Die Farbe ist nicht egal, aber auch nicht das Wichtigste in einem funktionierenden System. (Bild: Kira Black/​Shutterstock)

"Ein schlafender Riese" – so war Ende 2007 ein Interview mit der CDU-Politikerin Tanja Gönner betitelt.

Gönner war zu der Zeit Umweltministerin von Baden-Württemberg. Riesige Potenziale an erneuerbarer Wärmeerzeugung lägen brach, so der Tenor des Interviews.

Die wollte Gönner heben. Wochen vor dem Interview hatte die CDU-geführte Landesregierung in Stuttgart das bundesweit erste Gesetz verabschiedet, das Hausbesitzer verpflichtete, beim Um- oder Neubau erneuerbare Wärmequellen zu nutzen.

Das "Erneuerbare-Wärme-Gesetz" verpflichtete dazu, für Wohngebäude ein Fünftel der Energie für Heizung oder Warmwasser aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, sofern die Gebäude ab April 2008 gebaut oder ihre Heizungsanlagen ab 2010 ausgetauscht werden sollten. Für Sanierungen galt ein Ökoanteil von zehn Prozent.

Unter das Label Erneuerbar fielen damals laut Gesetz Solarkollektoren, Wärmepumpen, Biomasse, Blockheizkraftwerke, Erdwärme und Fernwärme. Ersatzweise konnte auch eine Photovoltaik-Anlage oder eine effiziente Wärmedämmung angerechnet werden.

Das Wärmegesetz gilt inzwischen als Pioniertat. Es sei ein "funktionierendes Beispiel für die politische Gestaltungsmöglichkeit der Länder", meint Volker Kienzlen, Chef der Klimaschutz- und Energieagentur Baden-Württemberg (KEA), heute.

Die Landesagentur leitet Kienzlen seit 2006, er war beim Wärmegesetz quasi live dabei. "Baden-Württemberg begann damals unter einer CDU-Umweltministerin, im Gebäudesektor den Anteil der erneuerbaren Wärme zu steigern", blickt er zurück. Dass damals keines der anderen Bundesländer mitzog, bedauert der Ingenieur noch heute.

2015 wurde das Wärmegesetz durch die dann grün-rote Landesregierung novelliert. 2011 hatte der erste und bisher einzige grüne Ministerpräsident, Winfried Kretschmann, die Regentschaft übernommen – und unter ihm war das "Ländle" wieder vorneweg: 2013 gab sich Baden-Württemberg als eines der ersten Bundesländer ein eigenes Klimaschutzgesetz.

Das jahrelange schwarz-grün-rote Engagement zahlte sich aus. 2014 analysierte eine über 200 Seiten dicke Studie bundesweit sogenannte "Erfolgsfaktoren" für den Ausbau der Erneuerbaren. In der Rangfolge der Bundesländer landete schließlich das damals CSU-alleinregierte Bayern auf Platz eins, gefolgt von Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern. Thüringen und Brandenburg belegten die Plätze vier und fünf.

Das erste Ost-Klimagesetz im "grünen Herz"

Auch das schwarz-rot regierte Thüringen gehörte zu der Zeit zu den Vorreitern bei den Erneuerbaren. Und just auch 2014 begann im selbsternannten grünen Herz Deutschlands die rot-rot-grüne Ära unter dem bisher und wohl auf lange Zeit hin einzigen Ministerpräsidenten der Linken, Bodo Ramelow.

Dessen Dreierkoalition legte Ende 2018 ein Landes-Klimagesetz für Thüringen vor, das erste in einem ostdeutschen Bundesland. Ziel war und ist noch immer, bis 2050 den Ausstoß von Treibhausgasen um 95 Prozent zu senken.

Auf Bundesebene galt 2014 noch immer die schwammige Vorgabe aus einem 2010 beschlossenen Klimaplan. Bis 2050 sollten danach die CO2-Emissionen um 80 bis 95 Prozent sinken. In Berlin herrschte klimapolitischer Stillstand. Erst Mitte 2018 wurde die Kohlekommission eingesetzt.

Anders in Thüringen. Von 2014 bis 2019 habe die links geführte Landesregierung in kurzer Zeit ein gutes Ergebnis hingelegt und einen Rahmen für den Ausbau der Erneuerbaren geschaffen, sagt Ralph Lenkert rückblickend.

Besser als Lenkert kennt kaum jemand die energetischen Verhältnisse im Land und auch im Bund. Er ist Thüringer Bundestagsabgeordneter der Linken und der profilierteste Energiepolitiker seiner Partei.

Zusammen mit Bayern habe Ramelow die Biogasanlagen geschützt, erinnert sich Lenkert heute. Auch habe es Thüringen geschafft, die Bedingungen für die unter Preisdruck geratenen Pumpspeicherwerke so zu ändern, dass diese heute noch existieren.

"Leider bremsten Bundesregelungen größere Erfolge aus", merkt Lenkert weiter an. Die Bürgerenergie sei mit bürokratischen Hürden behindert worden. Nach wie vor erhielten Menschen mit geringen Einkommen zu wenig Unterstützung, um sich an Bürgerenergievorhaben beteiligen zu können, kritisiert der Linke.

In der Folge gelten in Thüringen erneuerbare Energien nicht selten als "westimportiert". Lenkert drückt es freundlicher aus: Etliche Windparkprojekte seien regional nicht genügend verwurzelt, sagt er. Fonds und Energieunternehmen hätten sich dank ihrer Kapitalkraft in einer Art "Windhundrennen" die leicht erschließbaren Flächen für den Windausbau gesichert.

Wer heute in Thüringen Windkraft fördern wolle, müsse deswegen Flächen und Ausschreibungskontingente für regionale Bürgerenergie reservieren, fordert Lenkert.

Im "Ländle" verbessert sich der Ruf der Windkraft

Auch in Baden-Württemberg habe die Windenergie über viele Jahre kein gutes Standing gehabt, räumt Klimaagenturchef Volker Kienzlen ein. "Vor allem im Großraum Stuttgart ist es nicht so einfach, von der Bürgerschaft akzeptierte Standorte zu finden", erklärt er. Sollten dafür dann mehr Windräder im Nordosten Baden-Württembergs stehen, seien die Bewohner in den ländlichen Regionen davon auch nicht begeistert.

Knappe Flächen bedeuten auch steigende Pachtpreise, weiß Peter Ugolini-Schmidt von den Elektrizitätswerken Schönau (EWS). In den letzten fünf Jahren hätten sich die Pachten für Windflächen verdreifacht. Zumindest die Pachtpreise öffentlicher Flächeneigner müssten gedeckelt werden, verlangt der energiepolitische Sprecher des Ökoenergieversorgers.

Ugolini-Schmidt wie auch KEA-Chef Kienzlen nehmen in ihrem Bundesland aber ein Umdenken wahr und kennen auch den Grund: Die Nachfrage der Industrie nach grüner Energie zieht seit ein paar Jahren an. "Eine ganze Reihe von Unternehmen hat eigene Ziele zur Dekarbonisierung und fragt sich schon, woher künftig der grüne Strom kommt", erläutert Kienzlen.

Mehr Druck beim Wind kommt endlich auch vom Bund. Der setzte letztes Jahr das Wind-an-Land-Gesetz in Kraft. Es legt für jedes Bundesland fest, wie viel Landesfläche bis 2032 für Windkraft zu reservieren ist. In Baden-Württemberg sind es 1,8, in Thüringen 2,2 Prozent.

Das brachte zumindest die Landesregierung in Stuttgart auf Trab. Sie richtete eine Taskforce zum beschleunigten Erneuerbaren-Ausbau ein und will die 1,8 Prozent schon 2025 in der Tasche haben.

Dazu sollen unter anderem tausende Hektar Staatswald für Windkraft geöffnet werden. Ministerpräsident Kretschmann will persönlich bei der Bundeswehr für Erneuerbaren-Anlagen in militärischen Gebieten werben.

Ganz anders die Entwicklung in Thüringen. Seit sich Rot-Rot-Grün dort ab 2020 in einer Minderheitsregierung abmüht, ist dort das erneuerbare Feuer mehr oder weniger erloschen.

Sowohl die CDU als auch die FDP in Thüringen haben mit Hilfe der AfD und teilweise auch mit Erpressung den Ausbau der Windenergie gesetzlich erschwert, prangert Lenkert an. Er kritisiert besonders die machtpolitischen Spielchen, mit denen die Thüringer CDU, angeführt vom Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt, mehr Engagement für Klima und Energiewende verhindert.

Länder-Kompetenz zeigt sich im Konfliktmanagement

Für Harald Uphoff unterscheiden sich die Bundesländer vor allem in der politischen Haltung, die die Landesregierungen gegenüber der Energiewende einnehmen, sowie in der jeweiligen öffentlichen Kommunikation. Dies könne die Stimmung in einem Bundesland über Jahre beeinflussen, erklärt der geschäftsführende Vorstand der 100-Prozent-Erneuerbar-Stiftung.

Aus jahrelanger Arbeit in Erneuerbaren-Verbänden weiß Uphoff aber auch: Selbst die beste Dialog- und Prozessbegleitung der Energiewende kann nicht erreichen, dass es vor Ort überhaupt keine Widerstände gibt. "Das kann keine Landesregierung verhindern", sagt er.

Die Länder könnten aber Strukturen schaffen, die einen professionellen Umgang mit Konflikten ermöglichen, betont Uphoff. Gute Beispiele kennt er auch: in Baden-Württemberg das Forum Energiedialog, in Hessen das Bürgerforum Energiewende, in Sachsen die Dialog- und Servicestelle erneuerbare Energien und in Thüringen die Servicestelle Windenergie.

Zählt in einem Land nicht vordergründig die Farbe des Parteibuchs, sondern gibt es ein funktionierendes Energiewende-Netzwerk aus Fachleuten, Politikern und Verwaltungen, kann es auch unter einer Koalition vorangehen, in der die CDU mitregiert.

So geschehen in Baden-Württemberg 2020. In dem Jahr führte das Land eine verbindliche kommunale Wärmeplanung ein. "Das Gesetz verpflichtete die großen Kommunen in Baden-Württemberg, bereits bis Ende 2023 ihre Wärmeplanung abzuschließen", erläutert KEA-Chef Kienzlen. Das haben seinem Eindruck nach die betreffenden Städte auch geschafft.

 

Auf Bundesebene müssen große Kommunen ihre Wärmeplanung erst Ende 2026 fertig haben. Dass man im Südwesten drei Jahre voraus ist, ist für Kienzlen ein weiteres Beispiel für die Spielräume, die Bundesländer in der Energiepolitik haben.

Dabei seien die Länder aber auch von bundespolitischen Rahmenbedingungen abhängig. Kienzlen: "Wenn der Bund blockiert, wie es viele Jahre Praxis war, ist es für die Länder schwierig."

Die Möglichkeiten für eine "Landes-Energiepolitik" hängen auch von der jeweiligen Finanzstärke ab, räumt Harald Uphoff von der 100-Prozent-Erneuerbar-Stiftung ein. Besonders bei der Unterstützung der Industrie in der Transformation kämen Bundesländer schnell an ihre Grenzen. Da gehe es um höhere dreistellige Millionenbeträge, zum Teil auch wie bei Stahl um Milliarden.

Solche Beträge könne ein Bundesland nur im Zusammenspiel mit dem Bund aufbringen, sagt Uphoff. Das sei auch in Ordnung. Immerhin gehe es um gesamtgesellschaftliche Aufgaben.

"Möchten Sie SPD und Grüne links überholen?"

Bei ihrem Interview 2007 war Tanja Gönner, heute Hauptgeschäftsführerin des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), übrigens als Erstes diese Frage gestellt worden: "Sie sind als CDU-Landesumweltministerin Vorreiterin bei einem Gesetz zur erneuerbaren Wärme. Möchten Sie SPD und Grüne links überholen?"

Es gehe ihr nicht um die Frage, ob sie irgendjemanden überhole, sondern um den Inhalt, antwortete Gönner damals. Beim Strom sei man dank Erneuerbare-Energien-Gesetz schon deutlich vorangekommen, so die Ministerin weiter. Wärme aus regenerativen Quellen sei dagegen ein "schlafender Riese", den erst noch geweckt werden müsste. Der "große Sprung" sei da noch nicht geschafft.

Wo stünde Deutschland heute, hätten der Bund und die meisten Länder bei der Energiewende den "Riesen" schon damals erweckt und sich nicht lange Zeit in gegenseitigen Blockaden erschöpft?

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