Der Lausitzer Braunkohlekonzern Leag kann nach der Bund-Kohleländer-Vereinbarung aus der letzten Woche fast genauso viel Kohle fördern und verstromen wie ohne den Kohleausstieg, soll aber noch Milliarden Euro als Entschädigung obendrauf erhalten. Das Nachrichtenmagazin Der Spiegel hat entsprechende Dokumente ausgewertet.
Neu an der Geschichte, die das Nachrichtenmagazin am Freitag verbreitete, ist nicht, dass die Braunkohlekraftwerke in der Lausitz auch ohne beschlossenen Kohleausstieg etwa bis 2040 laufen sollten.
Für mehr reicht die Kohle, die in erschlossenen und genehmigten Tagebauen verfügbar ist, ohnehin nicht mehr. Wer das ändern wollte, müsste einen neuen großen Tagebau in der Region aufschließen – und das ist seit etwa zehn Jahren in der Lausitz politisch nicht mehr durchsetzbar. Das wissen auch alle.
Neu und brisant an dem jetzt aufgetauchten Dokument, einem Leag-Geschäftsplan mit dem Kürzel Sz1A, ist vielmehr, dass die Vermutung "2040 ist die Braunkohle zu Ende" endlich mal schwarz auf weiß in einem offiziellen Papier des Unternehmens nachweisbar ist.
Und der Vergleich des Leag-Businessplans mit der Bund-Länder-Einigung, die der renommierte Energieexperte Felix Matthes vom Öko-Institut vorgenommen hat und der inzwischen öffentlich ist, hat es in sich: Von den 867 Millionen Tonnen Braunkohle, die die Leag ohnehin noch bis 2040 fördern wollte, "spart" die Bund-Länder-Einigung in dem Zeitraum ganze 13 Millionen Tonnen ein, also anderthalb Prozent – praktisch nichts.
"Die Leag muss gar nicht weniger Braunkohle verfeuern, als sie eigentlich vorhatte, und bekommt dennoch Milliarden vom Steuerzahler", sagt der Braunkohleexperte René Schuster vom Umweltverband Grüne Liga. Er fordert von der Bundesregierung, dieses "Geschenk" für den Energiekonzern zu "überdenken".
Die vom Spiegel genannten 1,75 Milliarden Euro Entschädigung sind für die gesamte ostdeutsche Braunkohle gedacht. Von der Summe steht der Leag schätzungsweise eine Milliarde zu, das meiste von dem kleineren Rest erhält voraussichtlich die sachsen-anhaltische Mibrag.
Bei der Mibrag hat letztlich der tschechische Milliardär Daniel Křetínský das Sagen, bei der Leag gesellt sich noch der Milliardär Petr Kellner dazu. Schon beim Kauf der ostdeutschen Braunkohle konnten sich beide über 1,7 Milliarden Euro freuen, mit denen sich der vorherige Eigentümer, der schwedische Staatskonzern Vattenfall, die fossile Last vom Halse schaffte. Wo diese Milliarden geblieben sind, versuchen die Landesregierungen von Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt bis heute ziemlich erfolglos herauszubekommen.
Der Präsident des Umwelt-Dachverbandes DNR, Kai Niebert, hält die Absicht, Braunkohlekraftwerke mit über einer Milliarde Euro Steuergeld zu vergolden, deswegen auch für einen Betrug an den Steuerzahlern. "Damit werden Milliarden ohne Gegenleistung an anonyme Investoren verschenkt."
Der eigentliche Skandal
Leag und Mibrag können sich aber nicht nur über den goldenen Handschlag zur Entschädigung freuen. Die Art und Weise, wie der Kohleausstieg vollzogen wird, kann ihnen noch weitere satte Gewinne einbringen.
So wies Felix Matthes in dieser Woche darauf hin, dass die "ins Fenster gestellte" Milliarden-Entschädigung es den Unternehmen ermögliche, den Braunkohlestrom auch mit Verlusten abzusetzen, solange diese in der Summe nicht die Entschädigungen übersteigen. Insbesondere könne damit die Wirkung des europäischen Emissionshandels auf den Preis des Braunkohlestroms abgemildert werden, betonte Matthes. Die Folge: Mehr klimaschädlicher fossiler Strom kommt in den Markt.
Der Ausstiegsplan hält noch ein weiteres vergoldetes Bonbon bereit. Nach jetzigem Stand soll das letzte Steinkohlekraftwerk 2033 vom Netz – gut 6.000 Megawatt Braunkohle sollen aber noch bis 2037 und 2038 weiterlaufen. Das werden dann die effizientesten Anlagen vor allem in der Lausitz in Boxberg und Schwarze Pumpe sein.
Diese Kraftwerke, die dann längst abgeschrieben sind, hätten dann freie Bahn auf dem Strommarkt – und könnten noch einmal richtig Geld verdienen, sagt der Verband kommunaler Unternehmen voraus. Nach seiner Lesart wird die Braunkohle quasi doppelt entschädigt – durch längere Laufzeiten und die Entschädigung.
Die Leag selbst erklärte am Freitag den geleakten Geschäftsplan von 2016 für veraltet. Das Unternehmen beruft sich bei seinen Planungen auf das Revierkonzept von 2017. Dieses spricht vor allem noch von einer "energiewirtschaftlichen Notwendigkeit zur Kohlegewinnung des Teilabschnitts II in Welzow-Süd" und damit von dem Plan, in der Lausitz praktisch einen neuen großen Tagebau aufzuschließen.
Dieser Plan ist spätestens mit der rot-schwarz-grünen Koalition in Brandenburg vollständig obsolet. Niemand wird einen Tagebau Welzow-Süd II genehmigen – das wäre ein noch größerer klimapolitischer GAU als Datteln 4.
Natürlich kann die Leag die Idee gut finden, sich diesen fiktiven Tagebau für eine Milliarde abkaufen zu lassen. Intern, sagen gewöhnlich gut unterrichtete Kreise aber, soll der Konzern im Zuge der Kohleverhandlungen angeboten haben, die Kraftwerke zeitiger als im 2016er Geschäftsplan vorgesehen abzuschalten – also auch zeitiger als jetzt in der Bund-Länder-Einigung. Dass diese Möglichkeit ins Spiel kommt, sollen gerade die Ministerpräsidenten der drei Ost-Kohleländer mit aller Kraft verhindert haben.
Sollte das stimmen, wäre das der eigentliche Skandal und gehörte parlamentarisch aufgeklärt. Auch DNR-Präsident Niebert will "schnellstmöglich" wissen, was vor allem die Landeschefs von Brandenburg und Sachsen wussten und "ob hier ganz bewusst Steuermilliarden an Investoren verschenkt wurden".