Ein Haufen Altreifen liegt im Wald.
Selbst wenn die Dinge mit extrem wenig Ressourcen produziert und später vollständig recycelt werden: Es kommt darauf an, ob sie einen persönlich wahrgenommenen Nutzen stiften. (Foto: Denise K/​Pixelio)

Das Paradigma der ökologischen Modernisierung verinnerlicht stets dieselbe Logik – ganz gleich, ob von Dematerialisierung, Entkopplung, Green Growth, Green Economy, grünem, nachhaltigem oder qualitativem Wachstum die Rede ist: Das ohne Wachstum nicht zu stabilisierende Wohlstandsmodell soll mittels ökologischer Konsistenz und Effizienz von Umweltschäden abgekoppelt werden.

Konsistenz bedeutet, die "Wirtschaftsweise" der Ökologie auf menschliche Produktions- und Konsumaktivitäten zu übertragen, indem Null-Emissions-Systeme geschaffen werden. Diese beruhen auf geschlossenen Stoffkreisläufen und erneuerbaren Energieträgern, also einem perfekt in die Ökosphäre eingebetteten Metabolismus.

Demgegenüber zielt Effizienz darauf, den Ressourcen- und Energieeinsatz pro Output-Einheit zu senken – also zu minimieren, was die "Wohlstandsmaschine vorne in sich reinfrisst", wie es der Umweltforscher Friedrich Schmidt-Bleek ausdrückt.

Umweltzerstörung durch Effizienz

Beide Prinzipien scheitern, weil sie sich nur auf Objekte oder einzelne Vorgänge anwenden lassen. Effizient oder konsistent können beispielsweise Autos, Biogasanlagen, Nahrungsmittel, Hochöfen, T-Shirts, Getränke(verpackungen), Häuser oder Carsharing-Dienstleistungen sein – aber nicht Individuen.

Während die Umsätze an effizienten oder konsistenten Produkten sowie Technologien fortlaufend neue Rekorde erreichen, gilt dasselbe für die pro Person verursachten Emissionen und sonstigen Umweltschäden. Diese vermeintliche Paradoxie lässt sich mit Blick auf die kulturelle Beschaffenheit des Spätstadiums moderner Konsumgesellschaften leicht verstehen.

Produkte und Technologien, mit denen sich zeitgenössische Konsumenten umgeben, führen ein Doppelleben. Sie sind nicht nur Hilfsmittel, um einen messbaren objektiven Zweck zu erfüllen, sondern Träger von Botschaften. Sie verleihen ihrem Nutzer eine Identität: "Sag mir, welches Auto du fährst oder ob auf deinem Smartphone ein angebissener Apfel zu sehen ist – und ich sage dir, wer du bist!" Ebenso können Güter zum Trägermedium für Nachhaltigkeitssymbolik werden, gerade in Handlungsfeldern, auf denen ein hoher normativer oder ethischer Druck lastet.

Porträtaufnahme von Niko Paech.
Foto: privat

Niko Paech

Der Volks­wirt ist Pro­fes­sor für Pro­duk­tion und Um­welt an der Uni­ver­si­tät Ol­den­burg. Er forscht zu öko­lo­gi­scher Öko­no­mie und Nach­hal­tig­keit.

Effiziente oder konsistente Produkte bringen eine politisch "korrekte" Haltung zum Ausdruck. Längst haben die grünen und fairen Marktideen, mit denen nachhaltig orientierte Verbraucher überschwemmt werden, einen Diskurs über "moralischen Konsum" und die "Moralisierung der Märkte" entfacht. Moral, die sich in Form "korrekter" Güter bequem erwerben lässt, verursacht weder Mühe noch Einschränkung; die Produkte können schlicht hinzugefügt werden.

Was aber, wenn mit der Expansion nachhaltiger Einzellösungen auch die ökologisch ruinösen Praktiken zunehmen, die sich damit symbolisch kompensieren lassen? Schließlich könnten die von einem Individuum inszenierten Beiträge zur Weltrettung ein "moralisches Konto" versinnbildlichen. Je mehr Güter mit Nachhaltigkeitssymbolik auf der Habenseite verbucht werden kann, desto mehr schädliche Handlungen auf der Sollseite lassen sich damit ausgleichen.

Flugreisende, die allergrößten Wert darauf legen, in einem Passivhaus zu wohnen und vegetarisch zu leben, sind keine Seltenheit. Ökostromnutzer, die einen SUV fahren, bilden keinen Widerspruch – im Gegenteil: Je mehr symbolische Kompensationsmasse in Form von Bionade, Ökostrom, fairen Textilien et cetera verfügbar ist, desto mehr Wohnraum, Flugreisen und SUVs lassen sich damit aufwiegen.

Effizienz- oder Konsistenzmaßnahmen können die Umweltsituation deshalb sogar verschlechtern, vor allem wenn sie die Aufrechterhaltung oder Ausdehnung der um ein Vielfaches schwerer wiegenden ökologischen Schäden, die von derselben Person verursacht werden, legitimieren oder wenn sie das Unbehagen mildern, das durch die zutage tretenden Widersprüche entsteht.

Nachhaltige Produkte gibt es nicht

Per se nachhaltig können somit nur in Gänze betrachtete Lebensstile sein: Was darf sich ein Einzelner insgesamt an materiellen Freiheiten aneignen, ohne sozial oder ökologisch über seine Verhältnisse zu leben? Nur individuelle Öko- oder CO2-Bilanzen können das beschriebene ökologische Versteckspiel vermeiden.

 

Für das Zwei-Grad-Klimaziel würde das bei etwa sieben Milliarden Menschen bedeuten, dass jedem Individuum pro Jahr 2,7 Tonnen CO2-Ausstoß zustehen. Der aktuelle Durchschnittswert individuell verursachter Emissionen beläuft sich in Deutschland auf knapp elf Tonnen. Eine Flugreise nach New York und zurück verursacht pro Kopf mehr als vier Tonnen CO2, nach Neuseeland sogar mehr als 14 Tonnen.

Besonders für diese, aber auch für andere ruinöse Praktiken existieren absehbar keine ökologisch verträglichen Ersatzlösungen oder bestenfalls solche, die mehr neue Schäden verursachen, als bisherige zu vermeiden. Somit bleibt nur der Weg, das Industrie- und vor allem Mobilitätssystem auf ein global übertragbares Niveau zurückzubauen. Die hierzu nötige "Postwachstumsökonomie" setzt unter anderem genügsamere Lebensstile voraus.

Suffizienz – Zeit haben für angenehme Dinge

Suffizienz ist das einfachste und zugleich schwierigste Nachhaltigkeitsprinzip. Es geht hier nicht um besseren Konsum, sondern um Nicht-Konsum, also die freiwillige Beschränkung der materiellen Selbstverwirklichung auf ein Maß, das auf die anderen heute und morgen lebenden Menschen übertragbar ist. Das muss keineswegs Verzicht bedeuten, denn das Leben in zeitgenössischen Konsumdemokratien ist vollgepfropft mit Produkten, Dienstleistungen, Mobilität, Ereignissen und Kommunikationstechnologien. Es fehlt die Zeit, dies alles so "abzuarbeiten", dass es einen spürbaren Nutzen erzeugt.

Damit nämlich Konsumaktivitäten überhaupt Glücksgefühle verursachen oder die Zufriedenheit steigern können, muss ihnen ein Minimum an Aufmerksamkeit gewidmet werden. Und das geht nicht, ohne eigene Zeit zu investieren, denn Empfindungen lassen sich weder automatisieren noch an jemanden delegieren, sondern erfordern eigene Wahrnehmung. Knappheit an eigener Zeit durch "menschliches Multitasking" zu überlisten – also verschiedene Dinge gleichzeitig zu verrichten – bleibt eine Illusion. Neurologen konnten längst beweisen, dass Menschen sich bestenfalls auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren können.

Da der Tag nach wie vor 24 Stunden hat, die Anzahl der Dinge und Erlebnisse, die wir uns durch Konsum, entgrenzte Mobilität oder digitale Vernetzung aneignen können, jedoch geradezu explodiert, konkurrieren diese Aktivitäten und Objekte um die knappe, nicht vermehrbare Aufmerksamkeit. Folglich wird jeder Sache und Handlung eine zusehends geringere durchschnittliche Zeitdosis zuteil. So werden Menschen rechnerisch immer reicher, während sie innerlich veröden.

Hilfe verspricht allein, sich auf eine überschaubare Anzahl von Optionen zu konzentrieren, sodass die knappe Aufmerksamkeit reicht, um diese Dinge lustvoll genießen zu können. Wer sich elegant eines ausufernden Konsum- und Mobilitätsballastes entledigt, ist davor geschützt, im Hamsterrad der käuflichen Selbstverwirklichung orientierungslos zu werden. Elegante Genügsamkeit konfrontiert die verzweifelte Suche nach weiteren Steigerungen von Güterbesitz und Bequemlichkeit mit einer simplen Gegenfrage: Von welchen Energiesklaven, Konsum- und Komfortkrücken ließen sich überbordende Lebensstile und schließlich die gesamte Gesellschaft befreien?

Einen Nutzen hat nur etwas, dem wir unsere Zeit widmen

Nicht der Preis, nicht der materielle Gehalt oder die innovativen Eigenschaften einer Ware bestimmen ihren Nutzen, sondern die Aufmerksamkeit und folglich das Quantum an individueller Zeit, die jemand bereit und fähig ist, ihr zu widmen. Deshalb wohnt keiner Sache oder Handlung von vornherein ein Nutzen inne. Die Nutzen stiftende Wirkung einer Sache setzt voraus, dass ihre Wahrnehmung oder Handhabung eine Qualität aufweist, die außerhalb von ihr liegt, nämlich vom Betrachter und Nutzer selbst aufzubringen ist.

Damit wird jede Betrachtung, jede Verwendung und jeder Konsum zu einer virtuosen Handlung. Einem einzelnen Objekt oder Erlebnis mehr Sinnstiftung abzugewinnen, setzt voraus, sich von zeitraubendem Ballast zu trennen. Selbstbegrenzung und Lebensqualität bilden also keinen Widerspruch.

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