Der Braunkohletagebau Garzweiler, weit im Hintergrund dampfen Kohlekraftwerke gegen den blauen Himmel.
Klimaschutz muss noch lange warten, weil Investorenschutz vorgeht. (Foto: Malte Florian Klein/​Shutterstock)

Wer derzeit über Energie und Klima berichtet, stolpert früher oder später unweigerlich über die Gaspipeline Nord Stream 2 – das gilt auch für die laufende Reform der Energiecharta, des umstrittenen Investorenschutzabkommens.

Auf Grundlage der Energiecharta hatte die Nord-Stream-2-Gesellschaft im September 2019 die EU vor einem Schiedsgericht verklagt. Grund: Von Gasversorgern auf EU-Gebiet und damit auch in Deutschland wird verlangt, dass Produktion, Transport und Verteilung in rechtlich getrennten, "entflechteten" Unternehmen erfolgen.

Unter Umständen müsste Nord Stream 2 also Dritte am Geschäft beteiligen. Das hält der Versorger für einen Verstoß gegen die Energiecharta und soll die drohenden Verluste schon mal auf bis zu acht Milliarden Euro taxieren.

Offizielle Zahlen zur Nord-Stream-2-Klage sind nicht bekannt – wie bei vielen dieser Schiedsverfahren. Oft erfahre die Öffentlichkeit im Nachhinein nur, es habe ein milliardenschweres Verfahren stattgefunden, aber nicht, worum es ging, beklagte Lukas Schaugg vom International Institute for Sustainable Development (IISD), einem global operierenden kanadischen Thinktank, jetzt bei der Vorstellung einer Studie zum Investorenschutz.

Der Report analysiert etwas mehr als 1.200 Investor-Staat-Verfahren aller Wirtschaftsbereiche, die bis Ende 2020 weltweit eingeleitet wurden. Grundlage der Verfahren sind sowohl multilaterale Verträge wie die Energiecharta als auch Schutzgesetze einzelner Staaten oder direkte Investitionsverträge.

Von allen analysierten Investor-Verfahren wurden dabei 231 von der fossilen Brennstoffindustrie angestrengt, also fast jedes fünfte. "Dieser Industriezweig ist die mit Abstand prozessfreudigste Branche", betonte Schaugg.

Fossile Verfahren besonders lukrativ

Am häufigsten komme dabei die Energiecharta zum Einsatz. Die Charta sei attraktiv, weil hier besonders viele Staaten Mitglied sind und weil sie Investoren weitreichende Rechte einräume, erläuterte der Rechtsexperte.

Wenig verwunderlich ist da, dass im Vergleich die meisten Verfahren zugunsten der Investoren ausgehen – etwa 32 Prozent, wie der Report bilanziert. In 23 Prozent der Verfahren ist das beklagte Land erfolgreich, wobei auch viele Verfahren schon aufgrund von Formfehlern oder "unseriösen" Forderungen scheitern, wie Schaugg anmerkte.

Ein weiteres Drittel der Verfahren wurde "beigelegt", endete also ohne Schiedsspruch. Schaugg sieht hier eine Tendenz der Schiedsgerichte, die Parteien zur Beilegung zu ermutigen. Das erhöhe den Grad der Geheimhaltung. Es gebe Vergleiche, die nie veröffentlicht würden.

"Fossile Verfahren" sind laut der IISD-Studie besonders lukrativ für die Investoren. Die Entschädigungen fielen hier im Schnitt fünfmal so hoch aus wie für Investoren anderer Sektoren, so Schaugg.

Die Analyse förderte auch eine regional äußerst ungleiche Betroffenheit zutage. Fast ein Drittel der fossilen Klagen richtete sich gegen südamerikanische Staaten, besonders Argentinien, Venezuela und Ecuador, nur sehr wenige Klagen gegen Staaten im arabischen Raum oder in Nordamerika.

Die Kläger kommen dagegen, wenig überraschend, aus Ländern des globalen Nordens. Eine besonders aktive Rolle hat Schaugg zufolge die Niederlande inne. Das Land gelte als Zentrum von Briefkastenfirmen und verfüge zudem über viele investitionsfreundliche Schutzabkommen.

Noch mehr Entschädigungsmilliarden für die Kohle?

Die Macht der Energiecharta könnte sich auch "massiv" auf das Ziel der deutschen Ampelkoalition auswirken, den Kohleausstieg auf 2030 vorzuziehen, erläuterte die Bundestagsabgeordnete Kathrin Henneberger von den Grünen bei der Vorstellung des IISD-Reports.

Bekanntlich erhalten beim beschlossenen Kohleausstieg die Stromkonzerne Milliardenentschädigungen auch aus dem Grund, dass sie explizit auf Klagen vor Schiedsgerichten verzichten. Immer, wenn es jetzt um die Forderung gehe, den Kohleausstieg deutlich zu beschleunigen, sagte Henneberger, werde sie sofort mit dem Argument konfrontiert, ob sie der fossilen Industrie wirklich noch weitere Milliarden geben wolle.

Bis Mitte des Jahres solle es nun auf Bundesebene einen Vorschlag geben, wie das Vorziehen des Kohleausstiegs auf spätestens 2030 gelingen kann, kündigte die Grünen-Abgeordnete an.

Dass der Koalitionsvertrag der Ampel sich für eine Reform der Energiecharta ausspricht, könne aus ihrer Sicht nur bedeuten, die fossile Industrie dort komplett herauszustreichen, betonte Henneberger. Der Energiecharta-Vertrag werde grundsätzlich nicht mehr gebraucht, gerade aus der Perspektive internationaler Klimagerechtigkeit.

"EU kann Reform nicht durchsetzen"

Von einer Abschaffung der Energiecharta kann international derzeit jedoch keine Rede sein. Selbst die Reform, die eigentlich bis Mitte des Jahres geplant ist, scheint in weiter Ferne.

Um die Reform werde noch an drei Terminen im März, April und Mai verhandelt, erläuterte Fabian Flues vom Berliner Thinktank Powershift anlässlich der IISD-Studie. Bis dato habe die EU ihre Position aber nicht durchsetzen können, den Investitionsschutz wenigstens für fossile Industrien auslaufen zu lassen. Nun werde an einem Kompromiss gearbeitet, der es zumindest einzelnen Ländern erlauben soll, den fossilen Schutz zu beenden.

Für Flues zeichnet sich ab, dass die Energiecharta noch viele Jahre ihre schützende Hand über die Fossilen halten wird – bis in die 2030er für Kohle und bis 2040 für fossiles Gas. Damit, so der Investitionsexperte, bleibe die Energiecharta ein Hindernis für eine ambitionierte Klimapolitik und stehe den Pariser Klimazielen entgegen.

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