13 Wochen sind vergangen, seit die Kohlekommission ihren 336 Seiten starken Abschlussbericht vorgelegt hat. Damals war die Erleichterung groß, als das Gremium mit Vertretern aus Politik, Industrie, Wissenschaft und Umweltverbänden sich zu einer Einigung durchgerungen hatte. Zwar ist keiner mit dem Kompromiss, die Kohleverstromung bis spätestens 2038 auslaufen zu lassen, zufrieden. Für Umweltschützer ist das viel zu spät, die Kraftwerksbetreiber hätten ihre Blöcke gern noch länger laufen lassen. Aber alle können mit dem Ergebnis irgendwie leben.
Allerdings: Seither ist in Sachen Kohleausstieg nicht viel passiert.
Zunächst wollte die Bundesregierung bis Ende April einen Aufschlag machen. Doch statt den Ausstieg in Angriff zu nehmen, will sie sich – vor allem auf Druck der Kohle-Länder Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Brandenburg – zuerst um die versprochenen Hilfen für den Strukturwandel kümmern. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat ein Gesetz über Maßnahmen in den betroffenen Regionen bis zum Mai versprochen. Das Gesetz ist derzeit im Entstehen, es soll die Strukturhilfen regeln, bei denen es um Investitionen in die Infrastruktur, Anreize für Unternehmen und die Ansiedlung von Bundesbehörden geht.
Die Gesetzgebung zu den Kraftwerken soll dann zum Jahresende stehen. Doch das Bundeswirtschaftsministerium unter Peter Altmaier (CDU) kommt einfach nicht vom Fleck. "Die Verhandlungen um den Kohleausstieg verlaufen schleppend", sagt Karsten Smid, Energieexperte der Umweltorganisation Greenpeace. Was vor einigen Wochen noch als selbstverständlich gegolten habe, werde wieder in Frage gestellt.
Dreistufiger Fahrplan für Kohleausstieg
Um den Druck auf die Politik zu erhöhen, haben Greenpeace und die Umweltrechtsorganisation Client Earth nun einen gemeinsamen Gesetzentwurf für den Kohleausstieg vorgelegt. Das Papier orientiert sich an dem Abschlussbericht der Kohlekommission und sieht wie dieser einen dreistufigen Fahrplan für den Kohleausstieg vor.
Demnach sollen bis Ende 2022 sieben Braunkohle-Kraftwerke mit einer Kraftwerksleistung von insgesamt 3.200 Megawatt in Nordrhein-Westfalen vom Netz gehen. Das soll ermöglichen, dass der Hambacher Forst – wie auch von der Kohlekommission gewünscht – erhalten bleibt. Weiterhin sollen zwölf Steinkohle-Kraftwerke mit einer Gesamtleistung von 7.900 Megawatt abgeschaltet werden. Für letztere sind Ausschreibungen geplant.
Weil die ersten Kraftwerke noch in diesem Jahr stillgelegt werden sollen, sollen diese Abschaltungen ordnungsrechtlich entsprechend einer Abschaltliste geregelt werden. "Weil die Zeit bis 2022 drängt, ist hier eine scharfe gesetzliche Vorgabe unerlässlich", sagt Rechtsanwältin Roda Verheyen, die den Gesetzentwurf erarbeitet hat. Der Abschaltplan orientiert sich an Kriterien wie Alter oder CO2-Ausstoß des Kraftwerks.
Auch für die darauffolgenden Phasen nach 2022 sieht das Gesetz einen Abschaltplan vor – jedoch ohne konkretes Datum. Insgesamt 8.000 Megawatt Braunkohle und 13.000 Megawatt Steinkohle sollen Kraftwerk für Kraftwerk vom Netz gehen. Können sich Politik und Kraftwerksbetreiber allerdings auf freiwillige Stilllegungen einigen, dürfen sie von dem vorgelegten Plan abweichen.
Dem Anschein nach bevorzugt es das Bundeswirtschaftsministerium, sich mit den Energiekonzernen einigen. Doch bislang gab es nur Auftaktgespräche. "Unabhängig von den Verhandlungen zwischen Wirtschaftsministerium und Energiekonzernen muss noch dieses Jahr ein Gesetz für den Kohleausstieg erlassen werden", sagt Hermann Ott von Client Earth. Weil die Zeit dränge, gebe es deshalb keine Entschuldigungen mehr für Nichtstun. Noch vor der Sommerpause solle das Ministerium seinen Gesetzentwurf präsentieren.
Auch die Opposition im Bundestag ist mit dem Tempo der Regierung in Sachen Kohleausstieg unzufrieden. "Dass die Bundesregierung immer noch keinen eigenen Gesetzentwurf vorgelegt hat, kann nur ihrem politischen Unwillen zugeschrieben werden", kritisieren Lisa Badum und Julia Verlinden von der Grünen-Fraktion. Doch die Folgen der Klimakrise würden nicht warten. Es sei höchste Zeit zum Handeln.
Entschädigungen nur in Ausnahmefällen
Für die dritte Phase ab 2027 kann die Bundesregierung laut dem Gesetzesvorschlag der Verbände noch bis 2024 Regelungen erarbeiten. Ein konkretes Ende für die verbleibenden 10.400 Megawatt Braunkohle und 9.800 Megawatt Steinkohle wird nicht vorgegeben – auch weil die in der Kohlekommission beteiligten Umweltverbände mit dem späten Aus für den Kohlestrom im Jahr 2038 unzufrieden waren und hoffen, dass die Politik so noch ehrgeiziger abschalten könnte.
Entschädigungen für Kraftwerks- oder Tagebaubetreiber sind dabei nur in Ausnahmefällen vorgesehen – etwa wenn der Kohle-Industrie nur kurze Übergangsfristen gewährt werden, weil ein Dorf erhalten bleiben soll. Schon im Oktober vergangenen Jahres war auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu dem Schluss gekommen, dass eine "gesetzlich angeordnete Stilllegung von Kohlekraftwerken grundsätzlich auch ohne Entschädigungsleistung möglich ist".
Dass das Wirtschaftsministerium auch zackig kann, hatte es unlängst erst bei der Novellierung zweier Energie-Verordnungen gezeigt. Dabei ging es allerdings nicht um das Ende fossiler Rohstoffe, sondern um die Begünstigung von Flüssigerdgas-Importen aus gefracktem US-Erdgas. Innerhalb kürzester Zeit wurden bestehende Vorgaben für den Bau von sogenannten LNG-Terminals geändert.