Luftaufnahme des Berlaymont-Gebäudes, des Sitzes der EU-Kommission. Von oben betrachtet hat es ungefähr die Form eines Kreuzes.
Mit welchem Klimaziel ist die Dekarbonisierung bis 2050 zu schaffen, fragten sich die Mitarbeiter:innen der EU-Kommission im Brüsseler Berlaymont-Gebäude in den letzten Wochen. (Foto: Daniel Philippe/​​EU)

Die Europäische Kommission macht mit ihren klimapolitischen Plänen Ernst: Die Kommission will das Klimaziel für 2030 auf 55 Prozent CO2-Reduktion gegenüber 1990 anheben.

Einen Vorschlag dazu will Kommissionschefin Ursula von der Leyen am morgigen Mittwoch bei ihrer ersten Rede zur Lage der Union dem EU-Parlament vorstellen. 

Die Antwort auf die Covid-19-Pandemie eröffne "eine einzigartige Gelegenheit, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu beschleunigen", heißt es in einem Plan-Entwurf der Kommission, der Klimareporter° vorliegt.

Im vergangenen Jahr hätten die Emissionen schätzungsweise um ein Viertel unter denen von 1990 gelegen, während die Wirtschaft im gleichen Zeitraum um 62 Prozent gewachsen sei. Das beweise, dass Klimaschutz und nachhaltiges Wirtschaftswachstum vereinbar sei.

Eine Machbarkeitsstudie zeige, dass das 55-Prozent-Ziel "wirtschaftlich machbar und vorteilhaft für Europa" sei. Damit diese Zielmarke erreichbar wird, müssten die EU-Länder ihre Anstrengungen in allen Bereichen deutlich erhöhen. 

Der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung müsste bis 2030 auf rund 65 Prozent steigen.

Auch insgesamt würde der Energiemix deutlich grüner werden. Dazu müsste der Anteil der Erneuerbaren am Gesamtenergieverbrauch von heute 32 Prozent auf 38 bis 40 Prozent klettern und der Kohleverbrauch im Vergleich zu 2015 um 70 Prozent sinken, der Ölverbrauch um 30 Prozent und der Gasverbrauch um 25 Prozent. 

CO2-Ausstoß von Autos müsste bis 2030 um 50 Prozent sinken

Auch beim Verkehr will die Kommission ansetzen. Laut dem 23-seitigen Entwurf müsste der Anteil der erneuerbaren Energien im Verkehrssektor bis 2030 auf rund 24 Prozent steigen – 2015 waren es erst sieben Prozent. Autos mit Verbrennungsmotoren sollen nach und nach durch emissionsärmere Fahrzeuge ersetzt werden.

Dazu will die Kommission bis Sommer nächsten Jahres strengere CO2-Vorgaben für Pkw vorschlagen. Der CO2-Ausstoß von Autos müsste dann von 2021 bis 2030 um 50 Prozent sinken. 

Der Verband der Automobilindustrie lehnte schärfere Vorgaben bereits ab. Schon die bestehenden Ziele erforderten enorme Investitionen, sagte ein Sprecher der Agentur DPA. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sprang dem Industrieverband bei und warnte vor höheren Klimazielen.

In ihrem Papier macht die EU-Kommission auch Vorschläge für die Landwirtschaft. Hier könnte ein verringerter Konsum von tierischen Produkten den Ausstoß von Klimagasen bis 2030 um mehr als 30 Millionen Tonnen reduzieren.

Zudem plant die Kommission, die energetische Sanierung von Gebäuden voranzutreiben und die Umstellung auf erneuerbare Heizungen zu fördern.

Umweltpolitiker:innen begrüßen den Vorstoß der EU-Kommission, fordern aber eine stärkere Anhebung. "Während an der US-Westküste die Wälder brennen und die Arktis fast eisfrei ist, bringt Ursula von der Leyen ein Klimaziel auf den Tisch, dass der Klimakrise nicht gerecht wird", sagte Michael Bloss, Abgeordneter der Grünen im EU-Parlament. Dafür brauche es mindestens 65 Prozent Emissionsminderung.

"Die Kommission verkennt die langfristigen Folgekosten für die EU und den Planeten, wenn sie am falschen Ziel spart", warnte Bloss. Ein Nicht-Handeln beim Klimaschutz koste schon heute jedes Jahr rund 14 Milliarden Euro, verursacht durch Extremwetter und deren Folgen.

Unterstützung im EU-Parlament

Das höhere Klimaziel soll gesetzlich verankert werden. Dafür ist die Zustimmung des EU-Parlaments und der Mitgliedsstaaten notwendig. Der Umweltausschuss des Parlaments hatte sich in der vergangenen Woche für eine Anhebung des Ziels auf 60 Prozent ausgesprochen.

Im Parlament fordern Sozialdemokrat:innen, Grüne und Linke ein 65-Prozent-Ziel, liberale Abgeordnete wollen eine Vorgabe von 60 Prozent. Die größte Fraktion im Parlament, die konservative Europäische Volkspartei (EVP), scheint das 55-Prozent-Ziel unterstützen zu wollen und liegt damit auf der Linie der Kommission. Den Rechtsaußen-Fraktionen ist das Ziel zu hoch.

Die deutschen Umweltverbände verlangen 65 oder wenigstens 60 Prozent. "Das Europäische Parlament muss im Plenum dem Votum des Umweltausschusses folgen und sich für ein gestärktes EU-Klimaziel einsetzen", forderte Sascha Müller-Kraenner von der Deutschen Umwelthilfe. Das sei dringend nötig, denn die Mitgliedsstaaten hätten keine Ambitionen, über das "völlig unzureichende" Reduktionsziel von 55 Prozent hinauszugehen. Das Parlament will sich Anfang Oktober auf eine Zielmarke einigen.

Das aktuelle Ziel sieht bei den Treibhausgasen eine Minderung um 40 Prozent gegenüber 1990 vor. Allerdings lässt sich damit nicht die für den Paris-Vertrag nötige Klimaneutralität bis 2050 erreichen. Dieses Fernziel haben die EU-Länder (außer Polen) bereits im Dezember 2019 beschlossen.

Deshalb will die Kommission nun nachlegen: Mit einem starken Klimaziel für 2030 ließe sich die Klimaneutralität zur Jahrhundertmitte einfacher und kostengünstiger erreichen. Im März startete die Kommission ihre angekündigte Kosten-Nutzen-Analyse für die Erhöhung der 2030er Ziele. Es folgten öffentliche Konsultationen.

Einigen sich die EU-Gremien auf ein höheres Klimaziel, steht den europäischen Regierungen einiges an Arbeit bevor. Zahlreiche Verordnungen und Vorgaben müssen dann an das höhere Klimaziel angepasst werden.

Der Beitrag wurde am 16. September um 11 Uhr ergänzt (Umweltpolitiker:innen und Umweltverbände).

Anzeige