Immer mehr Firmen entwickeln eigene Emissionsziele und Strategien, um ihre Treibhausgas-Emissionen und damit ihren Beitrag zur globalen Erwärmung zu verringern. Eine Gruppe von Unternehmen, die null Emissionen bis 2050 erreichen wollen, verzeichnete bei der UN-Klimakonferenz im Dezember in Madrid 177 Mitglieder, nach eigener Aussage mit mehr als 5,8 Millionen Beschäftigten.
Ihre Vorhaben zur CO2-Einsparung werden von der Initiative Science Based Targets, einem Zusammenschluss von Umweltorganisationen, dahingehend überprüft, ob sie aus wissenschaftlicher Sicht mit dem Pariser Klimaabkommen im Einklang sind. Jüngstes Beispiel in Deutschland für den Trend zum Klimaziel ist der Pharma- und Agrarchemiekonzern Bayer, der gerade verkündet hat, durch mehr Energieeffizienz und Ökostrom bis 2030 CO2-neutral werden zu wollen.
Ob die Bemühungen der Unternehmen wirklich für das 2015 in Paris vereinbarte Ziel ausreichen werden, die Erwärmung der Erde auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad zu begrenzen, lässt sich bislang nur schlecht abschätzen. Doch ein neues Werkzeug könnte hier für mehr Transparenz und Vergleichbarkeit sorgen.
Das Beratungsunternehmen Right Based on Science in Frankfurt am Main hat ein Modell entwickelt, um die Klimawirksamkeit eines Unternehmens zu berechnen, und zwar anschaulich in Grad Celsius. Die ermittelten Temperaturwerte zeigen an, wie stark sich die Atmosphäre erhitzen würde, sollten alle Unternehmen so emissionsintensiv wirtschaften wie das analysierte. Und zwar schon bis 2050 – nicht bis 2100 wie beim Paris-Ziel.
Fünf Grad wärmer bis 2050
Für eine Beispielstudie hat das Klimadaten-Start-up die Werte der 30 Konzerne aus dem Deutschen Aktienindex (Dax) errechnet. Der ernüchternde Befund: Die meisten der deutschen Großkonzerne schneiden in Sachen Klimaschutz schlecht ab. Zwischen dem Spitzenreiter Deutsche Telekom (1,56 Grad) und dem Schlusslicht RWE (13,82 Grad) ergibt sich im Durchschnitt für die Dax-Konzerne eine rechnerische Erderwärmung um 4,94 Grad, sollten sie unverändert wirtschaften.
Das verwendete X-Degree-Compatibility-Modell (XDC) berechnet den Einfluss eines Unternehmens auf das Klima bis 2050, basierend auf den Emissionsdaten von 2017. In der Studie werden zwei Szenarien betrachtet: ein Basisszenario, das vom Status quo ausgeht, und ein Maßnahmen-Szenario, bei dem jeder Konzern seine selbst gesteckten Klimaziele erreicht.
Die Rechnung basiert auf den jeweiligen Konzern-Emissionen in Bezug zur Bruttowertschöpfung, multipliziert mit einem Faktor für die Klimawirksamkeit. Dieser ergibt sich aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, welche Temperaturerhöhung durch bestimmte Mengen an ausgestoßenen Klimagasen zustande kommt.
In die Berechnungen gehen dabei nicht nur die direkten Emissionen ein, die von den Unternehmen selbst kommen, sondern auch indirekte, etwa aus der Erzeugung zugekaufter Energie und aus vor- und nachgelagerten Lieferketten.
Die Ergebnisse werden Emissionsgrenzen gegenübergestellt, die die Konzerne laut der jährlich erscheinenden Publikation "Energy Technology Perspectives" der Internationalen Energieagentur IEA für eine maximale Erwärmung auf 1,75 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts einhalten müssen.
Nur jeder vierte Dax-Konzern auf Kurs
Zusätzlich zu ihrem regulären Zwei-Grad-Szenario hat die IEA darin 2017 das optimistischere "Beyond 2 Degrees Scenario" veröffentlicht, in dem der Energiesektor 2060 klimaneutral ist und der Temperaturanstieg bis 2100 auf besagte 1,75 Grad begrenzt wird. Dafür sollen allerdings auch umstrittene Technologien angewandt werden, von denen noch gar nicht klar ist, ob und wann sie im notwendigen Ausmaß zur Verfügung stehen, wie die CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS).
Basierend auf Daten des Weltklimarats IPCC hat die IEA auch spezifische Ziele für einzelne Wirtschaftssektoren berechnet. Damit soll berücksichtigt werden, dass sich Pharma-, Energie- oder Software-Firmen schlecht über Branchengrenzen vergleichen lassen und dass nicht in allen Wirtschaftsbereichen gleich starke Emissionsminderungen möglich sind. Den energieintensiveren Firmen wird dabei ein größeres Budget zugestanden.
Von den 30 Dax-Konzernen würden laut der Right-Based-on-Science-Studie nur sieben schaffen, ihr entsprechendes Sektorenziel auch ohne weitere Maßnahmen zu erreichen (siehe Grafik). Dazu gehören die Deutsche Börse und der Halbleiterhersteller Infineon.
Sektorbonus rettet RWE nicht
Dagegen gehören RWE, Heidelberg Cement und Eon zwar zu Branchen, die gemäß der Modellrechnung deutlich mehr zur Temperaturerhöhung beitragen dürfen als andere Firmen. Trotzdem liegen ihre Emissionen auch mit geplanten Klimamaßnahmen weit oberhalb der laut IEA zulässigen Werte.
Im Fall von RWE würde die Welt bis 2050 selbst mit den aktuellen Konzernzielen immer noch um 9,5 Grad heißer werden, wenn alle Firmen den gleichen CO2-Ausstoß hätten – während die IEA dem Energiesektor 5,17 Grad zugesteht.
Bei RWE ist die Lücke am größten, der Energieriese ist jedoch nicht allein: Bei zwei Dritteln der Konzerne werden die offiziell geplanten Maßnahmen nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf das IEA-Limit zu begrenzen. Nur in elf Fällen werden die Maßgaben der IEA eingehalten, meist knapp. Gut schneiden mit ihren Maßnahmen die Allianz (1,5 Grad), die Deutsche Telekom (1,52) und der Softwarekonzern SAP (1,38) ab.
Fünf Dax-Unternehmen haben bislang keine Klimaziele formuliert: Adidas, Vonovia, Wirecard, Fresenius und Fresenius Medical Care (FMC). Die beiden Fresenius-Konzerne erreichen aber unabhängig davon ihre Sektorenziele. Die Deutsche Post und Beiersdorf liegen zwar über der Zwei-Grad-Marke, aber noch unter den sektorenspezifischen Grenzen. Auch Bayer (1,8 Grad) überschritt den Branchenzielwert von 1,4 Grad, das neue Unternehmensziel ist darin aber noch nicht eingeflossen.
Die Konzerne müssten ihre Geschäftsmodelle also grundlegender überarbeiten. Im Grunde haben sie auch gar keine Wahl, wenn sie künftig noch Gewinne machen wollen: Entweder konsequenter Klimaschutz wird zum Muss, und zwar nicht erst in 20 Jahren. Oder die Erde erhitzt sich über das verkraftbare Maß hinaus, mit schweren Folgen auch für die Wirtschaft.