Matthias Willenbacher
Matthias Willenbacher. (Foto: Wiwin)

Immer wieder sonntags: Die Mitglieder unseres Herausgeberrates erzählen im Wechsel, was in der vergangenen Woche wichtig für sie war. Heute: Matthias Willenbacher, Geschäftsführer der Plattform für nachhaltiges Investieren Wiwin.

Klimareporter°: Herr Willenbacher, die EU-Kommission hat trotz breiter Kritik an ihrem Entwurf die Regeln für Gaskraft in ihrem jetzt erlassenen Taxonomie-Rechtsakt sogar nochmal verwässert. Dabei soll die Taxonomie doch Zukunftsinvestitionen kennzeichnen. Kann sie das noch leisten und Finanzströme in Richtung Nachhaltigkeit lenken?

Matthias Willenbacher: Nein, das kann sie nicht. Die EU-Kommission hat damit ein klassisches Eigentor geschossen.

Atomkraft ist nicht nachhaltig: kein Endlager, GAU-Gefahr, CO2–Emissionen beim Bau und Rückbau sowie bei der Urangewinnung, und so weiter. Und Atomkraft ist schon gar nicht wirtschaftlich – siehe die laufenden europäischen Projekte wie zum Beispiel Flamanville.

Dass aber fossiles Erdgas mit Unterstützung der Bundesregierung als nachhaltig eingestuft wird, ist einfach widersinnig. Dagegen haben sich ja nicht nur die üblichen Verdächtigen ausgesprochen, wie die Umweltverbände oder grüne Abgeordnete des EU-Parlaments. Sondern sogar die eigenen Berater der Kommission – die Sustainable-Finance-Plattform – und die größten Vermögensverwalter der Welt, die in der Institutional Investors Group on Climate Change zusammengeschlossen sind, haben den Kommissionsvorschlag abgelehnt.

Da bleibt nur zu hoffen, dass aufgrund dieser Diskussion mehr Menschen hinschauen, wo und wie sie ihr Geld anlegen. Wer bei den echten grünen Originalen wie GLS Bank, Umweltbank, Triodos sowie den Start-ups Tomorrow und Wiwin investiert, bringt sein Geld auf die gute Seite.

Die Gaspreise sind seit letztem Sommer stark gestiegen. Jetzt will die Bundesregierung Haushalten mit geringem Einkommen einen einmaligen Heizkostenzuschuss gewähren. Reicht das? Immerhin haben die Ampel-Parteien im Koalitionsvertrag einen "sozialen Kompensationsmechanismus" versprochen.

Ich finde es gut, dass in der aktuellen Situation nur Haushalte unterstützt werden, die wirklich Hilfe benötigen. Die von Finanzminister Lindner vorgeschlagene Abschaffung der EEG-Umlage zur Jahresmitte ist aus Energiemarktsicht richtig, stellt aber eine Entlastung mit der Gießkanne dar.

Ob die Höhe ausreicht, müssen andere beurteilen. Ich kann mir vorstellen, dass im parlamentarischen Verfahren der Heizkostenzuschuss erhöht wird. Was fehlt, ist aber ein Rückzahlungsmechanismus, über den der überwiegende Teil der Einnahmen aus dem CO2-Preis für Wärme und Mobilität an die Bürgerinnen und Bürger zurückgezahlt wird.

Alle Fachleute sagen, dass dies für das Gerechtigkeitsempfinden der Menschen wichtig ist und Haushalte mit geringerem Einkommen in den meisten Fällen mehr erhalten, als sie zahlen. Insofern spricht nichts dagegen. Die Koalition sollte sich nur noch trauen, den CO2-Preis doch weiter zu erhöhen, damit auch relevante Summen zurückgezahlt werden können.

Der Energiecharta-Vertrag ist ein Hindernis für ambitionierte Klimapolitik, weil er fossile Unternehmen und Investoren schützt, heißt es in einer Analyse. Ist eine Reform, wie sie etwa die EU-Kommission plant, ausreichend?

Nein. Für mich ist die Energiecharta ein Beleg für eine völlig verfehlte neoliberale Industriepolitik der 1990er Jahre, die demokratische Grundsätze außer Kraft setzt beziehungsweise ad absurdum führt. Da ist nichts reformierbar. Es braucht an dieser Stelle eine grundlegende Diskussion des Verhältnisses zwischen Staat und – vor allem großen – Unternehmen.

Nach massiver Kritik will die Bundesregierung nun doch noch alle eingegangenen Förderanträge für Sanierungen oder den Bau energieeffizienter Häuser bewilligen. Das Finanzministerium wird dafür den Energie- und Klimafonds anzapfen. Doch aus dem Fonds sollen auch der Ausbau der Ökoenergien, die Elektromobilität und Klimaschutz im Ausland bezahlt werden. Ein kluger Kompromiss?

Kein schöner, aber ein notwendiger Kompromiss.

Im Jahr 2010 gab es unter der damaligen schwarz-gelben Regierung schon mal einen mehrmonatigen Förderstopp beim Marktanreizprogramm, das erneuerbare Wärmeerzeuger förderte. In der Folge war das Vertrauen in das Förderprogramm besonders bei den Handwerkern grundlegend erschüttert. Es dauerte mehrere Jahre, das ursprüngliche Niveau an Förderanträgen wieder zu erreichen.

Deshalb ist es gut, dass sich die Bundesregierung schnell entschieden hat, alle bis zum Stichtag eingegangenen Anträge zu bewilligen.

Im Übrigen hat die neue Bundesregierung auch hier ein Problem der alten geerbt. Seit Langem war klar, dass die Effizienzvorgaben für den Neubau mindestens auf den KfW-40-Standard verschärft werden müssen, wenn die Klimaziele erreicht werden sollen. Die alte Bundesregierung hat diese Verschärfung nicht eingesehen oder sich nicht getraut.

Wenn jetzt viele Investoren und Bauunternehmen – und das ist die Mehrzahl der Antragsteller – erkennen, dass sie hier günstige Kredite für ihre Vorhaben erhalten können, ist das nicht verwerflich. Und wenn sie nur den Effizienzstandard bauen, den sie auch ohne Förderung gebaut hätten, kann man ihnen auch das nicht vorwerfen.

Und was war Ihre Überraschung der Woche?

Der Schnellschuss der Bundesregierung zur Abschaffung der EEG-Umlage schon zur Jahresmitte hat mich doch überrascht. Prominente Energieexperten aus den Reihen der Grünen wie Ingrid Nestle, Verbände wie der Paritätische Gesamtverband und der BUND oder auch Ökostromversorger wie Naturstrom, EWS und die Bürgerwerke kritisieren diesen Vorschlag.

Die Energiewende muss, wenn sie gelingen soll, auch sozial gerecht sein. Sonst kann die Zustimmung der Menschen schnell in eine Ablehnung umschlagen.

Wie gesagt, energiewirtschaftlich ist die Abschaffung der EEG-Umlage grundsätzlich sinnvoll. Ich hielte es aber für besser, auf der vom Bundeswirtschaftsministerium geplanten Plattform "Klimaneutrales Stromsystem" über alle Abgaben, Umlagen und Steuern zu diskutieren und ein Gesamtpaket zu schnüren. Das hat mehr Sinn als breit gestreute Schnellschüsse.

Weiterhin sind einige Punkte zu bedenken. Die meisten Stromkunden im Markt haben in diesem Jahr kein Problem, weil sie weiter in Bestandsverträgen mit preisgesicherten Mengen zu rund 30 bis 35 Cent je Kilowattstunde brutto versorgt werden. Die zuletzt sehr hohen Steigerungen auf über 50 Cent betreffen nur Menschen, die umziehen oder denen ihr Vertrag gekündigt wurde. Gerade Menschen mit geringerem Einkommen könnte man viel günstiger und zielgerichteter mit einem Energiekostenzuschuss entlasten.

Für Neukunden machen die drei Cent pro Kilowattstunde bei Preisen von 50 Cent auch keinen wirklichen Unterschied. Dieser Betrag liegt in der Größenordnung der aktuellen Energiepreis-Puffer, die Energieversorger einkalkulieren. Insofern erwarte ich auch, dass viele Versorger die Kostensenkungen nicht oder nur teilweise weitergeben, sondern die Einsparungen nutzen, um etwaige Mehrkosten am Energiemarkt auszugleichen.

Mittelfristig ist die Absenkung des Strompreises als Anreiz zur Sektorkopplung hilfreich – dabei geht es aber um die Gesamtheit des Abgaben- und Umlagensystems, um zum Beispiel mit dynamischen Preisen Anreize zu setzen, auch zur richtigen Zeit Sektorkopplung zu betreiben.

Ich persönlich finde es riskant, die EEG-Zahlungen für Neuanlagen vollständig in den Haushalt einzustellen. Ich sehe ein hohes Risiko, dass damit die EEG-Zahlungen unter einer zukünftigen Regierung wegen anderer Haushaltszwänge begrenzt oder ausgebootet werden.

Fragen: Sandra Kirchner