Viele Fußgänger eilen über einen Zebrastreifen.
Wie stehen andere Menschen zum Klimaschutz? (Foto: Brian Merrill/​Pixabay)

Sind Sie besorgt wegen der Klimakrise? Wollen Sie, dass die Politik mehr fürs Klima tut? Wenn Sie diese Fragen mit Ja beantworten, dann gehören Sie zur Mehrheit. Sogar zu einer sehr großen Mehrheit.

Doch vielen Menschen ist dies nicht bewusst. Stattdessen nehmen sie an, mit ihren Sorgen und ihrem Wunsch nach mehr Klimaschutz in der Minderheit zu sein.

Pluralistische Ignoranz nennt die Sozialpsychologie dieses Phänomen. Der sperrige Begriff meint ganz einfach, dass Menschen falsch einschätzen, wie ihre Mitmenschen denken und handeln. Etwa bei der Akzeptanz von Alkoholkonsum, die laut Studien oftmals überschätzt wird.

Die Fehleinschätzung wird dann zu einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Denn Menschen orientieren ihr Verhalten daran, was sie für akzeptiert und weit verbreitet halten. In der Folge wird mehr getrunken – obwohl die Menschen das mehrheitlich gar nicht gutheißen.

Das gilt auch beim Klimawandel, wie nun zwei aktuelle Studien zeigen. Beide beruhen auf repräsentativen Befragungen – eine in den USA, die andere in Deutschland. In beiden Ländern liegen die Befragten demnach weit oder sehr weit daneben, wenn sie die Einstellung ihrer Mitmenschen zum Klimaschutz einschätzen.

Wie steht es in den USA beim Klimaschutz?

Die USA gelten als Land der Klimaleugner. Eine umfangreiche Untersuchung der Universitäten Yale und George Mason vom vergangenen Herbst zeigt das Gegenteil. Die Unterstützung für Klimaschutz – vom Ausstieg aus den fossilen Energien bis zum Bau von Radwegen – liegt demnach bei mindestens zwei Dritteln, teilweise sogar bei bis zu 86 Prozent.

Werden die US-Amerikaner:innen dagegen gefragt, ob sie den Klimawandel für eine große Bedrohung für ihr Land einschätzen, wie es das Pew Research Center kürzlich tat, dann stimmen nur 54 Prozent zu – was auch eine Art der Fehleinschätzung ist. In Deutschland sind es 73 Prozent.

Besonders extrem ausgeprägt sind die Fehleinschätzungen in den USA. Der Psychologe Gregg Sparkman spricht von einer "falschen sozialen Realität".

Sparkman ist Juniorprofessor am Boston College und Hauptautor der Studie. Die gut 6.000 US-Amerikaner:innen, die er und sein Team befragt haben, schätzen die Unterstützung ihrer Landsleute für unterschiedliche Klimaschutzmaßnahmen auf lediglich 37 bis 43 Prozent. Tatsächlich sind es aber, je nach Maßnahme, 66 bis 86 Prozent (siehe Kasten).

"Die Befürworter der Klimapolitik sind zwei zu eins in der Überzahl", sagt Sparkman, "doch die Fehleinschätzung macht aus einer Supermehrheit eine Superminderheit."

Laut Studie gilt das für alle Bevölkerungsgruppen – vor allem aber für Konservative. Auch die Mediennutzung spielt eine Rolle: Wer sich bei Medien informiert, die der Klimapolitik eher ablehnend gegenüberstehen, nimmt dies auch in stärkerem Maße von seinen Mitmenschen an.

Die verzerrte Wahrnehmung hat Folgen: Es wird weniger übers Klima gesprochen, ein "Klima des Schweigens" entsteht und die Motivation für klimafreundliches Verhalten sinkt.

"Das ist ein wirklich wichtiger Beitrag, um Klimahandeln beziehungsweise Nicht-Handeln von Menschen besser zu verstehen", sagt der Sozialpsychologe Immo Fritsche gegenüber Klimareporter°. Fritsche, der nicht an der Studie beteiligt war, erforscht an der Universität Leipzig, warum soziale Normen einen so großen Einfluss auf Handeln und Verhalten haben.

Grafik zur Fehleinschätzung bei der Handlungsbereitschaft beim Klimaschutz
Repräsentative Umfrage in Deutschland: Auch hier ist die Wahrnehmungsverzerrung deutlich, wenn auch nicht so stark wie in den USA. (Grafik: aus der PACE-Studie)

Und wie ist es hierzulande? Als die US-Studie im August im Fachjournal Nature erschien, gab es noch keine vergleichbaren Erhebungen für Deutschland. Die Entscheidungsforscherin Mirjam Jenny von der Universität Erfurt und ihr Team haben diese Lücke nun geschlossen. "Wir fanden die Zahlen so brisant, dass wir wissen wollten, wie es bei uns ist", sagt Jenny im Gespräch mit Klimareporter°.

Schon seit Längerem untersucht das Team in der Studie "Planetary Health Action Survey", kurz PACE, die Einstellung der Deutschen zum Klimaschutz (Klimareporter° berichtete). Dafür werden seit Juni monatliche Befragungen durchgeführt – nun auch zu der Frage, was Menschen über die Einstellung ihrer Mitmenschen denken.

Das Ergebnis: Auch die Menschen in Deutschland unterschätzen die Bereitschaft anderer zum Klimaschutz. Die Diskrepanz ist zwar nicht so groß wie in den USA, aber doch erheblich.

Während 73 Prozent der Befragten Maßnahmen unterstützen, schätzen sie, dass nur 65 Prozent ihrer Mitmenschen dies auch tun. Noch deutlicher ausgeprägt ist die Lücke, wenn es um "starke Unterstützung" geht. Dazu bekennen sich 49 Prozent. Doch dem steht die Fehleinschätzung gegenüber, es seien eigentlich nur 31 Prozent (siehe Grafik).

 

"Wir können bislang nur mutmaßen, woher die Diskrepanz kommt", sagt Mirjam Jenny. Ein Grund könnte darin liegen, dass Menschen einfach genauer wissen, wie sie sich selber verhalten, als dass sie andere beobachten können. Auch ihre eigene Einstellung kennen sie besser, über die der anderen können sie nur Vermutungen anstellen.

Mehr über Klimaschutz zu sprechen und zu berichten, könnte den Fehleinschätzungen entgegenwirken – im Alltag und auch in den Medien.

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