Braunkohlebagger frisst sich durch die Landschaft.
Muss für den Mibrag-Tagebau Vereinigtes Schleenhain noch das Dorf Pödelwitz weichen? (Foto: Johannes Kazah/​Wikimedia Commons)

Mitte Mai dieses Jahres stellte der mitteldeutsche Braunkohleförderer Mibrag in seiner Brikettfabrik Deuben die Brikettproduktion endgültig ein. Nach einer Verpuffung im Juli 2018 mit Verletzten und erheblichen Sachschäden wäre ein Wiederaufbau, begründete die Mibrag das Aus, "langwieriger" und "kostenintensiver" als ursprünglich geplant und mache "derzeit wirtschaftlich keinen Sinn".

Nun, auch künftig wird das Pressen von Braunkohlebriketts, ausgenommen für Museen und Nostalgiker, wirtschaftlich kaum Sinn haben. Nach 1990 wurden in Deuben selbst in den besten Zeiten gerade noch 1.800 Tonnen Briketts am Tag gepresst. Der Wegfall der Produktion tut dem Unternehmen nicht weh, zumindest nicht bei der Förderung in den beiden großen Mibrag-Tagebauen Profen und Schleenhain.

Da schlägt die kürzliche Entscheidung der baden-württembergischen EnBW, ihren 920-Megawatt-Block im Kraftwerk Lippendorf bei Leipzig vom Netz zu nehmen, viel stärker ins Kontor. Genaue Angaben, wie viel Kohle die Mibrag dadurch nicht mehr für den EnBW-Block liefern muss, geben die Unternehmen nicht heraus. Bekannt ist nur, dass Lippendorf täglich mehr als 30.000 Tonnen Rohkohle über die Feuerungsroste schicken kann – vorausgesetzt, die zwei 920-Megawatt-Blöcke laufen mit voller Kraft.

Sonne vor Braunkohle

Das mit der vollen Kraft passiert in Deutschland offenbar immer seltener. Bereits im ersten Quartal dieses Jahres gingen die Braunkohlelieferungen an Kraftwerke nach Angaben des Branchenverbandes Debriv um knapp 18 Prozent zurück – verglichen mit dem Vorjahr. Aufs Halbjahr gerechnet sank die Stromerzeugung aus Braunkohle um rund 20 Prozent, wie der Debriv bestätigt.

Als Ursachen nennt der Verband die stark gestiegene Stromproduktion aus erneuerbaren Energien, die Überführung weiterer Braunkohleblöcke in die Sicherheitsbereitschaft sowie die Auswirkungen des Rodungsstopps im Hambacher Forst. Dazu kam eine im Vergleich zum Vorjahreszeitraum höhere Zahl von Kraftwerksrevisionen.

Die Lausitzer Leag speiste im ersten Halbjahr, wie Unternehmenssprecher Thoralf Schirmer gegenüber Klimareporter° mitteilte, in den ersten sechs Monaten 2019 gegenüber 2018 etwa elf Prozent weniger Strom ein. Davon seien etwa zwei Drittel auf die Sicherheitsbereitschaft zurückzuführen, infolge derer ein 500-Megawatt-Block in Jänschwalde nicht mehr in Betrieb ist. Im Rückgang spiegele sich auch die "Einsenkung von Last in Perioden eines hohen Anteils erneuerbarer Energien" wider, so Schirmer.

Den vorläufigen Tiefpunkt für den Braunkohlestrom gab es im Juni: In der Monatsbilanz übertraf laut den Angaben des Fraunhofer-Instituts ISE in Freiburg der Solarstom mit rund 7,2 Terawattstunden erstmals in der Geschichte die Braunkohle mit 7,0 Terawattstunden. Auf Platz drei folgt schon der Windstrom mit 6,7 Terawattstunden.

"Kurs auf erneuerbare Vollversorgung nötig"

Der Markt scheint sich langsam der Kohle zu entledigen. Denn für die Abschaltung des Lippendorfer Blocks führt die EnBW wirtschaftliche Gründe wie Strompreise und Stromnachfrage an. Dabei hatten die Braunkohlebetreiber in den letzten Jahre einiges getan, damit die großen Ungetüme besser mithalten.

So sind in Lippendorf die Anfahrzeiten, die zum Hochfahren der Blöcke benötigt werden, verkürzt worden. Heutzutage könne der Standort "auf etwa 25 Prozent seiner installierten Leistung heruntergefahren werden", lobt der Braunkohleverstromer Leag, der einen Block in Lippendorf auf eigene Regie und den zweiten, jetzt vom Netz genommenen im Auftrag von EnBW betreibt.

Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin kommentierte die neuen Stromproduktions-Zahlen gegenüber Klimareporter° so: "Wir kommen einem marktgetriebenen Kohleausstieg zumindest ein kleines Stück näher – der etwas höhere CO2-Preis beginnt zu wirken."

Für einen Erfolg der Energiewende brauche es trotzdem einen politischen Kohleausstieg und einen begleiteten Strukturwandel, so Kemfert. "Zusammen mit dem Kohleausstieg muss es einen Einstieg in eine Vollversorgung mit erneuerbaren Energien geben."

Wird die Politik vom Markt überholt?

Mit der rasanten Marktentwicklung droht jedenfalls der gesetzliche Kohleausstieg ins Hintertreffen zu geraten. Für diesen skizzierte Wirtschaftsminister Altmaier heute den offiziellen Fahrplan. Die Ende Mai beschlossenen "Eckpunkte" des sogenannten Strukturstärkungsgesetzes fließen dem Minister zufolge derzeit in einen Referentenentwurf ein, der nach der Sommerpause ins Bundeskabinett gehen soll.

Parallel laufen, wie das Ministerium weiter mitteilte, Gespräche mit den Betreibern für den geordneten Kohleausstieg – mit dem Ziel einer "einvernehmlichen Lösung". Wie von der Kohlekommission vorgeschlagen, sollen dabei die ersten Stilllegungen "bei den älteren Kraftwerken im Westen Deutschlands erfolgen". Die Gespräche mit dem dortigen Kohlekonzern RWE verliefen "konstruktiv", ließ sich Altmaier nicht weiter in die Karten schauen.

Bei der Steinkohle folgt Altmaier ebenfalls der Kohlekommission. Dort sollen die Stilllegungen über Ausschreibungen erfolgen – dabei können Betreiber von Steinkohlekraftwerken einen Preis für die Stilllegung bieten. "Wer zu den geringsten Kosten pro CO2-Emission anbietet, erhält den Zuschlag."

Voraussichtlich Ende des Jahres sollen dann die Regelungen für Steinkohle und für Braunkohle in einem Kohle-Ausstiegsgesetz zusammengefasst und auch parlamentarisch beschlossen sein. Wie zu hören ist, sollen bei der Braunkohle alle Abschaltungen, die bis 2022 erfolgen, auf der Grundlage von Entschädigungszahlungen erfolgen.

Ist dies bei RWE-Uraltanlagen im Westen rechtlich mindestens zweifelhaft, so kann man sich inzwischen auch fragen, welchen Zukunftswert eigentlich moderne Braunkohleblöcke wie die Lippendorfer noch haben, wenn selbst Eigner wie EnBW zur Erkenntnis kommen, dass sie sich, wenn auch nur zeitweise, nicht mehr wirtschaftlich betreiben lassen. Geht das so weiter, werden die Betreiber auf Altmaiers Pläne wohl wenig Rücksicht nehmen.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Kuratorium von Klimareporter° an.