Zwei Mesokosmen im Raunefjord in Norwegen
Die Mesokosmen sind eine Art Riesen-Reagenzgläser, 20 Meter lang und mit zwei Metern Durchmesser. Dem Wasser in den Behältern wird für das Feldexperiment ein Silikat oder Kalk zugegeben. (Foto: Ulf Riebesell/​Geomar)

Hätten wir alle Zeit der Welt, müssten wir uns nicht weiter um den Klimawandel kümmern. Wir könnten einfach warten und darauf vertrauen, dass die Natur es wieder richtet.

Die Ozeane würden den Großteil des CO2 schlucken, das der Mensch zusätzlich in die Atmosphäre bringt. An Land würden uns die Wälder helfen oder auch die Verwitterung von Gestein, bei der CO2 gebunden wird.

Ein schönes Szenario. Doch es existiert nur im Konjunktiv. Denn die natürlichen Prozesse verlaufen extrem langsam, über Zehntausende von Jahren. Diese Zeit haben wir nicht.

Kürzlich hat die Weltwetterorganisation WMO errechnet, dass schon in den kommenden fünf Jahren die kritische Schwelle von 1,5 Grad globaler Erwärmung erstmals überschritten werden dürfte, die Schwelle also, ab der die Klimaveränderungen außer Kontrolle geraten könnten.

Was aber wäre, wenn man die natürlichen Prozesse künstlich beschleunigen würde? Könnten dann große Mengen an CO2 in relativ kurzer Zeit wieder aus der Atmosphäre geholt und die Überhitzung des Planeten gebremst werden?

Ideen dafür gibt es längst. Sie konzentrieren sich bislang vor allem auf landbasierte Möglichkeiten. Etwa Aufforstung oder auch Technologien, bei denen CO2 direkt aus der Luft gefiltert wird. Doch dies ist sehr teuer und Landflächen sind knapp. Deshalb wendet man sich nun den Ozeanen zu.

Gleich mehrere europäische Forschungsprojekte beschäftigen sich derzeit mit der Frage, inwieweit die Meere helfen können, unser Klimaproblem in den Griff zu bekommen. Eines davon ist das von der EU geförderte Projekt "Ocean-based Negative Emission Technologies", kurz Ocean Nets, das vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel (Geomar) koordiniert wird.

Riesige "Reagenzgläser" am Meeresboden

Im Rahmen des Projekts reiste Anfang Mai ein 43-köpfiges internationales Forschungsteam nach Bergen in Norwegen. Hier, im Raunefjord, führt das Team nun ein Experiment mit Gesteinsmehl durch – eine von rund einem halben Dutzend Optionen zur ozeanbasierten CO2-Entnahme.

"Zuerst haben wir aufgebaut und unsere zehn Mesokosmen am Meeresboden in 100 Metern Tiefe verankert", erzählt Ulf Riebesell im Gespräch mit Klimareporter°. Der Kieler Meeresbiologe leitet die Studie.

Die vom Geomar entwickelten Mesokosmen sind eine Art Riesen-Reagenzgläser, 20 Meter lang und mit einem Durchmesser von zwei Metern, die jeweils 65.000 Liter Wasser fassen, was ungefähr der Füllmenge von 400 Badewannen entspricht. Dem Wasser in den Behältern geben die Forschenden entweder ein Silikat oder Kalk zu.

Ozeanversauerung

Die Ozeane nehmen rund ein Viertel der menschengemachten CO2-Emissionen auf. Das führt unter anderem zur Versauerung des Meerwassers. Sein pH-Wert liegt derzeit schon bei acht bis 8,2. Vor der Industrialisierung waren es noch 8,2 bis 8,25. Was nach wenig klingt, entspricht einem Anstieg von 30 Prozent bei der Versauerung.

Durch die Zugabe von basischen Mineralien erhöht sich der pH-Wert des Meerwassers, es findet eine Alkalisierung statt. Die Versauerung des Ozeans durch den Klimawandel wird damit zurückgedreht, mehr CO2 kann aufgenommen werden.

Über acht Wochen hinweg, bis Mitte Juli, will das Team Proben entnehmen und auswerten. "Es ist weltweit erst die zweite Studie zu diesem Thema", sagt Riebesell. Die erste fand letzten Herbst unter seiner Leitung im Nordatlantik vor Gran Canaria statt. Im kommenden Jahr soll eine weitere in der Nordsee bei Helgoland folgen.

Bis Ergebnisse vorliegen, werden noch Jahre vergehen. "Für eine realistische Einschätzung bräuchten wir zehn Jahre Forschung", sagt Riebesell. Kann er schon jetzt eine Abschätzung geben? "Ich kann weder grünes Licht geben noch sagen, bloß nicht."

"Wir verändern die Meerwasserchemie"

Theoretisch jedenfalls wäre das Potenzial enorm. Man müsste die Alkalisierung nur einmal durchführen, ihre Halbwertszeit liegt laut dem Forscher bei mehreren 100.000 Jahren. Die Menge an Gesteinsmehl, die man in die Meere kippen müsste, schwankt je nach Material zwischen 1,5 und 2,5 bis drei Kilogramm für jedes zusätzlich aufgenommene Kilo CO2.

Die Mineralien müsste man auch nicht unbedingt an Land abbauen, sondern könnte sie, so wie Riebesells Team es macht, von Chemielaborfirmen herstellen lassen. Und hat man den pH-Wert des Meerwassers erhöht, pendelt er sich nach einer Übergangszeit auch wieder auf seinen Normalwert ein.

 

Allerdings gibt es auch Risiken. "Wir verändern ja die Meerwasserchemie." Viele kleine Meereslebewesen reagieren sehr empfindlich auf Veränderungen des pH-Werts. Bevor die Methode einsetzbar wäre, müssten Grenzwerte festgesetzt und Richtlinien beschlossen werden, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhen – die eben noch gar nicht vorliegen.

Private Firmen haben aber längst ein mögliches Geschäftsmodell ausgemacht und starten die ersten Pilotprojekte. Es ist nämlich möglich, die Methode mit der Herstellung von Wasserstoff durch Elektrolyse zu kombinieren.

Damit würde man gleich zwei besonders attraktive Produkte schaffen. Man könnte nicht nur grünen Wasserstoff verkaufen, sondern möglicherweise auch noch CO2-Zertifikate – für die Mengen an Kohlendioxid, die vom Ozean zusätzlich aufgenommen werden.

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