Sandstrände, türkisfarbenes Wasser und schwimmende Schweine locken jedes Jahr Millionen auf die Bahamas – mit weitreichenden ökologischen Folgen. (Bild: Nejron/​Shutterstock)

Hinter dem verheißungsvollen Namen Blue Carbon – blauer Kohlenstoff – verbergen sich küstennahe Ökosysteme. Genauer: das CO2, das Mangroven, Seegräser und Salzwiesen aus der Atmosphäre ziehen und speichern.

Die Ökosysteme werden zu den sogenannten nature-based solutions gerechnet, also natürlichen Klimaschutzlösungen. Sie sollen, ebenso wie Wälder und Moore, in Zukunft dazu beitragen, die CO2-Konzentration der Atmosphäre zu senken und damit den Klimawandel abzuschwächen.

Allerdings fehlt es an Daten, um die Mengen an Kohlenstoff, die in diesen Ökosystemen gebunden sind, abzuschätzen und damit auch ihr zukünftiges Potenzial.

Für Seegraswiesen nahm sich dieses Problems nun ein internationales Forschungsteam um den Meereswissenschaftler Chuancheng Fu von der König-Abdullah-Universität in Saudi-Arabien an. Seegräser kommen auf nur 0,1 Prozent der Meeresoberfläche vor, sind aber für zehn bis 18 Prozent der gesamten organischen CO2-Aufnahme der Meere verantwortlich.

Für eine vor wenigen Tagen im Fachjournal Communications Earth & Environment erschienene Studie untersuchte die Gruppe das weltweit größte Seegrasgebiet um die Bahamas, einen Inselstaat südöstlich von Florida. Sie nahm Bodenproben von zehn Seegraswiesen entlang von Exuma. Diese langgestreckte Inselkette im Südwesten der Bahamas erlangte durch ihre Bewohner, die Schwimmschweine, weltweite Bekanntheit.

Auf Basis der erhobenen Daten errechneten die Studienautor:innen, dass die Seegraswiesen der Bahamas bis zu 590 Millionen Tonnen organischen Kohlenstoff im obersten Meter des Sediments speichern können, was einen "erheblichen globalen Hotspot für blauen Kohlenstoff" darstelle.

Störungen durch Tourismus und Schiffsverkehr

Jedes Jahr, schlussfolgert die Studie, nehmen die Seegraswiesen zwischen 2,1 und 2,9 Millionen Tonnen CO2 auf.

Gemessen am prognostizierten Bedarf an "negativen Emissionen" ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. IPCC-Szenarien im Einklang mit dem 1,5-Grad-Limit gehen davon aus, dass in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts jährlich etwa zehn Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre entfernt werden müssen.

Allerdings gehen die Forscher:innen davon aus, dass sich durch ein besseres Management und die Reduzierung von Störungen die Aufnahmefähigkeit der Seegras-Ökosysteme steigern ließe.

Denn die Menge an organischem Kohlenstoff ging nach 1980 zurück. Das deutet laut der Studie auf eine Störung der Ökosysteme durch Tourismus und Schiffsverkehr hin.

Blue Carbon ist nur eine von vielen natürlichen und technischen Möglichkeiten, Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu ziehen. Bewerten lassen sich diese Möglichkeiten vor allem anhand von drei Indikatoren: Wie viel CO2 lässt sich damit speichern? Wie langfristig lässt sich das CO2 speichern? Und wie leicht ist es, die Lösung in großem Maßstab anzuwenden?

In all diesen Punkten schneidet der "blaue Kohlenstoff" nur mäßig ab. Ebenso wie andere natürliche Klimaschutzlösungen – Wälder, Graslandschaften, Moore – speichern die Blue-Carbon-Systeme den Kohlenstoff nur für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum, über Jahrzehnte oder Jahrhunderte.

Im Gegensatz zu Wäldern oder Mooren ist ihr Speicherpotenzial zudem gering und es gibt wenig Erfahrung mit der Bewirtschaftung etwa von Seegraswiesen.

Sich zu sehr auf "natürliche Lösungen" zu verlassen ist gefährlich

Ein Vorteil von technologischen Varianten wie etwa Direct Air Capture – also der Gewinnung von CO2 aus der Umgebungsluft über technisch-chemische Verfahren – sind ihre großen und langfristigen Aufnahmepotenziale. Der Kohlenstoff, der im Anschluss in geologischen Reservoirs gespeichert werden soll, ist dort in der Theorie viele hunderttausend Jahre sicher.

In dem kürzlich veröffentlichten Bericht "Zehn neue Erkenntnisse der Klimawissenschaft" warnen Expert:innen davor, sich zu sehr auf natürliche Lösungen zu verlassen. Es sei mit großen Unsicherheiten behaftet, wie sich diese natürlichen Senken im Zuge der fortschreitenden Erderwärmung verändern werden – und damit auch ihre Aufnahme- und Speicherfähigkeit.

Allerdings befinden sich viele der technischen Verfahren noch nicht in einem Stadium, um großflächig angewendet zu werden, und sie sind energieintensiv und teuer. Zudem können einige von ihnen selbst negative Auswirkungen auf Ökosysteme haben.

Sowohl Wälder als auch Seegraswiesen oder Mangroven haben hingegen wertvolle Funktionen für die Ökosysteme und die dort lebenden Menschen. Im Falle der Bahamas ist das laut den Autor:innen der "Schutz der Küsten vor dem Anstieg des Meeresspiegels und der Zunahme von Wirbelstürmen, wodurch die Widerstandsfähigkeit gegenüber dem künftigen Klimawandel erhöht wird".

 

Am Ende wird es ohnehin nicht um ein Entweder-oder gehen, sondern um eine Kombination verschiedener Strategien und Verfahren. Da viele noch in den Kinderschuhen stecken, wird allerdings in den nächsten Jahren auf einigen von ihnen der Fokus liegen.

Die Menschheit muss nicht nur endlich anfangen ihre Treibhausgasemissionen rapide zu senken, sondern auch den Ausbau von Negativemissionen in Rekordtempo vorantreiben. Beides ist ein Rennen gegen die Zeit. Ein Rennen gegen den Klimawandel.