Blick vom Alsumer Berg auf die Kokerei Schwelgern und das Hochofenwerk Schwelgern.
Thyssen-Krupp gehört zu den mehr als 700 Unternehmen, die sich "wissenschaftsbasierte" Klimaziele gesetzt haben. (Foto: Rainer Halama/​Wikimedia Commons)

Das Paris-Abkommen verpflichtet Staaten dazu, sich Klimaziele zu setzen. Ob diese Ziele gemäß dem Wissensstand der Klimawissenschaften ausreichen, um die Erwärmung auf "deutlich unter zwei Grad" oder sogar auf 1,5 Grad zu begrenzen, wird allerdings nicht offiziell geprüft.

Anders ist das bei Firmen, die sich der Initiative für "Wissenschaftsbasierte Ziele" anschließen – englisch "Science-Based Targets" (SBT). Dabei wird geprüft, ob die Unternehmensziele den Zielen des Paris-Abkommens genügen.

Dabei kann es zu Überraschungen kommen. So erzählt Jeff Turner vom niederländischen Chemiekonzern DSM: "Wir waren überrascht und besorgt, als wir gemerkt haben, dass unsere alten Ziele völlig unzureichend waren. Erst herrschte Ungläubigkeit, dann Akzeptanz und schließlich Entschlossenheit, einen glaubwürdigen Weg zu finden, um die nötigen Emissionsminderungen zu erreichen."

Mittlerweile haben sich 714 Firmen weltweit solche wissenschaftsbasierten Ziele gesetzt, und die Ziele von 285 Firmen wurden schon als ausreichend zertifiziert, darunter viele Großkonzerne. Auch deutsche Konzerne wie Daimler, Telekom oder Bayer sind dabei.

Bei den zertifizierten Firmen liegen die direkten Emissionen ("Scope 1") und die aus dem Energieverbrauch ("Scope 2") bei insgesamt 752 Millionen Tonnen pro Jahr. Das ist mehr, als Frankreich und Spanien zusammen verursachen.

Wirkung erzielen aber vor allem die Firmen, die auch die Emissionen einbeziehen, die bei ihren Lieferanten und bei der Verwendung ihrer Produkte entstehen ("Scope 3"). Die Reduktion dieser Emissionen ist schwierig, birgt aber das größte Potenzial, weil dadurch eine "Klimaschutz-Kaskade" in Gang kommt.

"Die Politiker müssen handeln"

Ron van der Akker von DSM erläutert: "Unsere Lieferanten müssen mit ihren Lieferanten reden und die müssen mit ihren Lieferanten reden und so weiter." Insgesamt kommen die SBT-zertifizierten Unternehmen zusammen mit ihren Lieferketten auf CO2-Emissionen von 3,9 Milliarden Tonnen. Das entspricht rund 90 Prozent der EU-Emissionen.

Es geht aber nicht nur um die Lieferketten, sondern auch um die Vorgaben der Politik. Diese schrecke aus Angst, der Wirtschaft zu schaden, oft vor ehrgeizigen Maßnahmen zum Klimaschutz zurück, sagt Claus Stig Pedersen vom dänischen Biotechkonzern Novozymes. "Die armen Politiker müssen gezeigt bekommen, dass die Firmen bereit sind."

Gleichzeitig haben die SBT-Unternehmen aber auch klare Forderungen an die Regierungen. "Keiner von uns kann das Paris-Abkommen ohne deutliche Änderungen der Regierungspolitik einhalten", erklärt Jeff Turner von DSM. "Das beginnt mit einem aussagekräftigen CO2-Preis."

Dann kommt als zweite Forderung sauberer Strom. "Die Politiker müssen handeln", sagt Henrik Sundström vom schwedischen Küchengerätehersteller Electrolux. "Letztlich hängen wir von einem CO2-freien Stromangebot ab."

Es gibt aber auch branchenspezifische Regulierungswünsche. Beim Recycling von Beton besteht die Möglichkeit, den Altbeton mit CO2 anzureichern. Peter Lukas vom deutschen Zementhersteller Heidelberg Cement fordert: "Es sollte eine Vorschrift geben, dass Recycling-Beton mit CO2 angereichert werden muss, bevor er in Neubauten eingesetzt werden kann."

Ehrgeizige Klimaziele können die Kapitalkosten senken

In den meisten Branchen sind die SBT-Unternehmen noch eine Minderheit. Damit das nicht so bleibt, gibt es verschiedene Ansatzpunkte. In Japan fördert die Regierung die SBT-Zertifizierung von Firmen. Weltweit haben aber institutionelle Investoren am ehesten die Möglichkeit, Firmen zur Teilnahme bei SBT zu bewegen.

Thomas Liesch vom deutschen Versicherungskonzern Allianz erklärt das Vorgehen so: "Als Investoren müssen wir sagen: 'Liebe Firma, wenn du das Geld unserer Kunden willst, dann musst du uns zeigen, dass du auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet bist.'"

Ehrgeizige Klimaziele können zudem die Kapitalkosten senken. Der italienische Energiekonzern Enel und der finnische Telekommunikationskonzern Nokia haben Anleihen herausgegeben, deren Verzinsung von der Erreichung von Klimazielen abhängt. Werden die Ziele nicht erreicht, steigt der Zins.

Ein solcher Mechanismus existiert für Staaten leider nicht. Diese können sich erst ungenügende Ziele setzen und diese dann auch noch verpassen – wie etwa Deutschland. Auch was Bescheidenheit angeht, könnten manche Politiker von der Wirtschaft lernen: "Wir sind keine Helden", sagt Turner von DSM. "Wir leisten einfach unseren fairen Beitrag, wie das jeder tun sollte."