Wärmebild einer Hochhausfassade von schräg unten in Violett über Rot bis Gelb.
Wärmebild eines wenige Jahrzehnte alten Hochhauses: Die energetische Sanierung von Gebäuden gehört zu den "Big Points" in Ursula von der Leyens Klimaplan. (Foto: Martin Abegglen/​Flickr)

Beim Thema Klimaschutz baute EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in ihrer ersten Rede zur Lage der Union vor: Sie wisse, sagte sie heute in Brüssel, dass die Erhöhung des CO2-Einsparziels der EU von 40 auf 55 Prozent "für manche zu viel ist und für andere zu gering".

Den Kritikern, die das für zu viel halten, sagte von der Leyen, eine Folgenabschätzung durch die EU-Kommission habe "eindeutig" ergeben: Dies könnten Wirtschaft und Industrie bewältigen. Und sie verwies auf das gestrige Schreiben von 170 Führungskräften und Investoren an sie mit der Aufforderung, ein Ziel von mindestens 55 Prozent vorzugeben – gemeint ist die Treibhausgasreduktion bis 2030 gegenüber 1990.

An die Kritiker gerichtet, denen die 55 Prozent nicht reichen, behauptete von der Leyen heute, dass damit die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius gestoppt werden könne, wenn andere dem Beispiel folgten. Sie wisse allerdings, so von der Leyen, dass auch viele Partner in der EU noch weit davon entfernt seien, sich dem 55-Prozent-Ziel anzuschließen.

Finanziert werden sollen die zusätzlichen 15 Prozentpunkte CO2-Einsparung, indem 30 Prozent des 750 Milliarden Euro starken Corona-Aufbauprogramms "Next Generation EU" durch grüne Anleihen aufgebracht werden und 37 Prozent der gesamten Summe in den europäischen Green Deal fließen sollen.

Hierzu zählen für die Kommissionspräsidentin Vorzeigeprojekte wie Wasserstoff, klimafreundliche Gebäude sowie der Bau von einer Million Ladesäulen für Elektroautos.

Mehr als eine Hintertür

Sichtlicher Schwachpunkt des Plans ist, dass die Kommission erst im Sommer 2021 sämtliche EU-Klima- und Energievorschriften überarbeitet haben will, um das 55-Prozent-Ziel zu erreichen.

Für Christoph Bals von der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch kommt es nun "einerseits darauf an, wie die Instrumente zur Umsetzung der Ziele konkret ausgestaltet werden, und andererseits auf eine internationale Strategie, für die eine glaubwürdige Umsetzung der Klimaziele in Europa Hebelwirkung entfalten kann".

Bals warnte in dem Zusammenhang auch vor Schönrechnerei und forderte, "dass da wo mindestens 55 Prozent drauf steht, auch tatsächlich mindestens 55 Prozent drin sind". Weder ein billiges Freikaufen noch Rechentricks dürften das verhindern.

Wie solche Rechentricks aussehen könnten, erläuterte heute Tiemo Wölken, SPD-Europaabgeordneter im Umweltausschuss. Nach seinen Angaben ließe sich bereits mit der existierenden EU-Politik ein Minus von 45 Prozent erreichen, und kämen die bereits angekündigten Kohleausstiege hinzu, sei die EU schon bei 50 Prozent.

Werden CO2-Senken miteingerechnet, schwäche das die nötige Minderung um einige weitere Prozentpunkte ab. Wölken: "Der Vorschlag ist also eine Mogelpackung, der ambitionierter aussehen will, als er ist."

Deutsche Industrie sieht sich überfordert

Dennoch warnt Dieter Kempf, Präsident des deutschen Industrieverbandes BDI, der EU-Plan stelle Wirtschaft und Gesellschaft "vor enorme Herausforderungen mit ungewissem Ausgang". Zumindest brauche es eine massive Erhöhung des Carbon-Leakage-Schutzes und Leitmärkte für klimaneutral hergestellte Produkte, forderte Kempf parallel zu einem heute stattfindenden Klimakongress des BDI.

Die Schaffung eines – gerade bei der deutschen Industrie umstrittenen – Grenzausgleichssystems zur Verhinderung von Carbon Leakage, also der Abwanderung von Unternehmen in Länder mit schwächerer Klimapolitik, kündigte von der Leyen in ihrer Rede allerdings an.

Die Kommission arbeite an einem solchen "Carbon Border Adjustment Mechanism", sagte die Kommissionschefin. Dieser CO2-Ausgleichsmechanismus solle einerseits ausländische Hersteller und EU-Importeure ermutigen, ihren CO2-Ausstoß zu verringern, andererseits für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen.

Die Grünen nutzen von der Leyens Vorlage, um die Bundesregierung weiter unter Druck zu setzen. Diese müsse "zeitnah" die neuen Ziele der EU-Kommission in Politik umsetzen. Dazu gehöre, die erneuerbaren Energien wesentlich schneller auszubauen. Hier wolle man endlich Taten sehen. Auch der Kohleausstieg könne früher gelingen, meinten Bundestags-Fraktionsvize Oliver Krischer und die klimapolitische Sprecherin Lisa Badum.