Der von der Kohlekommission vorgezeichnete Kohleausstieg zerfällt in zwei große Teile: zum einen in Regelungen, wann und wie die Kraftwerke vom Netz gehen; zum anderen in Regelungen, wie die davon betroffenen Regionen in Ost und West beim Strukturwandel unterstützt werden.
Über die konkreten Abschaltpläne, vor allem für die Braunkohlekraftwerke, haben die Verhandlungen zwischen Bundesregierung und Kraftwerksbetreibern gerade erst begonnen.
Mehr Tempo machen Bund und Länder dabei, die auch von der Kohlekommission vorgeschlagenen 40 Milliarden Euro auf den Weg zu bringen, die in den nächsten 20 Jahren in die Regionen fließen sollen, wo derzeit etwa noch 38.000 Megawatt Braunkohle- und Steinkohlekraftwerke laufen.
Dass das Kabinett dafür aber heute schon ein Gesetz beschlossen hätte, wie manche Medien meldeten, stimmt so nicht. Verabschiedet wurden erst einmal nur Eckpunkte für ein "Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen". Den Entwurf für die gesetzlichen Regelungen selbst – vor allem für ein spezielles Investitionsgesetz – will das Wirtschaftsministerium jetzt rasch vorlegen und bis zur Sommerpause beschließen lassen.
Weil die Länder einem Teil der Regelungen zustimmen müssen und der Bundesrat vor dem Sommer am 28. Juni letztmalig tagt, müsste die Vorlage fürs Gesetz also in den Tagen davor durch den Bundestag geschleust werden.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) kündigte heute für den Herbst die Vorlage des Kohleausstiegsgesetzes an. Für dieses wie auch für das "Strukturstärkungsgesetz" soll dann der endgültige Zeitpunkt des Inkrafttretens nach seinen Worten auf Anfang kommenden Jahres datieren.
Auf jeden Fall wolle man mit einigen Projekten sogleich beginnen, damit die "Kampagnen, die es von einigen populistischen Parteien am rechten und linken Rand gibt, in sich zusammenbrechen wie ein Kartenhaus" – so Altmaier wörtlich.
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) warnte heute ebenfalls: "Das Gesetz muss jetzt zügig auf den Weg gebracht werden. Weitere Verzögerungen würden die Menschen in den Revieren verunsichern" – besonders vermutlich bei der Landtagswahl in Brandenburg Anfang September, also gleich nach der Sommerpause.
Wer am Ende wirklich zahlt, ist noch nicht klar
Von den 14 Milliarden, die das Investitionsgesetz regelt, erhalten Brandenburg und Sachsen jeweils ein Viertel, Sachsen-Anhalt rund ein Achtel und Nordrhein-Westfalen knapp 40 Prozent. Damit können die Länder vor allem ihre "Leuchtturm-Projekte" realisieren.
Über diese Hilfen hinaus verpflichtet sich der Bund laut den Eckpunkten, weitere Maßnahmen zugunsten der Braunkohleregionen mit einer "Zielgröße von bis zu 26 Milliarden Euro bis spätestens 2038 zu ergreifen, auszubauen oder fortzuführen".
So ein 20-Jahres-Horizont kollidiert natürlich mit den üblichen Fristen der Finanzplanung in Bund und Ländern. Ausdrücklich sichert der Bund deswegen den Kohleregionen nur 500 Millionen Euro pro Jahr bis 2021 für regionale Strukturpolitik und Strukturwandel zu, darunter die Soforthilfen von 240 Millionen Euro.
Wie die Gelder darüber hinaus aufgebracht werden sollen, in welchem Umfang Ministerien ihren eigenen Etat anzapfen müssen oder inwieweit sich die Länder beteiligen müssen oder sollen, das bleibt noch recht unklar. In den Eckpunkten heißt es dazu etwas nebulös: Der Bund unterstreiche die "Relevanz der gesamtgesellschaftlichen Herausforderung des durch den Ausstieg aus der Kohleverstromung bedingten Strukturwandels auch über das Jahr 2021 hinaus, indem die zuständigen Ressorts zur Deckung der Ausgaben für die in diesem Gesetz benannten Maßnahmen der Strukturstärkung auch zukünftig zusätzliche Verstärkungsmittel aus dem Gesamthaushalt erhalten werden".
Soll wohl heißen: Wenn der Etat des jeweils zuständigen Ministeriums nicht ausreicht, könnte es aus dem Bundeshaushalt einen Extra-Zuschuss geben.
Betonlastige Wunschliste
Ausgeräumt ist in den Eckpunkten vorerst der Streitpunkt zwischen Bund und Kohleländern, ob Letztere die Gelder auch für sogenannte "nichtinvestive Maßnahmen" verwenden können, also für Kulturelles, für regionale Identitätsbildung oder kommunales Leben. Die Bundesregierung dürfe "auch konsumtive Ausgaben selektiv fördern", heißt es jetzt. Möglich soll auch eine Förderung im Rahmen des Hochschulpaktes sein.
Im Abschlussbericht der Kohlekommission hatten die betroffenen Länder eine riesige Wunschliste mit Projekten in den Bereichen Infrastruktur, Forschung und Wirtschaftsförderung untergebracht. Die finden sich vielfach in den Eckpunkten wieder.
Im Rahmen der 14 Milliarden sagt der Bund hier zu, eine Förderung dieser "prioritären Projekte" der Länder bereits in den nächsten fünf Jahren mit 2,6 Milliarden Euro für Nordrhein-Westfalen, 1,9 Milliarden für Brandenburg, 1,8 Milliarden für Sachsen und 860 Millionen Euro für Sachsen-Anhalt in Betracht zu ziehen.
In der "Wunschliste" der Länder finden sich nicht nur die bekannten Ausbauvorhaben bei Schiene und Autobahnen wie der sechsspurige Ausbau der Autobahnen von Berlin in Richtung Cottbus, sondern beispielsweise auch die "Errichtung einer Veranstaltungs- und Wettkampfstätte für internationale Großereignisse" in Leipzig. Angesichts der begrenzten Mittel darf man sich schon jetzt vorstellen, wie einzelne Regionen und Kommunen die aus ihrer Sicht besonders "prioritären" Vorhaben gegenüber ihrer Landesregierung durchsetzen.
Ob man mit dieser betonlastigen "Wunschliste" auch in eine "moderne nachhaltige Energiewirtschaft" in den Regionen einsteigt, wie Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) behauptet, kann man bezweifeln.
Bundeshilfen auch für Niedersachsen und Bayern
In den Eckpunkten gehen auch die Nicht-Kohleländer keineswegs leer aus. So wird die Bundesregierung den niedersächsischen Landkreis Helmstedt – da wurde 2016 einer der ältesten Braunkohlemeiler im Rahmen der "Sicherheitsbereitschaft" abgeschaltet – mit bis zu 90 Millionen Euro unterstützen.
Gegenüber einem früheren Entwurf der Eckpunkte können jetzt auch die Steinkohle-Standorte mit Geld rechnen. Wenn der Steinkohlesektor in einem Landkreis zu mehr als 0,2 Prozent der Wirtschaftsleistung beiträgt und dieser als "strukturschwach" gilt, können dort Projekte mit bis zu einer Milliarde Euro unterstützt werden. Dennoch bleibe das Papier bei der Steinkohle "zu vage", kritisiert die Chefin des Verbandes Kommunaler Unternehmen (VKU), Katherina Reiche.
Nicht zuletzt schneidet sich auch der Süden Deutschlands ein Stück Kuchen beim Kohleausstieg ab. Um dort die Netzsicherheit zu garantieren, sollen bis 2022 in Süddeutschland 1.200 Megawatt neue Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung gebaut werden. Damit diese Gas-KWK-Anlagen rentabel werden, soll ihr Ausbau mit einem sogenannten Kapazitätsbonus zusätzlich gefördert werden.
Dass sich Bayern, wo überhaupt nur noch drei kleinere und zwei mittlere Steinkohlekraftwerke laufen, so auch noch Bundeshilfen im Rahmen des Kohleausstiegs sichert, muss als besondere lobbyistische Leistung gewürdigt werden.
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