr bewegt wird und besonders die sozialen Medien für Desinformation genutzt werden. Im Buch beschreibe ich ausführlich die Fake-News-Strategien der Profis.
Das ist eine neue Herausforderung: Man muss nicht nur dafür kämpfen, dass alles gut wird, sondern auch, dass die Informationen gut sind.
Wie hat sich der Markt für Öko-Bücher denn entwickelt, in dem halben Jahrhundert, in dem es ihn gibt?
Das Buch
Rainer Grießhammer: Alles wird gut – nur anders. Geschichten aus dem Jahr 2037. Oekom Verlag, München 2024. 240 Seiten, 24 Euro
Die Öko-Bücher haben nur in den 1980er Jahren geboomt. Die waren neben einzelnen Zeitungen praktisch die wesentliche alternative Informationsquelle. Das Internet kam ja praktisch erst in den 1990er Jahren.
Leider mit den beschriebenen Nachteilen, aber auch all seinen Vorteilen. Für NGOs und Umweltinitiativen ist es heute viel leichter, zu informieren und zu mobilisieren. Natürlich gibt es mein Buch auch als E-Book und ich werde dazu noch eine Podcast-Reihe und eine weitere videogestützte Reihe in den sozialen Medien machen.
Letzte Frage. "Neues Knie oder SUV?" heißt eines der 60 Kapitel im Buch. Was raten Sie?
Dass die Leser sich entscheiden. Im Buch gibt es mehrere Episoden zu den erstaunlichen, aber teuren Entwicklungen im Gesundheitsbereich. Matthias, ein Bekannter von Ulrich, humpelt mit einem Exoskelett durch die Stadt und beklagt sich, dass er die 5.000 Euro teure Eigenbeteiligung für eine Anti-Arthrose-Therapie nicht bezahlen konnte.
Ulrich, in hohem Alter noch begeisterter Radfahrer, fragt trocken zurück, warum sich Matthias aber einen SUV für 55.000 Euro gekauft hat. Übertragen heißt das auch: Vor den großen Entwicklungen dürfen wir nicht in die Knie gehen. Wir müssen sie gestalten.