Vor dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel hält ein Demonstrant eine Regenbogenfahne mit der Aufschrift
Klimagruppen und Grüne demonstrieren vor dem Sitz der EU-Kommission in Brüssel: Ob die europäische Handelspolitik jetzt nachhaltiger wird, ist offen. (Foto: Climate SOS/​Flickr)

Seit der großen Protestwelle gegen TTIP und Ceta, die Handelsabkommen der EU mit den USA und mit Kanada, schafft es die Handels- und Investitionspolitik nur noch selten auf die vorderen Plätze der Nachrichten. Die Verhandlungsprozesse sind zäh und die Verträge kompliziert – kein Wunder, werden hier doch die Spielregeln der internationalen Wirtschaftsbeziehungen festgelegt.

Oft geschieht das mit einem einseitigen Fokus auf Wachstum: Das Handelsvolumen, also Exporte und Importe, soll steigen, und dafür sollen alle möglichen "Barrieren" abgebaut werden. Dazu zählen längst nicht mehr nur Zölle, sondern auch gesetzliche Regulierungen, Standards und andere sogenannte "nicht-tarifäre Hemmnisse". Diese einseitige Perspektive geht häufig zulasten von Klima und Umwelt, von Arbeits-, Sozial- und Menschenrechten.

Die Europäische Kommission, die die Abkommen im Auftrag der EU-Staaten aushandelt, kennt diese Kritik. Schon lange ist sie bemüht, sich als Vorreiterin in Sachen Klimaschutz und Arbeitsrechten zu inszenieren. Ein Beispiel sind die Nachhaltigkeitskapitel in Handelsabkommen, in denen sich die Vertragsparteien zum Pariser Klimavertrag oder zu den Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO bekennen.

Doch dabei handelt es sich eben um genau das: Bekenntnisse, die zudem auch schon an anderer Stelle abgegeben wurden, nicht aber um neue, rechtlich bindende Verpflichtungen. Auf gravierende Umweltverschmutzungen oder Verletzungen von Arbeitsrechten einer Vertragspartei folgt vielleicht die Berufung eines "Expertenpanels" zur Beurteilung der Situation, nicht aber eine Aussetzung der Zollfreiheit oder andere handelspolitische Sanktionen.

Das soll sich jetzt ändern. Im Juni hat die EU-Kommission ihren lang angekündigten Plan zur Reform der sogenannten TSD-Kapitel veröffentlicht. TSD steht für Trade and Sustainable Development, Handel und nachhaltige Entwicklung. Von "auf die Partnerländer zugeschnittenen Zielen" ist da die Rede und von "Fahrplänen mit zeitlichen Festlegungen für effektivere Ergebnisse".

Mehr Kooperation, mehr Beteiligung von zivilgesellschaftlichen Organisationen, mitunter auch technische und finanzielle Unterstützung für die Vertragspartner werden versprochen. Die Erschließung "neuer Märkte für den Im- und Export umweltverträglicher Waren und Dienstleistungen" wird ebenfalls genannt.

Zu guter Letzt folgt ein Satz, auf den viele Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und progressive Parteien gewartet haben: "Wir werden die Möglichkeit vorsehen, als letztes Mittel bei wesentlichen Verstößen gegen das Pariser Klimaschutzübereinkommen und die grundlegenden arbeitsrechtlichen Prinzipien der ILO Handelssanktionen zu verhängen."

Kosmetische Korrekturen

Das Reformvorhaben, dem nun das Europäische Parlament und die EU-Staaten zustimmen müssen, ist zweifellos ein Schritt in die richtige Richtung. Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des Handelsausschusses im EU-Parlament, sprach gar von einer "Revolution im System".

Ähnlich große Worte wählte Franziska Brantner, Parlamentarische Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium, als sie sich zum neuen Eckpunktepapier für Handelspolitik der Bundesregierung äußerte. Die im Kabinett beschlossene Agenda, die wohl nicht zufällig kurz nach den Ankündigungen der EU-Kommission veröffentlicht wurde, leite "die Reform unserer Handelspolitik" ein, sagte Brantner.

Deutschland könne sich jetzt "endlich für eine faire europäische Handelspolitik einsetzen", zu der auch die "Sanktionsbewehrung" internationaler Klima-, Biodiversitäts- und Arbeitsrechts-Abkommen gehöre, so die Staatssekretärin. So schmückt sich die Bundesregierung mit Zielen, die die EU-Kommission schon lange anvisiert hat.

Parallel zur Beschlussfassung über die handelspolitische Agenda wurde das Ceta-Ratifizierungsgesetz vorgelegt, mit der nun auch Deutschland dem umstrittenen Handels- und Investitionsabkommen mit Kanada zustimmen wird. Das bereits 2017 zu großen Teilen und "vorläufig" in Kraft getretene Abkommen ist auch deshalb stark in der Kritik, weil es Sonderklagerechte für ausländische Investoren enthält.

Ein schmuckloser zwölfstöckiger Betonbau an einer fast menschenleeren Straße.
Das internationale Schiedsgericht ICSID hat seinen Sitz im Gebäude der Weltbank in Washington, unterliegt aber eigenen, wenig rechtsstaatlichen Regeln. (Foto: Shiny Things/​Wikimedia Commons)

So können Staaten von Unternehmen vor einem internationalen Schiedsgericht auf hohe Entschädigungssummen verklagt werden, wenn ihre Gesetzgebung – etwa zum Schutz von Klima und Umwelt – die Profite aus getätigten Investitionen schmälern könnte.

Die Bundesregierung hat sich laut einem Bericht des Handelsblatts "darauf geeinigt, dass der Vertragstext unverändert bleiben kann. Eine zusätzliche Erklärung soll aber sicherstellen, dass der Investitionsschutz in Ceta nicht missbraucht wird." Diese Zusatzerklärung ist jedoch vage formuliert und rechtlich nicht bindend, kritisieren unter anderem die Organisationen im Netzwerk Gerechter Welthandel.

Solche kosmetischen Änderungen häufen sich. Die Gründe dafür liegen auf der Hand – und werden als solche auch in der medialen Debatte benannt. So schreibt das Handelsblatt: "Zuletzt scheiterten einige Abkommen am Widerstand aus der Bevölkerung und von nationalen Regierungen. Befürchtet wurde, dass die Rechte von Arbeitnehmern ausgehöhlt, Umweltstandards gemindert und Klimaschutzgesetze verlangsamt werden. Die neue Handelspolitik soll darum anders sein: Sie soll die Standards der EU in die Welt tragen, anstatt sie abzusenken."

Jene, die in der Vergangenheit gegen Abkommen mit Kanada oder den südamerikanischen Mercosur-Staaten protestiert hätten, müssten nun überzeugt werden. Auch die Süddeutsche Zeitung verweist auf die Hoffnung der EU-Kommission, dass die Reform "zu neuem Schwung bei den Abkommen führen" werde.

Grüne im Dilemma

Wie in anderen politischen Fragen auch befinden sich die Grünen hier in einem besonderen Dilemma, haben ihre Parteimitglieder doch gerne auf den Demonstrationen gegen die Handelsabkommen gesprochen, als die Grünen noch in der Opposition waren.

Nun will die Bundesregierung sich auch für eine Ratifizierung des EU-Mercosur-Abkommens einsetzen, wenn "Zusatzvereinbarungen zum Schutz und Erhalt bestehender Waldflächen" getroffen werden. Bisher wurde das Abkommen unter anderem vom EU-Parlament abgelehnt, weil befürchtet wird, dass der Abbau von Zöllen auf Agrargüter wie Fleisch und Soja die Abholzung des Regenwaldes in Brasilien noch weiter anfeuert.

Ob sanktionsbewehrte Nachhaltigkeitskapitel hier wirklich einen großen Unterschied machen werden, ist unklar. Klar ist jedoch, dass es dringend Reformen braucht, die materielle Veränderungen bewirken. Auch der neueste IPCC-Bericht warnt, dass Handels- und Investitionsabkommen den politischen Spielraum für Klima- und Umweltschutz stark einschränken können.

Anti-TTIP u Ceta
Spitzenpersonal der Grünen auf einer Großdemonstration gegen TTIP und Ceta in Berlin, September 2016. (Foto: Sandra Kirchner)

Damit das nicht passiert, bräuchte es nicht nur verbindliche Bezüge auf das Pariser Klimaabkommen, sondern eine generelle Ausrichtung der Handelspolitik am Schutz von Klima und Umwelt, von Menschen-, Arbeits- und Sozialrechten. Anstelle der steten Steigerung des Handelsvolumens müsste die Frage in den Vordergrund rücken, mit welchen Gütern eigentlich wie gehandelt werden sollte.

Einen detaillierten Vorschlag "in Richtung eines klimafreundlichen Handels" hatten die Grünen im EU-Parlament letztes Jahr vorgelegt. So könnten die Vertragsparteien international anerkannte Standards und Zertifizierungsprozesse zur Unterstützung des nachhaltigen Handels entwickeln, heißt es dort. Die Abkommen sollten Anreizmechanismen für ökologische Güter und Dienstleistungen schaffen – und eine umweltfreundliche Subventionspolitik zulassen.

Dazu gehört, sich auf das Auslaufen von Subventionen für fossile Brennstoffe im Inland und Ausland zu verpflichten. Ähnlich wie es beim CO2-Grenzausgleich bereits debattiert wird, müsste geprüft werden, inwiefern Umweltschäden eingepreist werden können, inklusive verschiedener Zölle auf umweltschädliche Produkte. Der Handel mit Produkten, die gravierende ökologische und soziale Risiken mit sich bringen – beispielsweise Pestizide –, könnte ausgeschlossen werden.

Die EU-Handelsstrategie und künftige Abkommen, zum Beispiel mit Chile, Australien, Indien und den südostasiatischen Asean-Staaten, sollten sich an diesen oder ähnlichen Prinzipien orientieren. Vor Aufnahme von Verhandlungen für Handelsabkommen wäre die Möglichkeit sogenannter pre-ratification commitments zu prüfen, mit denen verbindliche Grundlagen geschaffen werden, statt lediglich Bekenntnisse und "Fahrpläne" in Nachhaltigkeitskapitel zu hineinzuschreiben. Zu guter Letzt würde auch die Möglichkeit dazugehören, bereits bestehende Handelsabkommen auf negative ökologische Folgen zu überprüfen.

An allen diesen Prozessen müsste das Europäische Parlament stärker beteiligt werden – damit nicht allein die EU-Kommission die Verhandlungen führt und das Parlament am Ende nur ja oder nein sagen kann. Handelspolitik würde dann wieder regelmäßig auf den vorderen Seiten der Nachrichten landen – und intensiv debattiert werden.

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