Dampfendes Kohlekraftwerk Niederaußem in Bergheim bei Köln
Einige Blöcke des Braunkohlekraftwerks Niederaußem bei Köln sind über 50 Jahre alt. (Foto: Dirk Jansen/​Wikimedia Commons)

Mehr als 50 Kohlekraftwerks-Blöcke in Deutschland laufen schon länger als ein Vierteljahrhundert. Die Grünen listen sie in einer Anlage ihres Zehn-Punkte-Plans zum Kohleausstieg auf, den die Parteivorsitzende Annalena Baerbock am Dienstag vorgestellt hat.

Dass die deutschen Kraftwerke, in denen Stein- oder Braunkohle verfeuert wird, zu großen Teilen überaltert sind, haben schon mehrere Studien offengelegt. In der Regel schreiben die Betreiber ihre Investitionen in neue Kraftwerke auch innerhalb weniger Jahre in der Unternehmensbilanz ab – die meiste Zeit können die fossilen Anlagen ihren Strom deswegen zu relativ geringen Kosten erzeugen und funktionieren dann bekanntermaßen als "Gelddruckmaschinen".

Ganz klar, dass sich Betreiber wie RWE oder Leag solche Einnahmequelle nicht einfach entschädigungslos nehmen lassen wollen und sich die künftigen Gewinne erstatten lassen wollen. Baerbock bezieht sich in ihrem Plan auf Studien der Denkfabrik Agora Energiewende ("Ein Kohleausstieg nach dem Vorbild des Atomausstiegs?") und auf eine Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.

Der Zehn-Punkte-Ausstiegs-Fahrplan der Grünen

  1. 3.000 Megawatt Braunkohle und 4.000 Megawatt Steinkohle bis 2022 entschädigungsfrei stilllegen, ab 2022 Kohlekraftwerke nach Plan abschalten.
  2. Neue Tagebaue im Bundesberggesetz verbieten.
  3. Rahmen für die von der Kohlekommission vorgeschlagenen Revisionsklauseln entwickeln.
  4. Maßnahmen für Strukturwandel festschreiben.
  5. Rahmen zur Finanzierung von Ewigkeits- und Folgelasten schaffen.
  6. Kohleausstieg mit Strommarktdesign verzahnen.
  7. Erneuerbaren-Ausbau zügiger und verbindlicher voranbringen.
  8. Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz mit Blick auf Kohleausstieg novellieren.
  9. CO2-Bepreisung auf den Weg bringen.
  10. Wettbewerbsfähigkeit der energie- und außenhandelsintensiven Industrie wahren.

Die Parlamentsexperten halten "insbesondere bei älteren, bereits abgeschriebenen Anlagen" eine Stilllegung "ohne Entschädigungszahlung" für möglich. Eine Entschädigungsregelung müsse nur dann erwogen werden, wenn trotz  gebotener Übergangs- und Ausnahmeregelungen "unzumutbare wirtschaftliche Belastungen verbleiben".

Die Agora Energiewende kam ihrerseits zu dem klaren Urteil, dass Kohlekraftwerke, die älter als 25 Jahre sind, vom Gesetzgeber entschädigungsfrei still­gelegt werden können.

Die Kohlekommission war in ihrem Abschlussbericht dieser Auffassung nicht gefolgt. Stattdessen hatte sie Verhandlungen mit den Betreibern um Entschädigungszahlungen aus dem Bundeshaushalt empfohlen. Dahinter stand allerdings eher der Gedanke, langwierige gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden und recht schnell Abschaltungen zu erreichen.

Dagegen hält Grünen-Chefin Baerbock vor allem bei den 7.000 Megawatt Braunkohle- und Steinkohle-Kapazität, die sie bis 2022 im Westen des Landes vom Netz nehmen will, aufgrund des Alters eine entschädigungsfreie Stilllegung für geboten – mit einer Übergangsfrist zur Abschaltung von ein bis zwei Jahren. Ab 2022 soll es dann einen verbindlichen Abschaltplan für Kohlekraftwerke, die älter als 25 Jahre sind, geben – mit einer etwas längeren Übergangsfrist von drei bis vier Jahren.

Baerbock und ihre grüne Bundestagsfraktion wollen erreichen, dass der Kohleausstieg insgesamt mehr Tempo aufnimmt. Der Zehn-Punkte-Plan soll deswegen auch bald als Gesetzespaket in den Bundestag eingebracht werden.

Energieexpertin plädiert für Emissionsdeckel

Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin hält es grundsätzlich für sinnvoll, dass sofort damit begonnen wird, alte und ineffiziente Anlagen vom Netz zu nehmen, einen Kohleabschaltplan zu erarbeiten und ein Moratorium für neue Tagebaue zu verhängen. Ihrer Ansicht nach ist auch der "deutlich schnellere Ausbau" erneuerbarer Energien geboten.

Kemfert plädiert darüber hinaus für ein maximales Emissionsbudget – das nicht in dem Grünen-Plan vorkommt –, "um den Kraftwerksbetreibern mehr Flexibilität zu geben und gleichzeitig zu sichern, dass die Pariser Klimaziele eingehalten werden", wie die DIW-Expertin gegenüber Klimareporter° betont. Wie die Grünen will Kemfert die kommenden Strukturhilfen streng an Abschaltpläne für Kohlekraftwerke sowie an konkrete Projekte für Innovationen und Strukturwandel koppeln.

Wie es heißt, spricht die Bundesregierung bereits mit den Betreibern von Braunkohle-Kraftwerken über die Höhe der Entschädigungen. Dafür hat sie bis Mitte 2020 Zeit. Kommt es bis dahin zu keiner Einigung, könnte eine (mutige) Bundesregierung auch einfach die imissionsschutzrechtliche Genehmigung für die alten Anlagen aufheben. Dann müssten die Betreiber diese sofort abschalten – würden aber zweifellos vor Gericht auf Entschädigung klagen.

Etwas anders soll die Stilllegung bei den Steinkohle-Kraftwerken laufen. Hier soll es Ausschreibungen geben, bei denen die Betreiber ein Gebot abgeben können, für wie viel Geld sie wie viel Megawatt stilllegen wollen – die preiswertesten Angebote würden dann den Zuschlag erhalten.

Redaktioneller Hinweis: Claudia Kemfert gehört dem Kuratorium von Klimareporter° an.