Ein Eigenheimbesitzer führt seinen Solarstromspeicher vor:
Eigenheimbesitzer schaffen sich Ökostrom-Speicher oft aus Idealismus an, für das erneuerbare Gesamtsystem braucht es aber neue Regeln. (Karikatur: Gerhard Mester; Copyright: SFV/Mester)

Wer Studien über Stromspeicher durchforstet, stößt unweigerlich auf Grafiken mit beinahe perfekten Kurven. Sie zeigen einen zunächst langsamen und sich dann stark beschleunigenden Anstieg des Bedarfs nach Akkumulatoren. Derweil sieht es im wirklichen Leben bisweilen ganz anders aus. Die Trianel-Gruppe, ein Verbund aus Stadtwerken, hat kürzlich bekannt gegeben, dass er das Pumpspeicher-Großprojekt an der Talsperre Schmalwasser im Landkreis Gotha endgültig gestoppt habe. 1,4 Milliarden Euro sollten in den nächsten gut zehn Jahren für eines der größten Pumpspeicherwerke hierzulande verbaut werden. Ein ähnliches Projekt von Trianel in Höxter im Weserbergland wird ebenfalls zu den Akten gelegt.

Auch das vielleicht ehrgeizigste Unterfangen zwischen Rostock und Oberstdorf ist "in den Stand-by-Modus" heruntergefahren worden, so formuliert es ein Sprecher der Firma Durion. Noch vor einem Jahr hatte die örtliche Tageszeitung Nordkurier getitelt: "Nimm das, Tesla-Boss." Durion wollte auf einem früheren Militärgelände in der Nähe von Anklam in Vorpommern die größte Lithium-Ionen-Batterie der Welt bauen – mit einer Leistung von 125 Megawatt.

Bislang hält der Elektroautobauer Tesla den inoffiziellen Weltrekord mit einem stationären 100-Megawatt-Speicher, der in Südaustralien aufgestellt wurde. Einerseits müssten die chinesischen Investoren erst einmal die Investitionssummen bereitstellen können, so der Durion-Sprecher. Von 100 Millionen Euro ist die Rede. Andererseits müssten natürlich auch die Rahmenbedingungen stimmen.

Woher kommt die Diskrepanz, wenn Studien auf die Wirklichkeit treffen? Schon jetzt ist erkennbar, dass der Einsatz von Speichern ein komplexes Unterfangen mit einigen Verwerfungen wird – vor allem wenn es um Großspeicher geht, die langfristig für den Umbau des Energieversorgungssystems unabdingbar sind.

Abgabenregelung erschwert Speicherboom

Das vom Bundesverband Energiespeicher (BVES) seit geraumer Zeit beklagte Grundproblem: Es fehlt in diversen energierechtlichen Regelwerken an einer klaren Definition und Einordnung der Akkumulatoren. Das bedeutet, dass sie aus Sicht von Juristen sowohl als Energieerzeuger als auch als sogenannte Letztverbraucher kategorisiert werden. "Da der Stromverbrauch in Deutschland mit zahlreichen Abgaben und Umlagen belastet wird, hat dies erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit von Speicherprojekten", heißt es in einem Papier des BVES und des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK).

Zwar gibt es zahlreiche Ausnahmeregelungen zur Befreiung von den Abgabenlasten. Doch: "Die Regelungen sind komplex und vom Anwendungsfall bestimmt", so die gemeinsame Stellungnahme. Hinzu kämen Ungereimtheiten in größerer Zahl in den Bestimmungen, sagt eine BVES-Sprecherin.

Auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) sieht "erhebliche Unsicherheiten", die Investitionen hemmen würden. Es gehe immer wieder darum, inwieweit auch für den gespeicherten Strom die Steuern und Abgaben gezahlt werden müssen, die bei Privathaushalten inzwischen mehr als die Hälfte des Strompreises ausmachen. Es werde vor Gerichten gestritten und es gebe eine Reihe von zeitlich befristeten Regelungen, so ein BDEW-Sprecher.

Branche fordert Novellierung der Vorgaben

Extrem kontraproduktiv sei, dass in Pumpspeicherkraftwerken gespeicherter Strom doppelt mit Netzentgelten belastet wird – sie fallen erstens an, wenn elektrische Energie zum Hochpumpen von Wasser benutzt wird, und zweitens, wenn der aus Wasserkraft erzeugte und wieder ins Netz eingespeiste Strom verbraucht wird. Die Belastung mache Pumpspeicherkraftwerke unrentabel, obwohl sie für die Energiewende dringend gebraucht würden.

Deshalb werden in der Energiebranche Forderungen immer lauter, dass die Bundesregierung die Abgabenlasten für Speicherbetreiber verringert. Im Fall der Pumpspeicher etwa, indem das Betreiben der Pumpen, die das Wasser nach oben befördern, nicht mehr als "Letztverbrauch" eingestuft und damit von den Netzentgelten befreit wird. Mit dem ins Tal stürzenden Wasser der Pumpspeicher kann über viele Stunden bis zur Dauer von einem Tag Strom mit enorm hoher Leistung erzeugt werden, um eine Flaute und bedeckten Himmel auszugleichen.

Dafür taugen auch Lithium-Ionen-Speicher. Wobei es nicht unbedingt die 100 Megawatt plus X wie bei Durion sein müssen. Dutzende Groß-Akkus in der Fünf-bis-zehn-Megawatt-Klasse sind in den vergangenen zwei Jahren entstanden. Da sie sehr schnell zu- und abgeschaltet werden können, werden sie derzeit für die sogenannte Primärregelleistung eingesetzt. Diese dient dazu, kurzfristige Schwankungen im Netz auszugleichen. Allerdings habe, so der BDEW-Sprecher, auf diesem Markt ein massiver Preisverfall – ausgelöst just durch den schnellen Zubau von Batterie-Kapazitäten – in jüngster Zeit für einige Ernüchterung gesorgt.

Gleichwohl: "Wir kommen in eine speicherintensive Zeit hinein", sagt Felix Matthes, Forschungskoordinator für Energie- und Klimapolitik beim Öko-Institut. "Das wird aber wahrscheinlich erst der Fall sein, wenn wir uns dem Jahr 2030 nähern", fügt er hinzu.

Nach Hochrechnungen des europäischen Energiespeicher-Verbands Ease wird der Bedarf in den nächsten zwölf Jahren kontinuierlich wachsen. Allerdings ist die Spannbreite beim Volumen extrem groß. Sie schwankt nach den Projektionen der Ease-Experten für die EU zwischen knapp 50.000 und rund 130.000 Megawatt. Und in den folgenden Jahren geht die Schere dann immer weiter auf. Maximal gut 200.000 Megawatt könnten es 2050 sein.

Immer mehr dezentrale Solarspeicher

Trotz großer Unsicherheiten – für Matthes ist zumindest eine Art Roadmap klar: "Der Hochlauf der Speichertechnologien wird über die einzelwirtschaftlichen Modelle organisiert." Er meint damit kleine Lösungen für Eigenheime. Photovoltaik auf dem Dach plus Batterie im Keller – das werde zu einem Konsumgut, und das sei nicht mehr aufzuhalten.

Nach einer gerade vorgelegten Studie der RWTH Aachen wurden im vorigen Jahr rund 31.000 neue dezentrale Akkus installiert. Ihre Gesamtzahl bundesweit sei damit auf etwa 85.000 gestiegen. Jeder zweite Hauseigentümer, der sich eine neue Solaranlage kauft, nimmt inzwischen die Batterie gleich mit dazu. Das macht es möglich, dass die Betreiber in der Regel etwa die Hälfte des gesamten Strombedarfs mit der selbstgemachten Elektrizität abdecken können.

Wobei die Autoren der RWTH-Studie betonen, dass diese Teilautonomie großenteils von Idealisten, die die Energiewende unterstützen wollen, und von Technikfans praktiziert wird. "Renditeerwartungen" spielten bei knapp der Hälfte der Investoren keine Rolle.

Nur so lässt sich die steigende Nachfrage erklären. Denn: "Stromspeicher für Eigenheimbesitzer mit Photovoltaikanlagen sind noch kein Gewinnmodell", sagt Peter Schossig vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) in Freiburg. Dafür sind die Aufwendungen für die Batterie noch zu hoch.

Der Akku kostet laut RWTH-Studie derzeit im Schnitt 10.000 Euro und verfügt über eine Kapazität von acht Kilowattstunden. Wobei sich die Preise seit 2013 nochmals halbiert haben. Sie liegen zurzeit bei 1.300 Euro pro Kilowattstunde, inklusive Mehrwertsteuer und der Elektronik für die Steuerung.

Weitere Preissenkungen sind programmiert. "Wir kommen der Schwelle für einen lukrativen Betrieb immer näher", sagt Fraunhofer-Experte Schossig. Sie könne schon innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre erreicht werden.

Was den Speicherboom antreibt

Treiber dieser Entwicklung ist die Elektromobilität. Denn sowohl in den stationären Eigenheim-Speichern als auch in Elektroautos werden weitgehend identische Lithium-Ionen-Akkus eingesetzt. Um deren Produktion hochzufahren, sind Dutzende sogenannter Gigafactorys entweder schon in Bau oder in Planung, auch in Europa.

So geht die Unternehmensberatung Roland Berger davon aus, dass sich der globale Absatz bis 2025 mehr als verzehnfacht. In Europa würden dann Lithium-Ionen-Batterien mit einer Gesamtkapazität von rund 200 Millionen Kilowattstunden gefertigt – womit sich etwa vier Millionen Elektro-Pkw ausstatten ließen. Allein diese gigantische Ausweitung der Mengen wird die Batterien erheblich billiger machen. Technische Fortschritte kommen hinzu. Eine weitere Halbierung der Herstellungskosten wird spätestens für 2025 erwartet.

Als positive Nebenwirkung wird das auch die Keller-Speicher erheblich billiger und zu einem Produkt machen, das womöglich eines Tages auch im Baumarkt erhältlich sein wird. Oder beim Autohändler. Tesla vermarktet stationäre Speicher für Eigenheime schon länger als "Powerwall". Viele andere Autobauer wollen das im Zuge ihrer E-Strategien nachmachen.

Treten diese Szenarien ein, wird eine teil-autonome Stromversorgung ein Massenphänomen. "Wir erwarten, dass wir in einem Extremszenario bis zu 15 Prozent des Stromverbrauchs durch dezentrale Eigenverbrauchslösungen abdecken können", erläutert Matthes.

Doch das wird nur ein Mosaikstein sein. "Wir werden letztlich eine Mixtur, ein 'Ökosystem' aus allen möglichen Speicherlösungen sehen", betont Matthes. Auch Pumpspeicher gehören dazu – allerdings mit stark begrenzten Potenzialen wegen der natürlichen Gegebenheiten: Es braucht Berge.

Daneben sind große Batteriespeicher trotz der aktuellen Rückschläge keine Science Fiction. Sie können neben Kraftwerken, Windparks oder neben künftigen Schnellladestationen für Autos installiert werden, um Schwankungen bei der Stromerzeugung auszugleichen, die durch den Ausbau der Erneuerbaren zunehmen.

Fraunhofer-Experte Schossig geht davon aus, dass diese Puffermechanismen mittels kurzzeitiger Speicher tragen werden, bis ein Anteil der Erneuerbaren im Strommix von etwa 80 Prozent erreicht ist. Wenn es darüber hinausgehe, werde ein stark wachsender Anteil von Langzeitspeichern erforderlich, um die berühmten Dunkelflauten im Winter zu überbrücken.

Politik muss Grundlagen schaffen

Schossigs Kollegen vom Fraunhofer-Institut für System-und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe gehen davon aus, dass in den späten 2030er Jahren neben Batterien der Einsatz der Elektrolyse massiv an Bedeutung gewinnen wird. Mit Ökostrom wird dabei Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Dieser könne dann für den Einsatz in Brennstoffzellenfahrzeugen und in der chemischen Industrie eingesetzt werden, so Schossig. Aber: "Bis es zur Rückverstromung kommt, ist der Weg noch weit."

Die Szenarien laufen darauf hinaus, dass eines Tages nicht mehr Erdgas, sondern Wasserstoff und/oder synthetisches Methan in gigantischen unterirdischen Kavernen gespeichert wird – als Brennstoff für Gaskraftwerke, was die nach aktuellem Stand aufwendigste Methode ist, um Null-Emissions-Strom zu erzeugen.

Die alles entscheidende Frage, wann sich welche Speichertechnologie mit welcher Mächtigkeit durchsetzen wird, ist zwar im Voraus schwer zu beantworten – allen Grafiken mit ihren Exponentialkurven zum Trotz. Aber sicher ist: Die Folgen für das Energiesystem und dessen Akteure sind schon in der ersten Phase – dem Boom der Kellerbatterien – weitreichend – würde doch die Einnahmebasis von Stadtwerken und von Betreibern großer fossiler Kraftwerke erschüttert, weil sie zumindest nach dem Extremszenario des Öko-Instituts damit rechnen müssen, künftig um die 15 Prozent weniger Strom abzusetzen.

Das bedeutet aber auch: Die im Strompreis enthaltenen Steuern und Abgaben müssten auf deutlich weniger Schultern als bislang verteilt werden. Das dürfte heftige Diskussionen über einen Umbau des Abgabensystems beim Strom auslösen. Bei den Netzentgelten wird seit Jahren darüber diskutiert, sie auf eine andere Grundlage zu stellen.

So macht Matthes sich dafür stark, dass nicht mehr nach der Menge des verbrauchten Netzstroms, sondern nach der abgerufenen Leistung abgerechnet wird. Denn dies würde bedeuten, dass Haushalte, die sich zu großen Teilen selbst versorgen, aber dennoch im Winter Netzstrom benötigen, einen relativ höheren Beitrag zu den Netzentgelten zahlen müssten, was wiederum die übrigen Haushalte, die auf Strom aus dem Netz komplett angewiesen sind, entlasten würde.

Für den Experten vom Öko-Institut müssen darüber hinaus neue Mechanismen entwickelt werden, die das Einspeisen von Strommengen ins Netz regulieren.

Ein Beispiel: Man stelle sich vor, an einem heißen Sommertag kommt gegen Abend heftiger Wind auf. Die Rotoren der modernen Mühlen drehen sich auf hohen Touren und pumpen riesige Mengen elektrische Energie ins Netz. Zugleich aber geht die private Nachfrage in den Keller, weil Millionen hausinterne Batterien den Sonnenstrom, den sie tagsüber eingespeichert haben, nun abgeben wollen.

Matthes jedenfalls geht davon aus, dass das System so komplex wird, dass man eine "Steuerung über Preissignale" braucht. Eigenheim-Besitzern könnte kostenloser Netzstrom für ein oder zwei Stunden offeriert werden, um sie zu veranlassen, das Ausspeichern des selbstgemachten Sonnenstroms auf den nächsten Vormittag zu verschieben. Der Effekt: Es ließe sich vermeiden, Windräder vom Netz abzuklemmen.

Dies setzt allerdings flexible Strompreise voraus. Auch dafür muss die Politik erst einmal die Grundlagen schaffen.

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